Berlin. . Er galt in der DDR als einer der unbequemsten Bürger. Jetzt ist der Journalist Roland Jahn neuer Chef der Stasi-Unterlagenbehörde und somit Nachfolger von Marianne Birthler geworden.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die Verdienste von Marianne Birthler als Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde gewürdigt. "Die Behörde braucht wie jede andere - manche meinen vielleicht auch, wie keine andere sonst - einen Kopf, der dem Thema in der Öffentlichkeit zu der Aufmerksamkeit verhilft, die es verdient", sagte der CDU-Politiker am Freitag im Bundestag. Birthler sei dies im vergangenen Jahrzehnt "vorbildlich gelungen". Die Abgeordneten wählten am Freitag mit großer Mehrheit den Journalisten Roland Jahn zu Birthlers Nachfolger, deren Amt im März turnusgemäß endet.

Der ostdeutsche Journalist Roland Jahn ist nach dem ersten Bundesbeauftragten Joachim Gauck und der noch bis März amtierenden Marianne Birthler der dritte Behördenleiter mit der Biografie eines ausgewiesenen DDR-Bürgerrechtlers. In der achten Klasse fällt Roland Jahn zum ersten Mal auf. „Er neigt dazu, in Opposition zu treten“, steht im Zeugnis des Jenaer Schülers. Aus der Neigung wird eine Haltung: Am 8. Juni 1983 schiebt die Stasi einen der unbequemsten Bürger der DDR gefesselt per Interzonenzug nach Westen ab. Er soll endlich Ruhe geben. Doch Jahn schweigt nicht. Er filmt, sendet, klärt auf.

Morgen will der Bundestag den Journalisten Roland Jahn als Nachfolger von Marianne Birthler zum neuen Chef der Stasi-Unterlagenbehörde wählen. Nach dem Rostocker Pfarrer Joachim Gauck und der Ostberliner Grünen-Politikerin Marianne Birthler wird mit Roland Jahn einer der wichtigsten deutsch-deutschen Journalisten zum neuen Herr der Akten.

Hartnäckiger Rechercheur

Der 57-Jährige, der seit Ende der Achtziger Jahre für das ARD-Politikmagazin „Kontraste“ arbeitet, hat nach seiner gewaltsamen Ausbürgerung mit seinen Fernsehbeiträgen Geschichte geschrieben. Und ist dabei auch auf die eigene gestoßen: Kurz nach dem Mauerfall, im März 1990, kommt Jahn mit einem Kamerateam in die Ostberliner Stasi-Zentrale. Er findet seine persönliche Akte, als einer der ersten Bundesbürger liest er, wie die Stasi sein Westberliner Leben ausspioniert hat. Den Schulweg der Tochter, die Stellung der Möbel in der Wohnung, jedes Detail. „Ich wollte nicht wahrhaben, wie hautnah, die an mir dran waren“, sagt Jahn. Gute Freunde entpuppen sich als Informelle Mitarbeiter (IM), im Westen wie im Osten. 21 Jahre später sollen just diese Akten seine Aufgabe werden – sobald Marianne Birthler im März nach zehn Jahren den Stab weitergibt.

Der gebürtige Thüringer steht im Ruf, hartnäckig in der Recherche zu sein, aber abwägend im Urteil. In der Behörde freuen sie sich auf den Neuen. Auf einen, der „nicht nur eine Meinung über die DDR hat, sondern auch Ahnung“, wie ein früherer Wegbegleiter sagt.

Als der Student Roland Jahn 1976 gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann protestiert, wird er exmatrikuliert und soll sich als Transportarbeiter bei Carl Zeiss Jena „bewähren“. Doch er lässt sich nicht einschüchtern. Plakatiert die Todesanzeige für seinen Freund Matthias Domaschk, der 1981 in Untersuchungshaft stirbt, in der ganzen Stadt. Fährt mit einer Solidarnosc-Fahne am Fahrrad durch Jena. Jahn wird im Jahr 1982 schließlich endgültig festgenommen. U-Haft, sechs Monate. Er verweigert die Aussage und übersteht die Haft. Wer das schafft, sagt einer, der ihn kennt, „der lässt sich von nichts mehr beeindrucken“.

Sechs Monate U-Haft

„Damals“, erinnert sich Jahn und meint die Zeit in der Einzelzelle im Jahr vor der Ausbürgerung, „hatte ich auch meine schwachen Momente. Aber am Ende hat mich das stark gemacht.“ Er kommt auf westlichen Protest hin frei, gründet eine oppositionelle Gruppe in Jena und wird schließlich von der Stasi unter einem Vorwand aufgegriffen und abgeschoben.

Doch die Rechnung des Regimes geht nicht auf. In den sechs Jahren bis zum Mauerfall sorgt Jahn dafür, dass sich jeder ein Bild über die DDR machen kann: Kameras wandern bei Nacht und Nebel über die Grenze, heimlich gedrehte Videofilme kommen zurück. Es gelingt Jahn und seinen Helfern, im Osten die Umweltsünden der DDR-Industrie zu dokumentieren, die verfallenden Städte, die Lage der Opposition. Die Filme laufen im Westfernsehen und erreichen über diesen Umweg auch die Menschen im Osten.

Am 9. Oktober filmen Jahns Kameraleute als einziges Fernsehteam heimlich von einem Kirchturm die Leipziger Montagsdemonstration. Am nächsten Abend sind die Bilder in den Tagesthemen. Die Massenbewegung ist nicht mehr zu leugnen, einen Monat später fällt dann die Mauer, die Archive werden aufgebrochen, die Akten geöffnet. Roland Jahn kennt die ganze Geschichte. Es ist seine.

Würdigung der Arbeit Birthlers

Laut Bundestagspräsident Lammert hat Birthler immer wieder darauf hingewiesen, dass es bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nicht nur um "das Schicksal von 17 Millionen DDR-Bürgern" geht, sondern vielmehr um den "prinzipiellen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie". Zudem habe Birthler Wert darauf gelegt, dass in den Stasi-Akten nicht nur zum Ausdruck komme, "was Menschen einander antun, sondern auch wie großartig sich Menschen selbst unter den Bedingungen einer Diktatur verhalten können". Dies sei ein Aspekt, der künftig noch weit mehr Beachtung verdiene als bisher.

Lammert erinnerte zudem an die historische Bedeutung des 28. Januar. Vor genau 24 Jahren habe der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow "tiefgreifende politische Reformen" gefordert, woraufhin Perestroika und Glasnost die Welt verändert hätten. Drei Jahre später habe der Zentrale Runde Tisch der DDR ebenfalls am 28. Januar die Vorverlegung der ersten freien Volkskammerwahl auf den 18. März 1990 beschlossen. (mit dapd)