Hamburg. . Viele Fragen, kaum Antworten: In Beckmanns Polit-Talk diskutierten Journalisten und Menschenrechtler über das Thema „Die Welt im Wandel, Diktatoren am Ende – welche Folgen hat der Aufruhr in Nordafrika?“
Zur aktuellen Lage in Libyen berichtet Renate Eisel bei Reinhold Beckmann: Sie wohnt immer noch im Landeszentrum, der Hauptstadt Tripolis. Die Situation in dem von Aufruhr geschüttelten Land: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt gegen den Diktatoren wegen Menschenrechtsverletzung. Die Uno beschließt Sanktionen gegen das Regime Gaddafi: Der Clan muss ein Reiseverbot und die Einfrierung ausländischer Konten hinnehmen. Die USA verlegt Kriegsschiffe näher an Libyen und zusammen mit der EU soll es wirtschaftliche Sanktionen in Form von Zahlungsstopps geben.
Eisel vermutet hinter der momentanen Ruhe jedoch den großen Sturm, der am nächsten Feiertag kommen soll. In Libyen ist das der Mittwoch, der Tag der Verkündigung der Staatsgewalt. Eisel möchte spätestens dann nicht mehr in Tripolis sein, sondern entweder auf dem Land oder in einem anderen Land, sagt sie. „Die Lage wird hier zu gefährlich.“ Gaddafi versuche, die Menschen durch Zahlungen von umgerechnet 300 Euro an die Bürger ruhig zu halten, was aber nach Einschätzung von Eisel nicht funktionieren wird.
„Nie Gedanken über Demokratie gemacht“
Bei Beckmann war vor allem die „Geo“-Redakteurin und Schriftstellerin Gabriele Riedle bemüht, dem Zuschauer die Strukturen im Regime Gaddafi greifbar zu machen. Als einzige westliche Journalistin hielt sie sich seit Januar 2011 in Libyen auf. Schon ein wenig stolz darauf, wohl auch zu Recht, beschrieb sie bei Beckmann die gesellschaftlichen Verhältnisse in dem Land, das sie bereist hatte. „Keine angenehme Reise“, sagt sie. „Schon bei der Ankunft am Flughafen wurden wir von der dortigen Medienbehörde überwacht.“
Journalisten aus dem Ausland konnten sich in keinem der arabischen Umsturzländer sicher fühlen, das verbindet die Staaten Tunesien, Ägypten und Libyen. Das Land unter Muammar el Gaddafi sei aber mit den anderen beiden Ländern nicht zu vergleichen, ist sich Riedle sicher. „Die Bevölkerung hat sich jahrelang keine Gedanken über die Demokratie gemacht.“ Weil alle Schüler vorschriftsmäßig aus dem „Grünen Buch“ Gaddafis zu lernen hatten, wüssten sie wenig über Politik Bescheid und noch weniger über Demokratie. Dies erschwere die Etablierung einer solchen im Lande.
Ratlose Gäste
Auch seien die Demonstrationen nicht von langer Hand geplant worden. Riedle: „Bis kurz vor der ersten Demonstration war unklar, dass es eine Demonstration geben wird und ob für oder gegen Gaddafi.“ Auch sei völlig unklar, wer nach einem möglichen Sturz Gaddafis das Land regieren werde. Da sind der Gaddafi-Clan, verschiedene Stämme, die Muslim-Brüder und sogar die Terrororganisation al-Qaida im Spiel.
Beckmanns Gäste waren ratlos ob der Zukunft des Landes. Sie konnten nicht eindeutig festmachen, welche Rolle die libyschen Stämme bei der Auflehnung gegen Gaddafi spielten. Ulrich Kienzle, bekannter Journalist und Nahost-Experte, spekulierte: „Gaddafi konnte die verschiedenen Stämme im Land nicht mehr zusammenhalten, deshalb musste es zu einer Eskalation kommen.“ Riedle widerspricht: Viele Stämme seien aber schon vorher mit Gaddafi in Konflikt geraten und hätten die Gunst der Stunde genutzt. Kienzle: „Das Ende wird ein blutiger Shootout werden.“ Eine friedliche Lösung für die Absetzung des Diktators sieht er nicht.
„Viele Journalistinnen haben sich in ihn verliebt“
Riedle trat als Expertin für die Gesellschaftsstrukturen Libyens auf. Kienzle dagegen zeichnete ein Bild von der Figur Gaddafi, die er nach fünf Jahren Amtszeit interviewen durfte. Schon damals sei der libysche Herrscher befremdlich gewesen. Behauptete, dass Lybien das einzige freie Volk auf Erden sei. „Doch man muss zugeben, dass er eine schöne Stimme hat und nicht unangenehm auftritt. Damals haben sich viele Journalistinnen in ihn verliebt.“
Zu Gast waren außerdem Nahost-Experte Peter Scholl-Latour und Amnesty International-Generalsekretärin Monika Lüke. Der „alte Haudegen“ Scholl-Latour, wie Beckmann ihn betitelte, konnte es im Laufe der Sendung nicht lassen, seine Lebenserfahrung auf die anderen Gäste niederprasseln zu lassen. Die Freude der anderen Gäste über Sanktionen gegen den Gaddafi-Clan ließ er nicht gelten: „Sanktionen haben noch nie etwas gebracht!“. Für naiv und blauäugig hielt er Lüke. Lüke schilderte menschliche Gräueltaten und die Lage der politischen Gefangenen in Lybien. Dort seien „unzählige Menschen, die in libyschen Gefängnissen verschwinden.“
Schonungslos stellte sie dann die Scham des Westens dar: „Der Westen wusste Jahrzehntelang, was in Libyen abgeht und hat erst heute gehandelt. Das ist beschämend.“ Auch Kienzle bemängelte: „Dem Westen ist Öl wichtiger als die Moral. Dabei produziere Libyen nur zwei Prozent des weltweiten Ölanteils, ein verschwindend geringer Anteil, im Gegensatz zu Saudi-Arabien, wo Unruhen den Benzinpreis in die Höhe trieben. Unsäglich, so die einheitliche Meinung, dass der Westen bis heute einen Terroristen, Folterknecht und Unterdrücker mit Waffen und Geld unterstützt habe. Kein Widerspruch durch Scholl-Latour. Schizophren sei seiner Meinung nach nicht nur Gaddafi, „schizophren ist der Westen.“