Tripolis. . Libyens Machthaber Gaddafi hat nun auch die Kontrolle über Teile der Hauptstadt verloren. Tripolis ist die letzte große Stadt, die ihm noch geblieben ist. Seine Gegner haben bereits weite Landesteile im Osten im Griff.
Libyens Machthaber Muammar Gaddafi hat nun auch die Kontrolle über Teile der Hauptstadt verloren. Am Samstag zogen sich seine Sicherheitskräfte Anwohnern zufolge aus dem Arbeiterviertel Tadschura zurück.
„Alle in Tadschura sind gegen die Regierung auf die Straße gegangen. Wir haben gesehen, wie sie unser Volk hier und überall im Land getötet haben“, sagte ein 25-jähriger Mann. „Wir werden weiter demonstrieren. Heute, morgen, übermorgen - bis sie sich ändern.“ Freitagabend hätten die Sicherheitskräfte noch auf Demonstranten geschossen, die sich auf den Weg zum Grünen Platz im Zentrum der Stadt gemacht hätten. Dabei seien fünf Menschen ums Leben gekommen. Eine Bestätigung für die Zahl gab es nicht.
Widersprüchliche Aussagen des Gaddafi-Clans
Die Schilderung steht in Kontrast zu den jüngsten Aussagen eines Sohnes von Gaddafi. „Frieden kehrt in unser Land zurück“, sagte Saif al-Islam Gaddafi am Freitag vor eigens nach Libyen eingeflogenen Journalisten. Er hoffe, dass es zu keinem weiteren Blutvergießen kommen werde. „Bis morgen gibt es eine Lösung“, sagte er. Zuvor hatte sein Vater seine Gefolgsleute zum Durchhalten aufgerufen.
Tripolis ist die letzte große Stadt in Libyen, die Gaddafi noch geblieben ist. Seine Gegner haben bereits weite Landesteile im Osten im Griff. Auch mehrere Städte westlich von Tripolis werden inzwischen von Aufständischen kontrolliert.
133 Ausländer mit deutschen Transall-Maschinen evakuiert
Insgesamt 133 ausländische Staatsangehörige sind am Samstag mit zwei deutschen Transall-Maschinen aus dem Süden Libyens ausgeflogen worden. Wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte, waren darunter auch Dutzende Deutsche und weitere EU-Bürger. Die Flugzeuge seien um 20.30 Uhr sicher auf Kreta gelandet, sagte Außenamts-Staatsminister Werner Hoyer der Nachrichtenagentur dapd.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zeigte sich erleichtert über die geglückte Aktion und dankte insbesondere den daran beteiligten Angehörigen der Bundeswehr. Westerwelle hatte die Aktion zuvor mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) abgestimmt und die Vorsitzenden aller Fraktionen des Bundestags informiert.
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes befinden sich derzeit noch rund 100 Deutsche in Libyen. Der Krisenstab ist weiterhin mit Hochdruck bemüht, ihnen die Ausreise zu ermöglichen.
Vor dem Hintergrund der dramatischen Lage in Libyen hat das Auswärtige Amt erneut die Reise- und Sicherheitshinweise zu Libyen verschärft. Die Reisewarnung für ganz Libyen wird beibehalten. Deutsche Staatsangehörige werden mit Nachdruck aufgefordert, das Land zu verlassen, sofern dies möglich und sicher erscheint.
Berlusconi: Gaddafi nicht mehr Herr der Lage
Auch international erhöhte sich der Druck auf Gaddafi. Sein engster Verbündeter in Europa, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, sagte am Samstag, dass Gaddafi nicht mehr Herr der Lage sei. Die USA verhängten Sanktionen gegen die libysche Regierung. US-Präsident Barack Obama unterzeichnete am Freitag eine entsprechende Direktive. Auch die Europäische Union hat sich im Grundsatz auf Sanktionen gegen das energiereiche Land geeinigt. Es herrsche Einigkeit, dass die Aktionen der libyschen Regierung nicht hingenommen und Brutalität sowie Einschüchterungen nicht akzeptabel seien, sagte der britische Premierminister David Cameron am Samstag nach Telefonaten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Berlusconi und dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan.
Mutmaßliche Söldner schießen auf Demonstranten in Misrata
Mutmaßliche Söldner im Dienst von Gaddafi haben am Samstag in der Stadt Misrata das Feuer auf Teilnehmer einer Beerdigung eröffnet. Ein Augenzeuge sagte in einem Telefonat mit AFP, zwei Helikopter hätten „Söldner auf der Baustelle der Sportarena im Viertel Merbat“ abgesetzt. Von dort hätten sie auf Trauergäste vor einer Moschee geschossen, die an der Beerdigung von Opfern der blutigen Niederschlagung der Proteste teilnahmen. Das rund 150 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis gelegene Misrata ist die drittgrößte Stadt des Landes.
Nach Angaben des Augenzeugen, der sich der Opposition zurechnet, schossen die Söldner auch auf das Gebäude des örtlichen Radiosenders. „Wir haben kaum Waffen und sind eingeschlossen von zwei regimetreuen Städten, Slitana und Sirte“, sagte der Augenzeuge. Wie er weiter sagte, boten Vertraute Gaddafis dem Chef des Stammes von Misrata an, in der Stadt einen unabhängigen Staat zu gründen, wenn er dafür versprechen würde, Tripolis nicht anzugreifen. Der Stammesführer habe dieses Angebot aber zurückgewiesen.
Augenzeugen: Gaddafi lässt Zivilisten bewaffnen
Gaddafi lässt nach Angaben von Einwohnern in Tripolis regimetreue Zivilisten bewaffnen, um gegen Demonstranten vorzugehen. In den Straßen der Hauptstadt patrouillierten zahlreiche Zivilpersonen, wie Einwohner am Samstag telefonisch berichteten. Sie sollten Kontrollstellen errichten und gegen Regierungsgegner vorgehen.
Muammar al Gaddafi
Gaddafi hatte am Freitag angekündigt, die Waffendepots zu öffnen, „sodass alle Libyer und Stämme bewaffnet werden“. Während einer Rede in Tripolis rief er Anhänger auf, die Demonstranten zu bekämpfen und „die Nation zu verteidigen“. Protestierende Regierungsgegner gerieten am Freitag bei den ersten größeren Demonstrationen in Tripolis seit Tagen in einen Kugelhagel.
Am Samstag blieben die meisten Einwohner der Hauptstadt aus Furcht zu Hause. Die Mehrzahl der Geschäfte war geschlossen, vor geöffneten Bäckereien bildeten sich Schlangen von Menschen, die sich mit Vorräten eindecken wollten.
China und Türkei bringen Bürger in Sicherheit
Bis zum Samstag wurden mindestens 16.000 chinesische und 10.000 türkische Arbeiter aus Libyen in Sicherheit gebracht, die meisten von ihnen Beschäftigte in der Bau- und Ölindustrie. Viele der Chinesen kamen mit Schiffen auf der griechischen Insel Kreta und in Malta an. Von dort sollten sie in ihre Heimat weiterfliegen.
Außerdem flüchteten nach Angaben von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon 22.000 Menschen über die Grenze nach Tunesien und 15.000 Menschen nach Ägypten. Es gebe zahlreiche Berichte, wonach die Flüchtlinge mit Gewehren und Messern bedroht worden seien, sagte Ban. Viele, die es über die Grenze schafften, hätten von schrecklichen Erlebnissen berichtet. (Reuters/afp/ap/dapd)