Düsseldorf/Münster. . Nachdem das Landesverfassungsgericht den NRW-Nachtragshaushalt gekippt hatte, wirkte Finanzminister Walter-Borjans (SPD) geschockt. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) demonstrierte noch Gelassenheit.
Den Moment ihrer bislang schwersten Niederlage als Ministerpräsidentin erträgt Hannelore Kraft erstaunlich unaufgeregt. Die SPD-Politikerin trinkt gerade in der Kaffeebar des Düsseldorfer Landtags einen Vitaminsaft, zu ihrer Linken fließt der Rhein in der Morgensonne, vor ihr stapeln sich die Terminmappen des Tages, als ihr die Büroleiterin um 10.36 Uhr den Handy-Bildschirm hinhält.
„Hier, Eilmeldung. Gericht erklärt NRW-Nachtragshaushalt für nichtig“, liest die Mitarbeiterin eilig vor. „Mmh“, brummt Kraft, „warten wir mal die Urteilsbegründung ab.“
Gut eine Stunde später hat der wegweisende Spruch des Münsteraner Verfassungsgerichtshof die erste Interpretationsschleife durchlaufen. Die höchsten Richter kassieren nicht einfach nur den Nachtragshaushalt 2010 der rot-grünen Minderheitsregierung mit einer geplanten Rekordverschuldung von 7,1 Milliarden Euro. Sie stellen der Politik insgesamt für die künftige Haushaltsaufstellung harte Bedingungen.
Prüfung angekündigt
Was bislang als juristische Behelfsformel für fast jede Regierung mit Etatlöchern galt, wird in Münster erstmals deutlich mit Leben gefüllt. Die wirtschaftliche Störungslage müsse nachvollziehbar dargelegt und ein kreditfinanzierter Maßnahmenkatalog zur Beseitigung klar begründet werden, gibt Gerichtspräsident Michael Bertrams der Landesregierung auf. Diesen Anforderungen habe der Gesetzgeber nicht genügt, stellt er unmissverständlich klar.
Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) steht im Münsteraner Gerichtssaal der Schock ins Gesicht geschrieben. Vor allem seine auf Pump angelegte 1,3 Milliarden-Rücklage für die marode WestLB ist nun hinfällig: „Die Rücklage war nicht für Hobbys gedacht“, klagt er. Über die Folgen für die Haushaltsberatungen 2011 will er nicht spekulieren: Kleinlaut kündigt er eine „Prüfung“ des Urteils an.
Kraft sieht keine „direkte Folge“
So halten es an diesem Tag viele im rot-grünen Lager. Vize-Regierungschefin Sylvia Löhrmann ahnt allerdings, dass die Arbeit am Haushalt nun „nicht leichter“ werde. Das Gericht, gibt die Grüne zu bedenken, habe „hohe Hürden“ für die Koalition aufgebaut.
Regierungschefin Kraft bleibt zunächst bei ihrer zurückhaltenden Linie. Für den Haushalt 2011 sehe sie „erstmal keine direkte Folge“. Man müsse die Begründung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts „weiter konkretisieren“, um sich im geplanten Kreditrahmen deutlich über der Verfassungsgrenze von knapp 3,8 Milliarden Euro Neuschulden bewegen zu können. Die Katastrophe in Japan, die Umwälzungen in der Arabischen Welt und der Euro-Rettungsschirm seien Hinweise genug, dass es trotz Konjunkturbooms und sprudelnder Steuereinnahmen noch „keine stabile Wirtschaftslage“ gebe. Auf die etwas hämische Journalisten-Frage, ob sich mit der Abschaffung der Studiengebühren in NRW das wirtschaftliche Gleichgewicht wiederherstellen lasse, geht die Ministerpräsidentin nicht weiter ein.
CDU fordert Signal
CDU-Landeschef Norbert Röttgen forderte Rot-Grün auf, endlich solide zu arbeiten und einen verfassungskonformen Haushalt vorzulegen: „Wenn die Regierung das nicht schafft, ist sie gescheitert. Dann sind Neuwahlen unausweichlich.“ Er sieht Kraft vor einem „Regierungs-Scherbenhaufen“. Dies sei auch für sie eine schwere persönliche Niederlage. Er warf der Regierung Dilettantismus vor.
CDU-Generalsekretär Oliver Wittke wertet das Urteil des Münsteraner Verfassungsgerichts als „klare Absage“ an Krafts Ansatz einer sozialen Präventionspolitik. Es sei nun klar, dass auch der Etat 2011 in seiner bisherigen Aufstellung verfassungswidrig sei. Wittke fordert von Rot-Grün „kurzfristig ein Signal“ des Sparwillens und droht andernfalls mit einer weiteren Klage und einem Antrag auf Auflösung des Landtags nach der Verabschiedung des Haushalts für das nächste Jahr Mitte Mai. „Neuwahlen“, analysiert der engste Vertraute von CDU-Landeschef Norbert Röttgen, „sind heute wahrscheinlicher geworden“.