Berlin. Das Assad-Regime ließ Tausende Menschen in Gefängnissen töten. Kaum ein Täter ist bisher bestraft worden. Ändert sich das jetzt?

In den syrischen Gefängnissen von Diktator Baschar al-Assad gab es ein Gerät, das alle nur den „deutschen Stuhl“ nannten. Ein Gestell, an das Menschen mit den Händen nach hinten gefesselt wurden. Die Lehne war beweglich, die Folterer konnten den Rücken des Gefangenen überstrecken. So stark, dass manchen die Wirbelsäule brach.

In den Folterstätten des nun gestürzten Regimes sollen Wärter auch den „fliegenden Teppich“ genutzt haben, um Menschen zu quälen. Ein Holzbrett, auf das Gefangene gefesselt und dann geschlagen wurden. Assads Sicherheitsleute zwangen Menschen in einen Autoreifen, misshandelten die wehrlose Person. „Dulab“ nennen die Syrer diese Folter. Das alles geht aus Gerichtsakten hervor. Weitere Hinweise liefern Menschen, die in Assads Gefängnissen gefoltert wurden. Unsere Redaktion hat in den vergangenen Jahren mit mehreren Betroffenen gesprochen.

Stiller Protest in Damaskus: Angehörige fordern Aufklärung über Vermisste

weitere Videos

    Allein im berüchtigten Geheimdienst-Gefängnis Sednaya, nahe der Hauptstadt Damaskus, wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International 13.000 Menschen ermordet. Der syrische Anwalt Anwar al-Bunni berichtet von „unzähligen“ Kerkern, geheimen Folterkellern und Geheimdienstanlagen. Viele hatten nur eine Nummer, so wie das Militärkrankenhaus in Tishreen, die 607. Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 150.000 Menschen seit 2011 unter Assad verschwunden sind. Genau lassen sich die Opferzahlen nicht ermessen.

    Es ist eines der größten Verbrechen einer neuzeitlichen Diktatur. All das wissen auch deutsche Staatsanwälte. Beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe und beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden ermitteln Teams seit vielen Jahren zu Foltervorwürfen in Syrien. Die Juristen vernahmen mehr als 1000 Zeugen, vor allem nach Deutschland geflüchtete Syrerinnen und Syrer, die vor Assad und dem Bürgerkrieg geflohen waren.

    Syrer feiern den Sturz Assads in Berlin-Neukölln.
    Syrerinnen und Syrer in Berlin feiern das Ende der Diktatur unter Herrscher Assad. © IMAGO | Achille Abboud

    Sachverständige der deutschen Behörden werteten zudem Zehntausende Fotos aus – Bilder, die ein ehemaliger syrischer Militärfotograf außer Landes geschmuggelt hatte, die sogenannten „Caesar-Files“. Es sind Fotos von Leichen, sie belegen Verbrennungen, Schnitte, Wunden, Prellungen, Geschwüre. Ist weißlicher Schaum vor dem Mund der Leichen zu erkennen, werten Fachleute das als Erstickungstod. Oftmals waren die Gefangenen eingepfercht in die Räume, sodass sie nur stehen konnten, berichteten Zeugen.

    Nun ist Assad gestützt, geflohen nach Russland. Syrien wird von den Islamisten der Hayat Tahrir al-Sham regiert. Gleich in den ersten Tagen nach der Machtübernahme befreiten die Islamisten die Menschen aus den Gefängnisanlagen. Sie entdeckten dunkle Räume, eng, verdreckt, teilweise blutverschmiert. Es sind neue Beweise für die Verbrechen des Regimes, die hinter den geöffneten Kerkertüren bekannt werden könnten. Neue Zeugen der Gewalt, die reden können. Das ist auch eine Chance für die Strafverfolger in Karlsruhe.

    Möglich macht die Ermittlungen gegen Assads Geheimdienste das „Weltrechtsprinzip“

    Deutsche Ermittler jagen Assads Folterer – wie kann das sein? Schließlich sind die Verbrechen weit weg von deutschem Staatsgebiet verübt worden, weder Täter noch Gefolterte sind Deutsche. Möglich macht die Ermittlungen gegen Assads Geheimdienste das sogenannte „Weltrechtsprinzip“. Es ist in das deutsche Völkerstrafgesetzbuch eingeschrieben – anders als bei Straftaten wie Körperverletzung oder Mord spielt bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit keine Rolle, welche Nationalität Täter und Opfer haben und wo der Tatort liegt: Der Generalbundesanwalt kann trotzdem ermitteln. Die Regelung im deutschen Recht sehen viele Juristen als eine Konsequenz aus dem Massenmord der deutschen Nationalsozialisten, eine historische Verantwortung, die auch die deutsche Justiz trägt.

    Seit 2011 untersuchen deutsche Staatsanwälte die Foltervorwürfe. Bisher konnten sie nur in sehr wenigen Fällen mutmaßliche Folterer festnehmen, kaum ein Täter ist bisher für die Gewalt bestraft worden. Doch zwei Erfolge feierten die Behörden: 2021 verurteilte das Oberlandesgericht in Koblenz den Syrer Eyad A. zu viereinhalb Jahren Haft. A. galt nur als kleines Rad in Assads Folterapparat. Was die Richter ihm nachwiesen: Er soll mitgeholfen haben, 30 Demonstranten gegen das Regime in ein Foltergefängnis zu verschleppen.

    185445_569_185445_cover.jpg

    Gefangen in Syrien: Die Zukunft der IS-Terroristen?

    Im Krisenmodus

    Noch bedeutender ist das Urteil gegen Anwar R. ein Jahr später, 2022, wieder am Koblenzer Gericht. R. ist der ranghöchste ehemalige syrische Geheimdienstmitarbeiter, der in Europa wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wird. Anwar R. soll Leiter der Ermittlungsabteilung der Haftanstalt al-Khatib ins Damaskus gewesen sein, Abteilung Nummer 251. Ermittler wiesen ihm Tötung, Folter, Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Tateinheit mit Mord in 27 Fällen nach, gefährliche Körperverletzung in 25 Fällen, auch Freiheitsberaubung und sexuellen Missbrauch und Geiselnahme. Das Urteil: lebenslang.

    Kriegsverbrechen in Syrien wurden vor einem deutschen Gericht verhandelt – es ist diese Verantwortung, mit der sich die Justiz der Bundesrepublik gerne schmücken lässt. Und doch ist kaum absehbar, wie sehr sich der enorme Aufwand der Ermittler noch bezahlt machen wird. Vor allem zeigt sich auch im Fall Syrien das, was im Völkerstrafrecht oft passiert: Die Befehlshaber an oberster Stelle kommen davon, verurteilt werden andere. Assad ist abgetaucht, soll in Russland sein.

    Doch Menschen wie Mohammad Mawed vergessen nicht. Er sagt, er schöpfe neue Hoffnung, „dass all jenen Gerechtigkeit widerfährt, die ihr Leben verloren haben, ohne einen ihrer Menschlichkeit würdigen Tod zu finden“. Jetzt, wo Assad weg ist. Wo die Täter nicht mehr durch eine Diktatur geschützt werden. Auch Maweds Vater wurde verschleppt und inhaftiert durch das frühere Regime. Das letzte Lebenszeichen sei ein Foto aus dem berüchtigten Militärgefängnis von Saidnaya, sagt Mawed. „Dort ist mein Vater gestorben.“ Sein Sohn hat seine Leiche auf einem der Fotos des Militärfotografen „Ceasar“ entdeckt.

    Mawed selbst war rund sieben Monate in einem von Assads Gefängnissen eingesperrt. Er erzählt, er habe sich 2011 an den Protesten gegen die Assad-Regierung beteiligt. 2014 verhaften ihn Sicherheitsleute. „Als wir ins Gefängnis gebracht wurden, haben sie uns zur Begrüßung auf den Kopf geschlagen. Das nannten sie Willkommensritual“, erzählt der heute 31 Jahre alte Mawed. Nachdem das Regime ihn freigelassen hatte, floh der Syrer erst in die Türkei, dann nach Deutschland. Seit 2015 lebt er mit seiner Frau und seinen Töchtern in Stralsund.

    Folteropfer Mohammed Mawad. Er lebt heute in Deutschland. Sein Vater überlebte die Haft in Syrien nicht.
    Folteropfer Mohammed Mawad. Er lebt heute in Deutschland. Sein Vater überlebte die Haft in Syrien nicht. © Privat

    Menschen wie Mohammed Mawed können wertvolle Zeugen für deutsche Ermittler sein. Wie so viele Syrerinnen und Syrer, die seit 2015 nach Deutschland geflohen sind. Sie alle bringen ihre Geschichte über das alte Regime mit.

    Zugleich sind in einigen wenigen Fällen Täter geflohen. Auch nach Deutschland. So wie der verurteilte Geheimdienstler Anwar R., der in Berlin Asyl beantragte. In der Hauptstadt fühlte er sich verfolgt von Assads Schergen, erstattete Anzeige bei der Polizei – und erzählte den Beamten von seiner Tätigkeit in den Gefängnissen. Die Aussagen landeten bei den Ermittlern in Karlsruhe. Sie begannen ein Verfahren: gegen Anwar R.

    Wie kurios und selten dieser Fall ist, zeigt, wie schwer deutsche Ermittler an Täter herankommen. Das gilt weiterhin. Ob die neuen Machthaber die Täter zur Rechenschaft ziehen, bleibt offen. Dass einzelne Assad-Mitarbeiter nach Deutschland fliehen, ist bisher nicht bekannt. 

    Faeser: Wir werden Schutzgewährungen für Syrer "überprüfen"

    weitere Videos

      Trotzdem wollen die deutschen Strafverfolger weitermachen. „Gerechtigkeit muss und darf kein Traum für uns bleiben. Dieses Urteil ist nur ein Anfang und wir haben einen langen Weg vor uns“, sagte damals nach dem Urteil gegen R. eine der syrischen Zeuginnen und Nebenklägerin in dem Prozess, Ruham Hawash.

      Mohammed Mawed wurde damals in eine dreißig Quadratmeter große Zelle gesperrt, in der mehr als 80 Menschen standen. „Die Luft war stickig, es war ein unerträglicher Gestank nach Tod, Blut, Krankheit, Urin und Schimmel.“

      Heute genießt Mawed die Freiheit in Deutschland. An den Folgen der Folter leidet er jetzt noch. Zwar gehe es ihm körperlich besser, sagt er. „Aber innerlich bin ich immer noch ein Gefangener dieser Erfahrung.“

      Lesen Sie auch: Folter in Syrien: „Sag meiner Frau, dass ich tot bin“