Tripolis. . Frankreich gibt die Kommandostruktur offenbar an das Verteidigungsbündnis ab. Die NATO steht vor einem Problem: Zwar konnten die westlichen Truppen die Luftwaffe Libyens bereits zerstören, doch Gaddafi lässt sich so wohl nicht aus dem Amt drängen.
Die erste Phase im Libyen-Krieg ist abgeschlossen. Die Luftwaffe von Machthaber Muammar al Gaddafi ist ausgeschaltet. Ein großer Erfolg der „Koalition der Willigen“, die am Samstag mit Luftangriffen auf Panzer vor Bengasi die Intervention gestartet hatten. „Wenn wir nicht losgeschlagen hätten, wäre Bengasi heute in der Hand Gaddafis“, sagt der französische Außenminister Alain Juppé. Und damit hat er vermutlich Recht, denn Truppen und Söldner aus Tripolis waren am Samstagmittag bis in die Vororte der Rebellenhochburg vorgedrungen. Das womöglich kriegsentscheidendes Blutbad habe nur Minuten bevorgestanden, heißt es in Paris.
Jetzt beginnt Phase II, und ob diese ebenso erfolgreich sein wird, ist offen. Das ist auch dem großmannssüchtigen französischen Staatschef Nicolas Sarkozy bewusst. Und deshalb ist er nach langem Streit über die Führung des Einsatzes jetzt offenbar bereit, das Kommando an die NATO abzugeben. „Die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) ist das Modell“ für Phase II, verlautet aus französischen Diplomatenkreisen.
Das heißt: Die Nordatlantikpakt übernimmt die einheitliche Führung. Beteiligen sollen sich an den künftigen Einsätzen aber nicht nur NATO-Mitglieder, sondern vor allem auch Staaten aus der arabischen Welt. Um sie einzubinden, sollen die Außenminister der neuen, breiten Koalition die politische Steuerung der Operation vorgeben. Der Startschuss für diesen Prozess soll am Dienstag auf einer internationalen Libyen-Konferenz in London gegeben werden, zu dem die britische Regierung am Mittwoch eingeladen hatte.
Mit geschwellter Brust
Zum Einlenken bleibt Sarkozy keine Alternative: Die USA hatten Paris klar gemacht, dass sie ohne Kommando-Übergabe an die NATO aus dem Krieg aussteigen würden. Ohne militärische Beteiligung Washingtons hätten Frankreich und Großbritannien rasch an ihre Grenzen stoßen können. Kommt die NATO mit ins Boot, bleiben auch die USA an Bord, heißt es in Diplomatenkreisen.
Für das grüne Licht der NATO, nun die Verantwortung zu übernehmen, gibt es jetzt noch eine Bedingung. Die hatte die Türkei am Mittwoch gestellt und damit die Einigung im Brüsseler NATO-Rat ein vermutlich letztes Mal blockiert: Die „Koalition der Willigen“ muss ihre eigenen Attacken stoppen. Erst dann, so die Position Ankaras, darf die NATO einsteigen. So soll garantiert werden, dass das Bündnis in der arabischen Welt nicht dafür verdammt wird, dass bei eigenmächtigen Angriffen von französischen oder britischen Kampfjets womöglich zivile Opfer zu beklagen sind.
In Beobachterkreisen wird erwartet, dass am Wochenende der Zeitpunkt naht, zu dem die Koalition ihre eigenen Operationen stoppt. Die britischen Angaben, dass Gaddafis Luftwaffe ausgeschaltet sei, ebnen Sarkozy und seinem britischen Partner Premier David Cameron den Weg, mit geschwellter Brust das Zepter abzugeben.
Was ist das Ziel?
Die Frage, wie es mit dem Krieg eigentlich weitergehen soll, bleibt aber auch mit dem sich abzeichnenden politischen Kompromiss völlig offen. Denn ein Mandat, um Gaddafi aus dem Amt zu bomben, hat der UN-Sicherheitsrat nicht gegeben. Die Resolution ermächtigt nur Angriffe, um die Zivilbevölkerung gegen Gaddafis Truppen zu schützen.
Die „Koalition der Willigen“ hat bislang nicht nur eine Flugverbotszone durchgesetzt, sondern auch Panzerdivisionen bombardiert, um einen Vormarsch der regimetreuen Einheiten zu stoppen. Sobald die NATO das Kommando übernimmt, gibt es dazu zumindest vorerst keine Möglichkeit mehr. Denn im NATO-Hauptquartier gibt es bislang nur Pläne, die Flugverbotszone durchzusetzen. Für alle Aktionen darüber hinaus wäre ein neuer Beschluss aller 28 Mitgliedsstaaten notwendig. Zwar gibt es eine große Zahl von Regierungen - in Osteuropa, aber auch in den Niederlanden, Belgien oder Dänemark - die auf eine weitergehende Intervention gegen Gaddafi drängen. Doch ob Deutschland oder die Türkei das politisch absegnen würden, ist offen.
Das politische Ziel ist zwar klar definiert: Gaddafi muss aus dem Amt. Da hat sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) festgelegt. Aber wie es militärisch erreicht werden kann, steht gerade in der zweiten Phase des Libyen-Krieges völlig in den Sternen. Der „Revolutionsführer“ hat sich 42 Jahre lang an der Macht gehalten und auch frühere Angriffe überstanden. Beobachter spielen mehrere Szenarien durch: Es kommt zu einem langen und blutigen Bürgerkrieg, weil es Gaddafi gelingt, seine Anhänger und Söldnertruppen in die Rebellengebiete einzuschleusen und die Staatengemeinschaft nur machtlos zuschauen kann. In Paris wird vor „einem zweiten Albtraum Somalia“ gewarnt. Oder es kommt zur Spaltung des Landes, und Gaddafi kann sich in Tripolis halten.
Wie stark können die Rebellen werden?
Für Paris liegt der Königsweg in einer Unterstützung des Nationalen Übergangsrates (CNT), der sich in Bengasi formiert hat. „Er vertritt alle Elemente der libyschen Nation“, sagt ein französischer Diplomat. „Wir müssen auf den Rat bauen, seine Basis ausweiten.“ Die nach wie vor zahlreichen Anhänger Gaddafis will Paris „zum Nachdenken bringen“.
Doch wie sollten die Rebellen militärisch gestützt werden, um die Schlacht gegen das Regime zu gewinnen? Bisherige Frontberichte und Bilder erwecken noch den Eindruck, die Aufständischen gingen völlig ungeordnet, improvisiert vor. Könnte logistische und geheimdienstliche Unterstützung reichen, um dem Übergangsrat zu ausreichender militärischer Schlagkraft zu verhelfen? Kann er mit Waffen aufgerüstet werden? Muss die NATO am Ende doch Bodentruppen schicken?
Die UN-Resolution lässt dazu Interpretationsspielraum. Ausgeschlossen wird nur die Entsendung von „Besatzungstruppen“, nicht grundsätzlich der Einsatz von Soldaten für befristete Kampfoperationen. Doch dass sich die NATO dazu durchringen könnte, ist derzeit nicht abzusehen. (dapd)