Kairo. . Die arabische Welt ist seit dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali in Aufruhr. Ob es auch Ägyptens Potentaten Mubarak erwischen wird, ist jedoch fraglich.

Tunesien Revolution ließ Mitte Januar politisch die Erde beben. Inzwischen erreichen die Schockwellen auch die anderen arabischen Regime. Noch nie in der modernen Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens hat ein arabisches Volk aus eigener Kraft seinen Diktator davongejagt. Und so bangen jetzt auch die anderen Langzeit-Potentaten um ihre Macht.

„Weg mit Mubarak“ skandierten zehntausende Menschen am Dienstag in allen großen Städten Ägyptens und riefen „Tunesien, Tunesien“. „Brot und Freiheit“ forderte die Menge in der Innenstadt von Amman und „Schluss mit der Unterdrückung“. In Tunesien campieren empörte Bürger bereits mehrere Nächte vor dem Amtssitz von Interim-Regierungschef Mohammed Ghannouchi und verlangen den Rücktritt aller Minister, die in das Regime von Ben Ali verwickelt waren. Auch in Algier tobten wieder Straßenschlachten, weil viel zu viele junge Leute keine Arbeit finden. Jeden Tag zünden sich Menschen an aus Protest gegen ihre miserablen Lebensumstände – in Marokko, Algerien, Mauretanien und Ägypten. Und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Unruhen auch auf Syrien und Libyen übergreifen.

Wie aufgeheizt ist die Stimmung in Ägypten?

Für die Opposition und Menschenrechtsgruppen am Nil war ihr „Tag des Zorns“ am Dienstag ein bisher einmaliger Erfolg. Im ganzen Land gingen Menschen gegen das Regime auf die Straße – so viele wie noch nie in den drei Regierungsdekaden von Hosni Mubarak. In Kairo ließ die Polizei die Menge einige Stunden gewähren, erst nach Mitternacht wurde der zentrale Tahrir-Platz dann mit extremer Brutalität geräumt. Am Mittwoch früh gab Innenminister Habib al-Adly dann wieder die übliche harte Linie aus. Wer weiter protestiert, wird verhaftet und vor Gericht gestellt, ließ er in einem dürren Kommunique verbreiten. Doch so leicht lassen sich die Menschen nicht mehr einschüchtern. Am Nachmittag machten sich wieder hunderte auf den Weg, zum zweiten „Tag des Zorns“. „Dieses Land gehört uns allen“, riefen sie, wie vor zwanzig Jahren in Leipzig die Demonstranten „Wir sind das Volk“. Doch bis dahin ist der Weg noch lang. Denn die ägyptische Polizei ist berüchtigt für ihre Brutalität, die Opposition berühmt für ihre Zerstrittenheit. Die Parteien sind schwach und desorganisiert, Mubaraks Regierungspartei übermächtig und allgegenwärtig. Einzig die Muslimbruderschaft bildet ein nennenswertes Gegengewicht zum Regime. Doch ihre Mitglieder halten sich in der Regel abseits, wenn zivilgesellschaftliche Gruppen zu Protesten aufrufen – so auch am Dienstag.

Droht Mubarak der Machtverlust?

Tunesiens Revolution ist kein Exportmodell – das jedenfalls denkt die politische Klasse Ägyptens. Sie sehen Präsident Hosni Mubarak weiter fest im Sattel. Jede Gesellschaft habe ihre eigenen Umstände, argumentierte Außenminister Ahmed Abul Gheit und nannte die Parallele beider Länder „baren Unsinn“ und „Phantasterei“. „Wir können doch nicht sagen, eine Gesellschaft ist gescheitert und unfähig, wenn es gleichzeitig 60 Millionen Handybesitzer gibt“, polterte er. Doch ausgerechnet diese digitale Revolution hat die Proteste erst möglich gemacht – in Tunesien wie auch in Ägypten. In beiden Staaten konnten sich die Menschen bisher nur im virtuellen Netz versammeln – per Facebook, Twitter oder SMS. Und in beiden Ländern haben sie ihre elektronische Verbundenheit schließlich umgemünzt in Protestaktionen auf der Straße.

Offiziere fühlen sich als Elite


Welche Rolle spielen Polizei und Militär?

Anders als in Tunesien steht das ägyptische Militär loyal zu dem gelernten Luftwaffen-General Hosni Mubarak. Die Offiziere fühlen sich als Elite der Nation und als Rückgrat der Macht. Sie gehen fest davon aus, dass auch Mubaraks Nachfolger aus ihren Reihen kommt. Und sie sind entschlossen einzugreifen, falls die Polizei mit den Protesten der Bevölkerung nicht mehr fertig wird.Tunesiens Oberkommandierender Rachid Ammar dagegen zwang am Ende den früheren Geheimpolizisten Ben Ali zur Flucht. „Unsere Revolution ist eure Revolution“ versicherte der General Anfang der Woche tausenden von Demonstranten. „Das Militär wird die Revolution beschützen.“ Rachid Ammar hatte sich in den dramatischen Januartagen geweigert, seine Soldaten auf die Bevölkerung schießen zu lassen und damit entscheidend zum Sturz des verhassten Diktators beigetragen. Auch gingen seine Truppen nach dem Umsturz entschieden gegen Plünderer und marodierende Banden des alten Regimes vor. Mehrmals schritten Soldaten in den letzten Tagen ein, um Demonstranten vor Übergriffen der Polizei zu schützen.

Was unterscheidet die Situation in Ägypten von der in Tunesien?

Im Unterschied zu Ben Alis Tunesien, aber auch zu Libyen und Syrien bietet Ägypten einige Ventile mehr für den Frust in der Bevölkerung. So hat sich seit einigen Jahren eine private Zeitungslandschaft etabliert, die heiße Eisen anpackt und das Regime kritisch kommentiert. Auch im Umgang mit der Muslimbruderschaft fuhr Mubarak bisher einen weniger brachialen Kurs als Tunesiens Ben Ali, Syriens Bashar al-Assad oder Libyens Muammar Gaddafi. In Ägypten sind die Islamisten offiziell als Partei verboten, waren aber in den letzten fünf Jahren mit 88 nominell unabhängigen Kandidaten im Parlament vertreten. Es gibt zwar immer wieder Verhaftungswellen, hunderte Mitglieder sitzen als politische Gefangene hinter Gittern. Doch hat Mubarak nie versucht, die Muslimbrüder von der politischen Landkarte zu tilgen und ins Exil zu zwingen. Erst bei den letzten Parlamentswahlen im November 2010 ließ der alte Langzeit-Pharao seine frommen Widersacher komplett aus dem Parlament entfernen, um die Machtlandschaft für seine Thronfolge im September 2011 zu planieren.

Wie ist die Lage in anderen Ländern der Region?

Auch in Jordanien brodelt es. Noch nie in seiner 87-jährigen Geschichte hat das Hashemitische Königreich ohne ausländische Hilfsgelder existieren können. Auch kürzlich sprangen die USA dem bedrängten König Abdullah II. wieder mit einer Finanzhilfe von 100 Millionen Dollar bei, damit er die Preise für Brot und Benzin senken lassen kann. Doch sein Volk will mehr. Es fordert den Sturz der Regierung und den Wandel zu einer konstitutionellen Monarchie. Der König soll die meisten seiner Vollmachten abgeben, sagen die Demonstranten. Seinen Sturz allerdings fordern sie bisher nicht.

Wie reagiert der Westen und gibt es eine Gefahr für die Touristen?

EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton versteht die Proteste in der Region als „Wunsch nach einem politischen Wandel“. US-Außenministerin Hillary Clinton beschwor die Regierung in Kairo, stärker auf die legitimen Forderungen der Bevölkerung einzugehen. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle forderte alle Beteiligten auf, nicht zur Gewalt zu greifen. Eine allgemeine Reisewarnung für Touristen jedoch hat Berlin bisher nicht ausgesprochen. „Wir gehen davon aus, dass die ägyptische Regierung stabil ist“, erklärte Hillary Clinton noch am Dienstagabend.