Berlin. Promi-Duelle, Polit-Krimis und ein Virologen-Comeback: Hier fallen die spannendsten Erststimmen-Entscheidungen bei dieser Bundestagswahl.

Durch die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition hat die Erststimme bei dieser Bundestagswahl an Wert verloren. Wenn eine Partei durch ihr Zweitstimmenergebnis weniger Sitze erhält, als sie Direktmandate gewonnen hat, gehen ihre Wahlkreisgewinner mit dem prozentual schlechtesten Ergebnis leer aus. Dennoch gibt es auch bei dieser Wahl einige spannende Erststimmen-Entscheidungen, die es im Blick zu halten lohnt.

Besorgt, zuversichtlich, unentschlossen: So ticken Deutsche vor der Bundestagswahl

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    Wahlkreis 61: Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II

    Es ist das wohl prominenteste Duell: In Potsdam vor den Toren Berlins treten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gegeneinander an. Mit der ehemaligen FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg steht noch ein dritter Name mit überregionaler Bekanntheit auf dem Wahlzettel.

    Wahlarena des DGB
    Bundeskanzler Olaf Scholz (r.), Außenministerin Annalena Baerbock (2. von rechts) und weitere Direktkandidaten des Wahlkreises bei einer Wahlkampfveranstaltung in Potsdam. © DPA Images | Christoph Soeder

    Bei der vergangenen Wahl 2021 war die Aufmerksamkeit gar noch größer, war es doch das direkte Duell zweier Kanzlerkandidaten. Am Ende siegte Scholz mit 34 Prozent vor Baerbock (18,8 Prozent). Der Wahlkreis ist seit 1990 mit nur einer Ausnahme (CDU, 2013) fest in sozialdemokratischer Hand.

    Wahlkreis 192: Erfurt – Weimar – Weimarer Land II

    Auch im Herzen Thüringens tummeln sich einige politische Schwergewichte im selben Wahlkreis. In der Landeshauptstadt Erfurt stehen sich gegenüber: Carsten Schneider (SPD, Ostbeauftragter der Bundesregierung), Kathrin Göring-Eckardt (Grüne, Bundestags-Vizepräsidentin), Bodo Ramelow (Linke, ehemaliger Ministerpräsident Thüringen) und Thomas Kemmerich (FDP, 2020 mit AfD-Stimmen gewählter Kurzzeit-Ministerpräsident). Auch AfD-Kandidat Alexander Claus werden Chancen eingeräumt.

    Podiumsdiskussion
    Bodo Ramelow am 30. Januar bei einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt. Für seine Partei Die Linke will er diesen Wahlkreis im Rahmen der Mission Silberlocke direkt gewinnen. © FUNKE Foto Services | Marco Schmidt

    Schneider holte 2021 das Direktmandat (24,4 Prozent), sieht sich nun aber neben der in Thüringen sehr präsenten AfD auch noch der Konkurrenz durch Ramelow ausgesetzt. Der beliebte Linken-Politiker soll den Wahlkreis als Teil der „Mission Silberlocke“ gewinnen, bei der die Linke durch drei gewonnene Direktmandate über die Grundmandatsklausel ihren Einzug ins Parlament absichern möchte.

    Wahlkreis 159: Dresden II – Bautzen II

    Es war ein regelrechter Krimi bei der vergangenen Bundestagswahl: Mit gerade einmal 35 Stimmen Vorsprung gewann CDU-Mann Lars Rohwer in Dresden das Direktmandat vor Andreas Harlaß (AfD). Beide Kandidaten kamen auf 18,6 Prozent der insgesamt abgegebenen 189.409 Stimmen. Auch die Kandidaten von SPD, Linke, Grüne und FDP kamen jeweils über zehn Prozent der Stimmen.

    Rohwer will sein Mandat verteidigen und sagte gegenüber t-online: „Die letzte Wahl hat gezeigt, dass es sich lohnt, um jede einzelne Stimme im Wahlkreis zu ringen.“ Für die AfD tritt diesmal Matthias Rentzsch an. Sollten sich die Erststimmenergebnisse wieder so gleichmäßig auf alle Parteien verteilen und ein derart niedriges Ergebnis wie 2021 für den Sieg im Wahlkreis reichen, droht durch die Wahlrechtsreform ein unbesetztes Direktmandat.

    Wahlkreis 94: Köln III

    Die Zeiten einer rot-grünen Mehrheit auf Bundesebene sind wohl auf absehbare Zeit vorbei. Im Kölner Norden aber dominieren die beiden Parteien in der Frage der Erststimme, weil es dort den Showdown der Fraktionsvorsitzenden gibt. Rolf Mützenich von der SPD trifft auf Katharina Dröge von den Grünen. 2021 hatte Mützenich knapp die Nase vorn, aber beide sind natürlich auch dieses Jahr wieder über ihre Landeslisten abgesichert.

    Wahlkreis 95: Bonn

    Gleich nebenan liegt ein Wahlkreis, in dem die Erststimme höchste Relevanz hat. Hendrik Streeck, in der Corona-Pandemie bekannt gewordener Virologe, will hier für die CDU in den Bundestag einziehen. Weil er keinen Platz auf der Landesliste seiner Partei hat, ist er auf ein starkes Erststimmenergebnis angewiesen.

    Merz und Wüst besuchen Krankenhaus
    Hendrik Streeck, in der Corona-Pandemie bekannt gewordener Virologe, möchte für die CDU in Bonn über die Erststimme in den Bundestag einziehen. © DPA Images | Oliver Berg

    Im Wahlkampf spielte Streeck mit seiner Bekanntheit und verteilte Hustenbonbons, auf der Verpackung waren sein Gesicht und der Wunsch „Gute Besserung“ abgedruckt. Die CDU will durch Streecks Strahlkraft das erste Mal seit 1998 wieder den alten Wahlkreis von Konrad Adenauer gewinnen. Für die SPD kandidiert dort die Ex-Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal. Laut jüngsten Prognosen stehen die Chancen für den Virologen Streeck diesmal aber wohl tatsächlich gut.

    Wahlkreis 85: Berlin-Lichtenberg

    Im Osten der Hauptstadt kommt es zum direkten Duell zweier prominenter Frauen der politischen Ränder. Ines Schwerdtner, Bundesvorsitzende der Linken, hat es mit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD, Beatrix von Storch, zu tun. Umfragen prognostizieren ein äußerst knappes Rennen. 2021 ging der Wahlkreis an die Linken-Kandidatin Gesine Lötzsch. Es war eines der drei Direktmandate, die auch vor vier Jahren schon die Grundmandatsklausel aktivierten und das Überleben der Linken im Bundestag sicherten. Diesmal tritt Lötzsch nicht mehr an.

    Weitere spannende Wahlkreisentscheidungen

    Auch in zwei andere Berliner Wahlkreise lohnt am Sonntag der Blick: Michael Müller (SPD), ehemals Regierender Bürgermeister der Hauptstadt, muss in Charlottenburg-Wilmersdorf gewinnen, um weiter Abgeordneter zu bleiben. Die Listenabsicherung hatte er im Dezember nach einer Kampfabstimmung verloren. Pankow war der Wahlkreis des Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar, der in einer Affäre über teilweise erfundene Belästigungsvorwürfe gestürzt wurde. Das Thema erschütterte die Bundespartei im Januar, nun tritt Julia Schneider an, bisher Mitglied des Abgeordnetenhauses. Das Rennen ist völlig offen, der Wahlkreis könnte auch an die Linke oder die AfD fallen.

    Im Main-Taunus-Kreis in Hessen stehen zwei Mitglieder der Ampel-Regierung zur Wahl: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Und auch Friedrich Merz (CDU) hat im Rennen um das Direktmandat im Hochsauerlandkreis einen durchaus prominenten Gegner: Dirk Wiese, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD und Chef der NRW-Landesgruppe. Ob er allerdings verhindern kann, dass dies der neue Kanzler-Wahlkreis wird, ist äußerst fraglich: Merz hatte schon bei der vergangenen Wahl deutlich die Oberhand behalten (40,4 Prozent zu 32,2 Prozent).