Berlin. . SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat mit dem Ärger gerechnet: Ihr sei klar gewesen, dass jedes Ergebnis im Fall Sarrazin zu Kontroversen führen würde. Und wie schwer es sein würde, den umstrittenen Autor aus der SPD auszuschließen.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat mit dem Ärger gerechnet: Ihr sei klar gewesen, dass jedes Ergebnis im Fall Sarrazin zu Kontroversen führen würde. Und wie schwer es sein würde, den umstrittenen Autor aus der SPD auszuschließen.

Auf Facebook kann man sie nachlesen: die Wut, den Ärger, den Protest. „Naivität hat ein neues Synonym: Andrea“, schreibt der Chef der SPD in Berlin Alt-Pankow, Jens Peter Franke. Die Wogen schlagen hoch, denn Thilo Sarrazin bleibt der Partei erhalten. In der Kritik: Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin.

Wie konnte sie der Schlichtung zustimmen und den Antrag auf Ausschluss Sarrazins zurückziehen? Jäh und unvermittelt hatte die SPD-Spitze am Gründonnerstag eine Kehrtwende vollzogen. Sarrazin hatte seinerseits beteuert, es läge ihm fern, mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ SPD-Grundsätze zu verletzen und Gruppen zu diskriminieren.

Nahles hält sich nicht für naiv. Sie habe in einer schwierigen Situation das Beste rausgeholt, „das ist Teil meines Jobs“, sagte sie der WAZ-Mediengruppe. Die Führung wollte Sarrazins ­Ausschluss. Seit September betrieb sie das Verfahren, allen voran: Parteichef Sigmar Gabriel. Es zeigte sich alsbald, dass Sarrazin an der SPD hängt. Nahles wusste, wie schwer es sein würde, ihn loszuwerden. Ihr sei früh klar gewesen, „dass jedes Ergebnis zu Kontroversen führen würde“.

Sarrazins Sprüche

Mit seinen Äußerungen provoziert Bundesbank-Chef Thilo Sarrazin immer wieder die Öffentlichkeit - DerWesten dokumentiert zwölf seiner streitbaren Zitate.
Mit seinen Äußerungen provoziert Bundesbank-Chef Thilo Sarrazin immer wieder die Öffentlichkeit - DerWesten dokumentiert zwölf seiner streitbaren Zitate. © ddp
Februar 2002 über Berliner Beamte:
Februar 2002 über Berliner Beamte: "Die Beamten laufen bleich und übelriechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist." © ddp
November 2002 zur Debatte über höhere Kita-Gebühren:
November 2002 zur Debatte über höhere Kita-Gebühren: "Es wird ja so getan, als ob der Senat die Kinder ins Konzentrationslager schicken wollte." © ddp
März 2002 zum Berliner Stadtbild:
März 2002 zum Berliner Stadtbild: "Nirgendwo schlurfen so viele Menschen in Trainingsanzügen durch die Straßen wie in Berlin."
November 2003 über Studenten, die sein Berliner Büro besetzten:
November 2003 über Studenten, die sein Berliner Büro besetzten: "Ihr seid alle Arschlöcher." © REUTERS
Januar 2005 zur geplanten Länderfusion:
Januar 2005 zur geplanten Länderfusion: "Das vereinte Land Berlin-Brandenburg ist natürlich immer eine Stadt Berlin mit angeschlossener landwirtschaftlicher Fläche." © ddp
August 2006 zur Berliner Finanzlage:
August 2006 zur Berliner Finanzlage: "Lassen Sie mich mal so sagen: Der Schutt ist abgeräumt. Wir leben nicht mehr im Jahr 1945, sondern wir leben im Jahr 1947." © ddp
Februar 2008 zum Thema Schwarzarbeit:
Februar 2008 zum Thema Schwarzarbeit: "Ehe jetzt einer im 20. Stock sitzt und den ganzen Tag nur fernsieht, bin ich schon fast erleichtert, wenn er ein bisschen schwarz arbeitet." © AP
Februar 2008 zu seinem Speiseplan für
Februar 2008 zu seinem Speiseplan für "Hartz IV"-Empfänger: Für 4,25 Euro könne man sich "vollständig, gesund und wertstoffreich ernähren". Auf Kritik konterte er: "Wenn man sich das anschaut, ist das kleinste Problem von "Hartz IV"-Empfängern das Untergewicht." © imago stock&people
Februar 2008 zum Berliner Bildungssystem:
Februar 2008 zum Berliner Bildungssystem: "Bayerische Schüler können aber mehr ohne Abschluss als unsere in Berlin mit Abschluss." © AP
Juni 2008 zur Mindestlohn-Debatte:
Juni 2008 zur Mindestlohn-Debatte: "Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag." © imago stock&people
September 2009 in der Zeitschrift
September 2009 in der Zeitschrift "Lettre International": "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert." © ddp
Ebenfalls dort:
Ebenfalls dort: "Je niedriger die Schicht, desto höher die Geburtenrate. Die Araber und die Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht." © ddp
Weiter:
Weiter: "Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig. Die Lösung dieses Problems kann nur heißen: Kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun." © REUTERS
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Verheerendes Echo

Stellt sich die Frage, warum die SPD dann überhaupt ein Verfahren angestrengt hat. „Wir mussten zeigen, wo die Grenzen der innerpartei­lichen Toleranz liegen. Das musste sein“, versichert ­Nahles. Nun ist das Echo auf die Einigung verheerend.

Der Gründer des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten, Sergey Lagodinsky, kündigte per Brief seinen Austritt aus der Partei an. Der Chef des Arbeitskreises Migration, Ke­nan Kolat, wirft der SPD vor, sie sei „eingeknickt“. Die mühsam aufgebaute Verankerung in Einwanderer-Kreisen „droht Schaden zu nehmen“, warnt der baden-württembergische SPD-Chef Nils Schmid. Nahles bedauert, „dass uns der Fall Sarrazin so zurückgeworfen hat und dass wir gegenüber den Migranten um neues Vertrauen werben müssen“.

Besonders in Aufruhr: ­Sarrazins Berliner Heimatverband. Die Führung der Landespartei traf sich gestern zur Krisensitzung. In einer On­line-Petition wird der Zickzack-Kurs der SPD-Spitze ­kritisiert. Parteichef Gabriel hält sich bedeckt. Er ließ nur wissen, dass Nahles seine „Rückendeckung“ habe. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ist froh, „dass der SPD ein jahrelanges Verfahren erspart bleibt“.

Dass Sarrazin ohne Rücksicht auf die SPD gehandelt hat, ist Steinmeier wie Nahles klar. Umso wichtiger sei es gewesen, „dass Sarrazin sich jetzt davon distanziert hat“, meint Nahles. Daran müsse er sich auch in Zukunft halten. Manche nennen das: naiv.