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Michail Chodorkowski ist von einem Moskauer Gericht wegen Betrugs in millardenhöhe schuldig gesprochen worden. Warum es dem Putin-Kritiker zum Verhängnis wurde, als er seinen Reichtum in politischen Einfluss ummünzen wollte.
Der Öl-Millardär und Putin-Kritiker Michail Chodorkowski ist von einem Moskauer Gericht wegen Betrugs in millardenhöhe schuldig gesprochen worden. Wie es zum Aufstieg und Absturz des Oligarchen kam. Wen es so um 1990 ins Herz des Weltkommunismus, also nach Moskau, verschlug, der konnte den Umbruch buchstäblich greifen. Der sah – auch ohne die neue Politik der Öffnung des Reform-Kremlführers Michail Gorbatschow bis ins Detail zu verstehen – die neue Zeit ins vorherige Zentrum der Planwirtschaft einziehen: Coca-Cola-Neonreklame und McDonald’s-Filialen erleuchten die im Prinzip tristgrauen Metropole. Der Kapitalismus ist da, er ist farbig, und er bringt gutes Geld.
Die Mächtigsten der Welt
So um diese Zeit herum hatte das ein junger, 1963 geborener Mann längst begriffen, der sich zuvor um den sozialistischen Jugendverband Komsomol bemüht hatte und nun eine Privatfirma für Computer-Handel gegründet hat. Und weil sich Rubel um Rubel mehrt, greift dieser Michail Chodorkowski schon bald nach den Sternen, wird Mitbegründer der ersten Privatbank Russlands, wird Politiker, gar Minister und steigt nicht viel später (auf seltsamem Wege) mit fast 80 Prozent der Aktien beim Ölkonzern Jukos ein, ist alsbald Multimilliardär und Russlands reichster Mann.
Wilder Osten
Dass eine solche Irrsinnskarriere möglich wird, liegt an den Turbulenzen unter der Präsidentschaft von Boris Jelzin. Russland durchlebt einen elementaren Wandel. Der wilde Osten, Marktwirtschaft radikal – sie stürzt Millionen ins Elend, macht eine kleine Schicht superreich. Sie sind die „Oligarchen“, und immer wieder ist – wie bei Chodorkowski – Öl ihr Geschäft.
Wenn knallhartes Big Business das Maß aller Dinge ist, dann hat der gelernte Chemiker bisher alles richtig gemacht. Dann aber gedenkt er seinen Reichtum in politischen Einfluss umzumünzen. Er fördert Parteien, die sich für das Land als Bürgergesellschaft engagieren, kehrt den Gönner heraus, indem er hier und dort Millionen verteilt, er prangert Korruption im Regierungsgefüge an und begeht sodann den kapitalen Fehler, den mächtigen Präsidenten Wladimir Putin zu kritisieren. Strebt Chodorkowski selbst die Präsidentschaft an? Das fragt sich Putins Umgebung, jedenfalls ist dieser Oligarch ein schmerzender Stachel in Putins Machtapparat: Es wendet sich dieses Mannes Blatt.
Exempel statuiert
Am 25. Oktober 2003 wird er verhaftet. Betrug und Steuerhinterziehung wirft man ihm vor. Auf acht Jahre Arbeitslager lautet das Urteil. Ein „politischer Prozess“ empören sich nicht nur Regierungskritiker, „an ihm wird nicht Recht gesprochen, sondern ein Exempel statuiert“.
Auch im Straflager JG 14/10 in der Nähe der chinesischen Grenze deutet manches daraufhin. Da verbüßt er seine Strafe, kahlgeschoren, in Schlafsälen mit 160 Mann. Da wird er wegen des verbotenen Besitzes von zwei Zitronen gerügt, da er-hält er auch wegen anderer angeblicher Verstöße Verweise. Etwa, weil er trotz Befehls nicht die Hände auf dem Rücken verschränkte. Warum diese Strenge, warum diese Rügen? Vielleicht, weil nach russischem Recht eine vorzeitige Freilassung möglich ist. Aber nur bei einer „tadellosen Führung“? Das alles hat Chodorkowski nicht mürbe gemacht. Auch im Straflager blieb er Putin-Kritiker, Rebell. Als Märtyrer sehen ihn seine Jünger. Noch sehr lange werden die ihn nicht in Freiheit erleben.