Bengasi. . Der Despot ist noch lange nicht am Ende. Gaddafi heuert Söldner an und bereitet offenbar einen Gegenschlag vor. Die Rebellen haben der Soldateska des Diktators nicht viel entgegenzusetzen. Und die Nato läuft Gefahr, mitten in einen Bürgerkrieg zu geraten.

Alle zwei Tage tritt der Despot im Fernsehen auf. Sein alerter Sohn Saif gibt reihenweise Interviews im feinsten Hotel am Platze. Muammar Gaddafi und sein Handlanger haben sich in der Hauptstadt Tripolis eingeigelt. Die Revolution in Libyen dagegen ist erst einmal ins Stocken geraten.

Aus aller Herren Länder locken Verteidiger des Re­gimes inzwischen mit ihren Öldollars Söldner herbei. Der Westen des Landes ist nach wie vor in der Hand des Gaddafi-Clans, der die Bewohner an jeder Straßenecke mit durchgeladenen Waffen in Schach halten lässt.

Im Osten dagegen geht es nicht so recht weiter. Der Aufstand hat an Dynamik verloren, die Menschen sind er­schöpft. Stattdessen wächst die Gefahr, dass Gaddafis Leute mit schnellen Jeeps, Kampfflugzeugen und massiven Panzerkräften zurückkommen. Die ersten Angriffe auf die Versorgung der Gaskraftwerke von Bengasi laufen bereits. Die gesamte Region von Bengasi bis Tobruk ließe sich über die schnurgerade Wüstenstraße im Hinterland rasch umzingeln. Die Aufständischen wissen, ihr Despot seit 42 Jahren schreckt vor nichts zurück, um seine erschütterte Macht zu retten.

Greift der Westen ein?

Die USA und Europa aber stellt das Drama an der gegenüberliegenden Küste des Mittelmeers vor ein Dilemma. Offiziell lehnt die neue politische Führung im befreiten Teil-Libyen jede ausländische militärische Intervention ab. Man will den Sieg aus eigener Kraft erringen und nicht westlichem Militär verdanken. Intern jedoch scheint sich inzwischen die Einsicht breit zu machen, dass die eigenen Kräfte zu schwach sind.

Muammar al Gaddafi

Auf den Straßen von Bengasi...
Auf den Straßen von Bengasi...
...feiern die Menschen den Einzug...
...feiern die Menschen den Einzug...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... Regierungszeit machten  Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den
... Regierungszeit machten Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den "König der afrikanischen Könige". Oberst Gaddafi, nach eigenen Worten 1942 in einem Beduinenstamm ... © AP/Sergei Grits
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den "Staat der Massen" aus. Der regiert sich ... © AP/Francois Mori
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ.
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ. © REUTERS
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ...
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ... © REUTERS
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht.
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht. © REUTERS
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ...
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ... © REUTERS
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt.
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt. © REUTERS
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden.
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden. © REUTERS
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ...
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ... © REUTERS
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags.
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags. © AFP
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ...
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ... © REUTERS
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen.
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen. © REUTERS
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Die zu den Aufständischen übergelaufenen Offiziere be­kennen offen, ihre Einheiten können mit dem Waffenarsenal und den Söldnern des Diktators allein nicht fertig werden. Die besten Panzer, Kriegsjets und Hubschrauber sind in Händen der Elitetruppen von Gaddafis Söhnen. Die Regimegegner dagegen haben nur Militärschrott und eine gute Moral.

Ohne eine von den Vereinten Nationen verhängte Flugverbotszone und ohne westliche Luftangriffe auf Gaddafis Panzerarsenale und Fliegerhorste ist der Diktator wahrscheinlich nicht so bald vom Thron zu stoßen. Ein Eingreifen der Nato aus der Luft aber könnte das Bündnis schnell in neue Zugzwänge bringen.

Gaddafis Soldateska wird nicht einfach vom Erdboden verschwinden. Sie könnte einen blutigen Rachefeldzug gegen die Zivilbevölkerung entfesseln. Gaddafi selbst hat ein Blutbad angekündigt, sollte der Westen militärisch eingreifen. Das fallende Regime könnte zudem versuchen, sämtliche Ölanlagen des Landes in Brand zu setzen, um einer neuen Führung Rauch und Trümmer zu hinterlassen. Dann müsste der Westen seinen Luftraketen sehr bald Bodentruppen folgen lassen, um die Bewohner sowie die Ressourcen Libyens vor Tod und Zerstörung zu bewahren. Und Europas Soldaten stünden mitten in einem Bürgerkrieg.

Für vier Jahrzehnte war Libyen ein weißer Fleck auf der politischen Landkarte der Welt. Niemand wusste wirklich, was im Inneren der Diktatur vorging. Der Volksaufstand hat jetzt erstes Licht in das Dunkel gebracht – und offenbart Libyen als krassesten Fall von Machtmissbrauch in der gesamten arabischen Welt. Kein Diktator hat so brutal und despotisch geherrscht, seine Untertanen nach Belieben eingesperrt, gequält oder verschwinden lassen. Kein Diktator hat solche Unsummen an Geld außer Landes geschafft.

Das Volk ausgeraubt

Nach heutigen Erkenntnissen beläuft sich der dem Volk unterschlagene Wohlstand auf mehr als das Doppelte der offiziellen Devisenreserven von 70 Milliarden Dollar. Muammar Gaddafi hat sein Volk ausgeraubt und zugrunde gerichtet. Egal wie lange es noch dauern wird bis zum Sturz des Beduinen-Despoten, er lässt eine tief verstörte Gesellschaft zurück. Und deren soziale und seelische Erholung wird Jahrzehnte dauern.