Siegen. .

Bundesumweltminister Röttgen will die NRW-CDU in Siegen auf Neuwahlen einschwören, obwohl er politisch und gedanklich mit Japan befasst ist. Eine Gefahr für Deutschland schließt er praktisch aus.

Um Schule und Schulden sollte es gehen. Um den Neuaufbruch der NRW-CDU. Um die kraftvolle Einstimmung auf einen Wahlkampf gegen die rot-grüne Verschuldungspolitik vielleicht noch in diesem Sommer. Doch Norbert Röttgen, CDU-Landeschef und Bundesumweltminister in Personalunion, ahnt an diesem Samstagvormittag in Siegen schnell, dass es kein normaler Landesparteitag werden kann. Der 45-Jährige wird schon vor der Siegerlandhalle von Anti-Atom-Aktivisten empfangen, muss sich den Weg durch gelb-schwarz lackierte Attrappen von Atommüll-Fässern bahnen. Die Reaktor-Katastrophe von Fukushima, trauriger Höhepunkt des verheerenden Erdbebens in Japan, strahlt zumindest politisch nach NRW aus.

Röttgen funktioniert die traditionelle Morgenandacht des Landesparteitags kurz entschlossen zu einer Gedenkfeier für die Toten von Japan um. Anschließend gibt er unter „Nutzung des Mikrofons, aber nicht als Teil des Parteitags“ Informationen über die neueste Entwicklung im Katastrophengebiet. „Keine Konsequenzen können ausgeschlossen werden“, referiert er mit Grabesstimme. Es gebe starke Hinweise auf eine Kernschmelze in Fukushima. „Wir gehen davon aus, dass eine Gefährdung oder Beeinträchtigung unseres Landes praktisch ausgeschlossen werden kann“, beschwichtigt gleichwohl der Bundesumweltminister. Desweiteren lehne er es ab, „in einer solchen Situation parteipolitische Debatten zu führen“.

Ur-Ängste und Erinnerungen an Tschernobyl weckt

Röttgen, promovierter Jurist und seit vielen Jahren in der Bundespolitik aktiv, ist zu viel zu klug, um daran zu glauben, dass das funktionieren kann. Es ist für den Bundesumweltminister eine Woche des Missvergnügens, da können es für den nordrhein-westfälischen CDU-Landesvorsitzenden kaum unbeschwerten Tage sein. Erst das Kommunikationsdebakel um den Biosprit „E10“, das Röttgen eine Titelbild-Montage in der „Bild“-Zeitung mit Tankrüssel-Nase einbringt. Und nun die Atom-Katastrophe von Japan, die auch in Deutschland Ur-Ängste und Erinnerungen an Tschernobyl weckt.

Vor der Siegerlandhalle sind bereits Anhänger der Grünen aufgezogen und verteilen Flyer mit „Fakten gegen Atomkraft“. Röttgen ist zwar der erste prominente CDU-Politiker, der im vergangenen Jahr öffentlich dafür geworben hat, das Eintreten für die Atomkraft „nicht zum Alleinstellungsmerkmal“ der Union zu machen. In Erinnerung dürfte breiten Bevölkerungsschichten jedoch nachhaltig haften geblieben sein, dass er sich mit seinem Werben für möglichst kurze Laufzeiten für deutsche Atommeiler in einer denkwürdigen Kanzleramts-Nacht nicht gegen die eigenen Parteifreunde, nicht gegen den Koalitionspartner FDP und schon gar nicht gegen die Energiekonzerne hatte durchsetzen können. Ein Landtagswahlkampf, so viel steht fest, der sich unversehens zu einem Anti-Atom-Wahlkampf wandeln könnte, wäre für Röttgen ungemütlich.

Ob es zur Wahl kommt, ist noch nicht sicher

Noch aber ist nicht sicher, ob die rund 14 Millionen Wahlberechtigten in NRW überhaupt noch in diesem Jahr erneut zu den Urnen gerufen werden. Aus allen Parteien kommen widersprüchliche Signale. Zuletzt schienen SPD und Grüne finster entschlossen, Neuwahlen auszurufen und sich dabei etwas ungelenk darauf zu berufen, dass die politischen Entscheidungen von der Opposition nicht länger aus dem Landtag vor das Verfassungsgericht getragen werden dürften. Für eine leichtfertige Auflösung des Parlaments, die 45 Millionen Euro kosten und viele Bürger verärgern würde, will man nun aber offenbar doch nicht mehr verantwortlich sein.

Auch die CDU wirkte lange nicht recht entschlossen, ob sie aktiv oder passiv auf Neuwahlen hinsteuern solle. An diesem Vormittag beweist Röttgen zumindest, warum er in der Politik soweit gekommen ist, obwohl ihm die typischen Seilschaften fehlen und er nicht der Mann für die abendlichen Hinterzimmer-Bierchen ist. Kraft seiner Rhetorik hämmert er dem Siegener Parteitag ein, dass man trotz widriger Umstände voll auf Angriff umschalten werde. So deutlich wie selten zuvor erklärt er seine Bereitschaft zu Neuwahlen und zum umfassenden Wechsel in die Landespolitik: „Wir sind die Opposition der Einladungen. Wir sagen der Landesregierung: Stellt Euch doch der Neuwahl“, ruft er. Röttgen geißelt „Hybris, Irrsinn, Arroganz“ der verfassungsrechtlich mindestens bedenklichen „Präventionspolitik“ von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) auf Pump. Und wenn es noch einen Zweifel gegeben haben sollte, dass es Röttgen ernst meint mit seinem Sturm auf die nordrhein-westfälische Staatskanzlei, versucht er ihn an diesem Vormittag zu zerstreuen. Man werde Rot-Grün in den kommenden Wochen mit allen Mitteln bekämpfen, ob vor Gericht oder in Neuwahlen. Und für ihn selbst gelte, dass er auch im Falle einer Niederlage nach Düsseldorf wechseln werde: „Ich bin zu jeder Aufgabe bereit.“