Berlin. . Peer Steinbrück hat sich viel Zeit gelassen, um im Bundestag seine Jungfernrede zu halten. Am Donnerstag tat er es. Effektvoll und auf eine Art, die sogar die Zwischenrufer der Koalition verstummen ließ und bei Angela Merkel viel Frust ausgelöst haben dürfte.

Sie hatte sich eine griffige Formel ausgedacht. „2011“, rief Angela Merkel aus, werde zum „Jahr des Vertrauens.“ Noch vor ein paar Monaten hätte man der Kanzlerin respektvoll gelauscht; damals in Merkels „Herbst der Entscheidungen“. Gestern im Bundestag gab es allerdings Hohngelächter.

Ihre Autorität leidet derzeit, die Bonität ihres Kabinetts war schon mal besser. Sie ließ sich den Ärger darüber in der Euro-Debatte anmerken. „Sie müssen nicht so angefressen reagieren“, setzte der nächste Redner an, ein Teil des Parlaments empfände ihr Jahr des Vertrauens „als eine Wortblase und darf das auch zum Ausdruck bringen“. Der Redner hieß Peer Steinbrück. Mit dem ersten Satz war klar: Er wird ihr die Schau stehlen und sie piesacken, 21 lange Minuten.

Angriff auf Merkel

Seit Ausbruch der Finanzkrise habe Merkel „zu viele Volten und Pirouetten ge­dreht“. Wenn sie behaupte, die Koalition tue, was sie sage, „klingt das sehr nach Kabarett“, so der SPD-Mann. Worte und Taten – die Kluft dazwischen führte er allen vor. Erst hieß es, es gebe kein Geld für die Griechen – dann kam der Rettungsschirm. Erst sollte er nicht aufgestockt werden. Nun passiert genau das beim EU-Gipfel. Was ist also davon zu halten, wenn Merkel demnächst wieder was „ganz klar“ ausschließt? „Dann ge­hen bei mir die Warnblinken an.“

Maliziös war, dass Steinbrück sie nicht aus der Sicht eines Sozialdemokraten kritisierte, sondern aus dem Blickwinkel Konservativer auf sie schaute. Alles sprach er an: Den Verrat an bürgerlichen Tugenden im Fall Guttenberg; dass Merkel die Laufzeiten der AKW verlängerte und nun aus­setzt; dass sie als Oppositionsführerin eine deutsche Isolierung in der Nato kritisierte, „in die sie sich nun selbst gebracht haben“. Er hob dabei auf die deutsche Enthaltung zum Einsatz in Libyen ab. „Glaubwürdigkeit – dieses Pfund entgleitet Ihnen.“

Keine Zwischenrufe

In den CDU-Reihen war es still. Keine Zwischenrufe zu Merkels Entlastung, keine Mätzchen, um den Redner zu irritieren. Man fragte sich, ob sie seine flinke Zunge fürchteten oder Merkel die parlamentarische Abreibung klamm und heimlich gönnten.

Denn in der Koalition hängt der Haussegen schief, auch und gerade wegen des Euro-Rettungspakets. Die Parlamentarier fühlen sich nicht ausreichend informiert. Säuernis gibt es auch, weil Finanzminister Wolfgang Schäuble in Brüssel für das Jahr 2013 elf Milliarden Euro als Bareinlage für den Rettungsschirm zusagte – er hatte es nicht in der Koalition abgestimmt. Nun fährt Merkel nach Brüssel, um die Zahlung zeitlich zu strecken...

SPD mit Becker-Faust

Während Schwarz-Gelb bedient ist, machen sie bei der SPD die Boris-Becker-Faust. Seit 2009 sitzt Steinbrück im Bundestag. Fast so lange wird er bekniet, in die Bütt zu gehen. Seit Januar war verabredet, dass er jetzt seine Jungfernrede (!) halten sollte. Nun passte sie – vor der Doppelwahl am Sonntag – wie die Faust aufs Auge.

Der Auftritt sollte zwei Dinge symbolisieren. Er sollte die Erinnerung an die SPD-Regierungszeit hochhalten und die Alternativen aufzeigen. Es wirkte umso effektvoller, als der Mann bis ins bürgerliche Lager hinein Ansehen genießt. Es war ein Spiel, bei dem die SPD bewusst in Kauf nahm, dass anderntags Journalisten die Frage nach dem nächsten Kanzlerkandidaten stellen würden. Es sei aber zu früh, heißt es in der Fraktion. Gestern war Peer Steinbrück nur die Speerspitze seiner Partei.

Und sie stach.