Zwei Monate nach Beginn der Revolution in der arabischen Welt schwappt die Protestwelle in den Polizeistaat Syrien. Obwohl das Regime in der Stadt Daraa in Südsyrien massive Gewalt einsetzt, halten die Demonstrationen an. Die Opposition fordert nach 41 Jahren das Ende der Herrschaft der Familie Assad.
Seit sieben Tagen kommt es in der südsyrischen Stadt Daraa täglich zu Demonstrationen gegen das Regime von Präsident Baschar Assad, der vor elf Jahren das Amt seines Vaters erbte. Seit Mittwoch greifen die Sicherheitsdienste mit äußerster Härte durch: Ein Arzt des Krankenhauses berichtete, es seien die Leichen von 25 Menschen eingeliefert worden: „Alle hatten Schusswunden.“ Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehr als 100 Toten.
Die Regierung hat die Innenstadt abgesperrt, die Armee patrouilliert in den Straßen. Das Telefonnetz wurde abgeschaltet. Assad will mit allen Mitteln verhindern, dass der Ausnahmezustand in Daraa auf den Rest seines Landes übergreift.
Doch aller Gewalt zum Trotz erschienen am Donnerstag mehr als 20 000 Menschen zu den Begräbnissen der erschossenen Demonstranten: „Mit unserer Seele, unserem Blut werden wir die Märtyrer erlösen“, skandierten sie. Immer wieder kam dabei der Slogan auf, der den Sturz des tunesischen und ägyptischen Präsidenten eingeleitet hatte: „Das Volk will das System abschaffen!“
Auch der Hintergrund der Unruhen in Syrien ist derselbe wie in anderen arabischen Staaten. Die Baath-Partei regiert das Land seit 1963 im Ausnahmezustand. Seit 41 Jahren steht die Familie Assad an der Spitze der Baath. Die Assads gehören zur religiösen Minderheit der Aleviten, die nur rund sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die große Mehrheit (75 Prozent) der Syrer sind Sunniten. Die Muslimbrüder erfreuen sich hier großer Beliebtheit, wurden von Assads Vater 1982 aber mundtot gemacht. Damals schlug Hafez Assad einen Aufstand der Bruderschaft blutig nieder. In rund zwei Wochen kamen mindestens 20 000 Menschen ums Leben.
Zur politischen Unterdrückung gesellen sich wirtschaftliche Faktoren. Daraa liegt mitten in einer landwirtschaftlichen Region, die seit sieben Jahren unter einer Dürre leidet. Viele Menschen sind verarmt, während die Familie Assads sich bereicherte. Eines der ersten Ziele, die Demonstranten in Daraa in Brand steckten, waren neben dem Parteihauptquartier der Baath die Büros der Telefongesellschaft Syriatel, die Assads Cousin Rami Makhluf gehört.
Das Hardliner-Regime in Damaskus hatte eigene Erklärungen für die Unruhen: Ein Mob habe eine Ambulanzcrew angegriffen, die Polizei sei ihr zu Hilfe geeilt. Israel, so die offizielle Nachrichtenagentur Sana, habe mehr als eine Million SMS nach Syrien verschickt, um die Unruhen anzustiften, und Menschen angehalten, aus Moscheen zu schießen. Zum Beweis zeigte das Staatsfernsehen Bilder aus einer Moschee, in der Handgranaten, Waffen und Geld aufgestapelt waren.
Menschenrechtler zeichnen hingegen ein anderes Bild. Aktivisten wurden festgenommen, jede Versammlung sofort gewaltsam aufgelöst. Assad könnte sich gezwungen sehen, zu denselben Mitteln zu greifen wie Muammar Gaddafi jetzt in Libyen.