Berlin. . Der DDR-Bürgerrechtler Roland Jahn ist neuer Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Jahn übernahm am Montag offiziell das Amt von Marianne Birthler, die zehn Jahre an der Spitze der Behörde stand.

Er brachte als Regimekritiker die SED-Führung mit mutigen Aktionen gegen sich auf, jetzt übernimmt er den wohl wichtigsten Posten zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte in der Bundesrepublik: Der 57 Jahre alte ostdeutsche Journalist Roland Jahn ist am Montagabend offiziell in das Amt des Stasiakten-Beauftragten eingeführt worden. Nach dem ersten Bundesbeauftragten Joachim Gauck und dessen Nachfolgerin Marianne Birthler ist Jahn der dritte Behördenleiter mit der Biografie eines ausgewiesenen DDR-Bürgerrechtlers.

Für Jahn ist die neue Aufgabe nicht nur Auftrag. „Dass ich, der ich in der Haft der Staatssicherheit saß und durch die Staatssicherheit abtransportiert worden bin aus meiner Heimat, die Akten verwalten darf, ist eine besondere Genugtuung“, sagt er in einem Interview. Sich selbst sieht er als „Anwalt der Opfer“ der SED-Herrschaft und seine Behörde als Symbol für die Aufklärung.

Der am 14. Juli 1953 in Jena geborene Jahn gehörte seit den siebziger Jahren zu den Kritikern des SED-Regimes und protestierte unter anderem gegen die Ausbürgerung des DDR-Liedermachers Wolf Biermann. Dies kostete ihn seinen Studienplatz an der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität, wo er Wirtschaftswissenschaften studierte. Fortan war er Transportarbeiter bei dem Traditionsunternehmen Zeiss, seine Protestaktionen setzte er aber fort.

Widerstand mit Blanko-Plakat

Auf der staatlichen Demonstration zum 1. Mai 1977 in Jena trug er statt der typischen Banner mit Pflichtparolen der SED ein leeres weißes Plakat. Genau fünf Jahre später stellte er sich mit einer Doppelmaske als Stalin und Hitler neben die Bezirksleitung der SED. Am 1. September 1982 wurde er verhaftet, weil er an seinem Fahrrad ein Fähnchen angebracht hatte, das den Schriftzug der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc trug.

Er erhielt eine mehrmonatige Haftstrafe, nach internationalen Protesten wurde er aber bereits im Februar 1983 wieder entlassen. Jahn beteiligte sich bald darauf an Demonstrationen der Jenaer Friedensgemeinschaft, das führte im Juni des Jahres schließlich zu seiner Abschiebung in den Westen. Er wurde zu einer der wichtigsten Stimmen der DDR-Opposition in der Bundesrepublik, war dort aber mit seiner Situation nicht vollkommen zufrieden: „Ich bin kein Systemgegner, verstehe mich nach wie vor als Sozialist“, schrieb er knapp zwei Wochen nach seiner Abschiebung im „Spiegel“.

Es dauerte denn auch nur zwei Jahre, bis er sich wieder in die DDR aufmachte. Er reiste illegal dorthin, traf sich mit anderen Oppositionellen, ließ sich aber schließlich zur Rückkehr in die Bundesrepublik überreden. Seine Kontakte zur DDR-Opposition brachen trotzdem nicht ab: So schmuggelte er eine Kamera in den Osten, mit der der Fotograf Siegbert Schefke Aufnahmen von der Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 machte.

Stasiunterlagen-Behörde bis 2019 gesichert

Während der DDR-Wende berichtete Jahn als Journalist über Demonstrationen, Besetzungen der Stasi-Zentralen und den Machterhaltungskampf von SED-Funktionären, später widmete er sich dem Thema Aufarbeitung der SED-Diktatur. Seit 1991 arbeitet er als festangestellter Redakteur für das ARD-Magazin „Kontraste“, seit 1996 sitzt er im Beirat der Robert-Havemann-Gesellschaft, die unter anderem ein wichtiges Archiv zur DDR-Opposition betreut. Seit 1999 gehört Jahn zudem dem Fachbeirat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur an.

Offen ist, wie lange Roland Jahn Stasiakten-Beauftragter bleiben wird. Denn bislang ist geplant, die Mammutbehörde mit seinen 1600 Mitarbeiter im Jahr 2019 aufzulösen und den Aktenbestand in das Bundesarchiv zu überführen. Damit könnte Jahn seine jetzige fünfjährige Amtszeit noch voll ausfüllen, eine weitere aber nur noch zum Teil. Doch von einem Ende der Akteneinsicht will der neue Herr über die Stasiakten nichts wissen. Sie solle „ewig aufrechterhalten“ werden, sagt der neue Behördenchef. Denn: „Je besser wir Diktatur begreifen, desto besser können wir jetzt Demokratie gestalten.“ (afp)