Berlin. Bei der Hartz-IV-Reform ziehen die Länderchefs im Bundesrat mit Ursula von der Leyen (CDU) mit. In Kürze soll es nun neue Gespräche geben. Ministerin fühlt sich als Gewinnerin
Wolfgang Böhmer knurrt, „manche vergessen, dass im Bundesrat die Länder die Regie führen.“ Es ist der Schlüsselsatz, um zu begreifen, was gestern in Berlin gespielt wurde: Es kam nicht zur Kraftprobe über die Hartz-IV-Reform. Denn die Ministerpräsidenten haben darauf gepocht, dass weiter verhandelt wird. Ein Scheitern war für sie nicht akzeptabel.
Drei Männer rissen die Initiative an sich: Der Rheinland-Pfälzer Kurt Beck, der Christdemokrat Böhmer aus Sachsen-Anhalt und der Bayer Horst Seehofer; der einflussreichste, weil er auch CSU-Chef ist. Hinter dem Trio versammelten sich im Lauf des Vormittags alle Länderchefs. Nächste Woche werden die Gespräche aufgenommen. Alle versprachen sich auf die Hand, dass sie zügig verhandeln und dabei ebenso kompromisswillig wie diskret vorgehen werden.
Der Bundestag war gestern ein Nebenschauplatz. Während die Ministerpräsidenten die Köpfe zusammensteckten, fetzten sich die Parteipolitiker im Hohen Haus. Den meisten war klar, dass sie eine Schau (Sigmar Gabriel) abzogen. Bei anderen, bei FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger etwa, war man sich wiederum nicht sicher, ob sie wussten, wo die Musik spielte.
Flüstern in der hinteren Bank
Angela Merkel bemühte sich, auf Ballhöhe zu bleiben. Mal beriet sich die Kanzlerin auf einer hinteren Bank, wo man unter sich sein konnte, mit ihrem Fraktionsmanager, mal flüsterte Kanzleramtschef Ronald Pofalla ihr die letzten Neuigkeiten aus dem Bundesrat zu. Mal sah man Merkel simsen. Mal traf sie sich mit Pofalla und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Manuela Schwesig von der SPD ging sie und Merkel hart ran. Unter anderem warf sie der Ministerin vor, den Frauen in den Rücken gefallen zu sein, weil sie den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht durchgesetzt habe. Es war ein leidenschaftlicher Auftritt und ein bestandener Härtest, weil sich die SPD-Frau nicht von den Zwischenrufen irritieren ließ. Sie schienen sie eher anzuspornen.
Nach ihrer Rede - im Rausch des Beifalls der SPD - huschte ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht. Ihre Gegenspielerin von der Leyen bewies derweil Nehmerqualitäten. Sie ertrug die Angriffe mit dünnem Lächeln, wie gewohnt. Ihr ist nur eine Sorte Falten eigen: Lachfalten.
Stille Freude
Die Ministerin kriegt auch keine Sorgenfalten, weil offensichtlich nun die Länderchefs am Steuer sitzen. In der Öffentlichkeit mag Ursula von der Leyen wie eine politische Anhalterin aussehen, die von anderen mitgenommen wird. Insgeheim ist sie jedoch davon überzeugt, dass sie die Gewinnerin ist. Es geht um ihre Gesetze, um ihren Etat. Sie wird nach einer Reform vermutlich mehr Geld denn je verteilen...
In den letzten sieben Wochen hat sie allerdings viel Lehrgeld gezahlt. Die Gespräche, die anstehen, werden künftig in einer Gruppe geführt und nicht wie bisher in drei. Eine weitere Lehre: Offiziell wird man sich erst wieder an einen Tisch setzen, wenn ein Ergebnis feststeht.
Vor allem sollen die Gespräche nicht überfrachtet werden. Der Mindestlohn wird als Thema leicht ausgeblendet. Die Politiker wollen offenbar den Tarifparteien in den Branchen Weiterbildung, Leiharbeit und Sicherheitsgewerbe ein Jahr Zeit geben, sich zu einigen. Wenn dann immer noch keine fairen Bedingungen herrschen, soll der Staat eingreifen. Erst dann. Und nur dann.
Fünf Euro plus x?
Bund und Länder, Regierung und Opposition werden damit vorwiegend über Hartz IV reden. Wobei das Bildungspaket längst ausverhandelt und finanziert ist. Strittig bleibt der Regelsatz. Die Regierung will ihn um fünf Euro erhöhen.
Aber sie ist bereit, an anderer Stelle nachzubessern. Etwa mit einem Zuschuss für ein Monatsticket der öffentlichen Verkehrsmittel. Die Ministerin schöpft Hoffnung. Wäre doch gelacht, wenn eine von der Leyen es nicht hinkriegen sollte.