Tallin. .
Als 17. Staat in der Euro-Zone führt Estland zum 1. Januar den Euro als Staatswährung ein. Der Ostsee-Staat gilt als Musterschüler in Sachen Haushaltsdisziplin. Die Mehrheit der Bevölkerung begrüßt den Schritt in die Euro-Zone.
Die Euro-Zone gibt derzeit ein wenig einladendes Bild ab: Die Überschuldung einiger Mitgliedsländer nagt am Vertrauen in die europäische Gemeinschaftswährung, die Regierungen schnüren milliardenschwere Rettungspakete und zanken sich über die richtigen Lehren aus der Krise. Schwarzmaler prophezeien gar einen Zerfall des Währungsblocks. Inmitten dieser ungemütlichen Stimmung führt am 1. Januar Estland als 17. Staat den Euro-Zone als Zahlungsmittel ein - mit Rückenwind aus der Bevölkerung.
52 Prozent Zustimmung
Vom Ecu zum Euro
1970: Der Werner-Bericht - benannt nach dem damaligen luxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Werner - schlägt einen Drei-Stufen-Plan für eine Europäische Währungsunion vor. Der Bericht kam jedoch aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht weiter auf die politische Agenda.- 1978: Das Europäische Währungssystem EWS wird gegründet. Kernelemente sind die in Relation zur Rechnungseinheit ECU (Europäische Währungseinheit) festgelegten Leitkurse, die Schwankungsbreiten um diese Leitkurse und die Möglichkeit zu Wechselkursänderungen im gegenseitigen Einvernehmen.
1989: Der Delors-Bericht - benannt nach EU-Kommissionspräsident Jacques Delors - wird zum Leitfaden für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und sieht ebenfalls einen Drei-Stufen-Plan vor.- 1992: Der Maastricht-Vertrag wird unterzeichnet. Er legt den Zeitplan für die WWU sowie die Kriterien für die Teilnahme fest. Dänemark und Großbritannien wurde in einer sogenannten Opt-Out-Klausel die Option auf Nichtbeteiligung eingeräumt.
1994: Beginn der zweiten Phase der WWU mit der Gründung des Europäischen Währungsinstituts (EWI).
1995: Wahl des Namens „Euro“ für die Einheitswährung.- 1997: Der EU-Gipfel von Amsterdam beschließt den Stabilitätspakt, der Sanktionen gegen WWU-Teilnehmer vorsieht, die nicht dauerhaft die Konvergenzkriterien einhalten.
1998: Der Beginn der Währungsunion am 1. Januar 1999 wird beschlossen. Die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt als Nachfolgerin des EWI ihre Arbeit auf.
1999: Offizielle Einführung des Euro als Buchgeld.
2001: Griechenland schließt sich der Euro-Zone an.
2002: Einführung der Euro-Münzen und -Scheine.
2007: Slowenien kommt zur Euro-Zone.
2008: Zypern und Malta schließen sich an.
2009: Die Slowakei übernimmt als 16. Land den Euro
2011: Estland führt den Euro ein. (dapd)
In einer von der Regierung in Tallinn in Auftrag gegebenen Umfrage sprachen sich zuletzt 52 Prozent der Esten für den Euro aus, 39 Prozent lehnten ihn ab. In einer unabhängigen Erhebung war der Abstand zwischen Befürwortern und Gegnern etwas geringer: Während 49 Prozent der Befragten die europäische Währung begrüßten, wollten 43 Prozent an der estnischen Krone festhalten.
Bis zu ein Prozent mehr Wirtschaftswachstum pro Jahr werde der Euro dem Land in den kommenden zwei Dekaden bringen, sagt der estnische Wirtschaftsminister Juhan Parts und beruft sich dabei auf Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). „80 Prozent unseres Außenhandels wickeln wir innerhalb der Europäischen Union ab. Der gemeinsame Markt bringt Vorteile alle von uns.“ Ministerpräsident Andrus Ansip setzt auf die „Stabilität“ und den Schutz vor Spekulanten, die der Euro-Beitritt mit sich bringe. Der Wechselkurs der Krone ist bereits seit 2002 an den Euro gekoppelt.
Drittes Euro-Land im ehemaligen Ostblock
Die Gegner der Euro-Einführung befürchten allerdings, dass Estland durch die Gemeinschaftswährung Schaden nehmen wird. „Wie lange kann ein System, dessen Mitglieder die Stabilitätskriterien nicht einhalten, noch bestehen?“, sagt etwa der Anti Poolamets, Chef einer estnischen Anti-Euro-Bewegung. Außerdem beklagt er den Verlust der Kontrolle über die Währungspolitik. Während der fast fünf Jahrzehnte mit dem sowjetischen Rubel hätten die Entscheidungsmöglichkeiten bei null gelegen, sagt Poolamets. „Und in der Euro-Zone wird es genauso sein.“
Estland ist nach Slowenien und der Slowakei das dritte Land aus dem ehemaligen Ostblock, das den Euro einführt. Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 stellte die damalige Regierung radikal von der Plan- auf die Marktwirtschaft um. In den kommenden Jahren erwarb sich Estland dank seines beeindruckenden Wirtschaftswachstums den Ruf des „baltischen Tigers“, 2004 folgte die EU-Mitgliedschaft. Bereits 2007 versuchte die Regierung in Tallinn den Beitritt zur Euro-Zone, scheiterte aber, weil die boomende Wirtschaft damals die Inflation zu stark nach oben getrieben hatte.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise erwischte auch Estland kalt. Die Wirtschaftsleistung brach 2009 um 14,1 Prozent ein, einer der stärksten Rückgänge weltweit. In diesem Jahr wächst die estnische Wirtschaft dagegen Schätzungen zufolge wieder um 2,5 Prozent, auch für 2011 wird mit einem stabilen Wachstum gerechnet.
Musterschüler in Sachen Sparpolitik
Bei der Haushaltsdisziplin hat sich Estland in der Vergangenheit als Musterschüler erwiesen - und dürfte damit im Kreise der Euro-Staaten das auf eine Sparpolitik pochende Lager um Deutschland unterstützen. Während einige Euro-Staaten 2009 zweistellige Defizite einfuhren, lag der Fehlbetrag im estnischen Budget mit 1,7 Prozent des BIP deutlich unter der erlaubten Marke von drei Prozent. Zwischen 2002 und 2007 erwirtschaftete Estland sogar Haushaltsüberschüsse, ab 2013 soll das Budget laut den Zielen der Mitte-rechts-Regierung erneut schwarze Zahlen ausweisen.
Andrus Saalik, hochrangiger Mitarbeiter im estnischen Finanzministerium, sieht sein Land daher als Vorbild. „Die aktuelle Situation zeigt, dass viele andere EU-Staaten einen Sparkurs wie Estland fahren müssten“, sagt Saalik. Angesichts der EU-Hilfen für Griechenland und Irland und der problematischen Haushaltslage in Ländern wie Portugal oder Spanien dürfte die Bundesregierung diese Töne gerne hören. Die Stimme Estlands, das gerade einmal 1,3 Millionen Einwohner zählt, dürfte im Club der Euro-Staaten aber kaum ins Gewicht fallen. (afp)