Berlin. Für die Kanzlerin kommt es knüppeldick: In Baden-Württemberg droht eine CDU-Niederlage, der Euro schwächelt, die Atomkraft spaltet ihre Partei. Ausgerechnet jetzt meldet sich Altkanzler Kohl zu Wort - und stichelt gegen Angela Merkel.
Sie hetzt nur, von Termin zu Termin, von einer Baustelle zur nächsten. Für 14 Uhr steht in Brüssel ihr Flugzeug bereit. Viel Zeit bleibt Angela Merkel nach der Ankunft in Berlin nicht. Noch am Abend wird sie in Mannheim erwartet und heute in Trier, noch ein Wahlkampfauftritt und noch einer. Merkel versucht vor der Doppelwahl in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu retten, was zu retten ist.
Die Kanzlerin macht gerade die härteste Prüfung ihrer Amtszeit durch. Sie hätte es kaum für möglich gehalten - nach der Bankenkrise - aber die letzten zwei Wochen toppten alles: Drei Wahlkämpfe, die Rückkehr der Euro-Krise, der GAU in Japan, die Kontroverse um Libyen.
Die Wirtschaft wendet sich ab, das Atommoratorium stößt auf Unverständnis; als Kronzeuge diente sich ausgerechnet ihr Wirtschaftsminister an. Die Unions-Abgeordneten fühlen sich zumindest in der EU-Politik überfahren. Parlamentspräsident Norbert Lammert schrieb ihr dazu einen Brief. Wofür steht die CDU?, fragen sich ihre Abgeordneten. Oder werden in ihren Wahlkreisen befragt.
Die „Bild“-Zeitung hätte man Merkel - zum Selbstschutz - vorenthalten müssen. Kurz vor zwei Uhr morgens erfährt sie in Brüssel über ihr Handy die neueste Nachricht von daheim. „Ex-BK Kohl/Bild warnt vor überhastetem Ausstieg aus Atomenergie ohne Alternative,“ informiert sie ihr Presseamt im Telegrammstil. Dabei fehlt Kohls brutalster Satz: „Die Lehre aus Japan darf jetzt nicht die berühmte Rolle rückwärts sein.“
Der „Alte“ als Rächer
Zwei Tage vor einer Zitterwahl belehrt Kohl die Kanzlerin auf ihrem ureigensten Feld: In der Umwelt- und Energiepolitik. In der Unions-Fraktion war es das Flurgespräch. „Unsolidarisch, illoyal.“ Kohls Kritik wird zwei Tage vor der Wahl nur als „Rache“ empfunden. Der „Alte“ hat ein Elefantengedächtnis. Er hat nie vergessen, dass sie es war, die als CDU-Generalsekretärin in der Spendenaffäre den Trennungsstrich zu ihm zog.
Die Umfragen für Baden-Württemberg verheißen nichts Gutes. Gut möglich, dass dort Schwarz-Gelb abgewählt wird. Für CDU und FDP hätte es eine ähnlich hohe Symbolbedeutung wie die SPD-Niederlage 2005 in NRW. Sie läutete damals das Ende der Kanzlerschaft Gerhard Schröders ein. Merkel hatte alles auf eine Karte gesetzt, hat 2010 den Herbst den Entscheidungen ausgerufen und bekannte sich zum Reizprojekt „Stuttgart 21“. Angela Merkel wollte es wissen - an diesem 27. März 2011.
Eine Niederlage würde am Nervenkostüm der Kanzlerin zehren, aber sie wohl kaum das Amt kosten. Ein Unions-Insider erklärt: „Schauen Sie sich mal an, wer im Präsidium sitzt.“ Ursula von der Leyen, Annette Schavan, Norbert Röttgen. Merkel-Leute. Der Stuttgarter Stefan Mappus wäre dann bloß ein abgewählter Ministerpräsident. Aus der Riege der Länderchefs bliebe nur der Hesse Volker Bouffier und David MacAllister aus Niedersachsen. Sie sind isoliert. Ähnlich das Bild in der Unions-Fraktion. Sie wird angeführt von Merkel-Leuten: Von Volker Kauder und Peter Altmaier. Verteidigungsminister Thomas de Maizière verdankt Merkel seinen Aufstieg. Und würde Finanzminister Wolfgang Schäuble aufhören, drängte sich kein Unions-Mann urwüchsig als Nachfolger auf. Erst recht fehlt eine Alternative zu Merkel. Die Personaldecke ist arg dünn.
Die Chefin ist allein
Das heißt aber auch, dass die Chefin weithin auf sich allein gestellt ist. Dann hockt sie am Wochenende bloß mit Kanzleramtschef Ronald Pofalla und mit Vize-Kanzler Guido Westerwelle zusammen. Dabei ist gerade der FDP-Mann nicht schuldlos am Schlingerkurs der Regierung. Den deutschen Sonderweg in der Libyen-Krise hat er zu verantworten. In der Union wird der Außenminister kritisch beäugt, ebenso sein FDP-Kollege Rainer Brüderle. Im Mai stehen bei den Liberalen die Vorstandswahlen an. Nicht wenige in der Union wünschen sich vom Koalitionspartner einen Neuanfang. Bis heute fehlt ein gemeinsames Projekt. Bei den Koalitionsverhandlungen taten sie sich schwer. Fast zwei Jahre ist es her, aber der Eindruck hält an.
Merkel schaut nicht zurück. Von ihr gibt es kein Wort zu Brüderle oder zu Kohl. „Sie leidet“, sagt ein CDU-Mann. Sie konzentriert sich auf die nächste Aufgabe. Am Morgen EU-Gipfel, Wahlkampf am Abend. In der Ruhe liegt die Kraft, war stets ihr Leitspruch.