Stuttgart. Die FDP will beim traditionellen Dreikönigstreffen nach vorn blicken und sich selbst Mut machen. Das gelingt erstaunlich gut.

Manchmal wirken zwei Monate wie zwei Jahre. Dinge, die vor nicht allzu langer Zeit passiert sind, liegen dann gefühlt schon weit zurück. Für die Politik gilt das allemal.

Montagvormittag in Stuttgart: Freie Demokraten aus der gesamten Republik sind zu ihrem traditionellen Dreikönigstreffen zusammengekommen. Die Veranstaltung in der Staatsoper ist für die Liberalen seit jeher der politische Neujahrsauftakt. Das Ende der Berliner Ampelkoalition ist auf den Tag genau zwei Monate her. Am denkwürdigen Abend des 6. November entließ Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach endlosen Querelen den damaligen Finanzminister von der FDP, Christian Lindner, womit die Scheidung des Regierungsbündnisses besiegelt war.

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Nun, am 6. Januar, versuchen die Liberalen in Stuttgart, nach vorn zu blicken und sich selbst Mut zu machen. Das gelingt ihnen erstaunlich gut. Gestern noch Regierungspartei, jetzt Oppositionskraft mit ungewisser Zukunft: Es sieht ziemlich düster aus für die FDP, was der Stimmung in der Stuttgarter Oper aber keinen Abbruch tut. In sechseinhalb Wochen finden vorgezogene Bundestagswahlen statt. Nach Lage der Dinge muss die Partei damit rechnen, aus dem Parlament zu fliegen. Das hindert die Freien Demokraten freilich nicht daran, auf eine abermalige Regierungsbeteiligung zu hoffen. Dieses Mal aber unter einem CDU-Kanzler Friedrich Merz. Und dann, so lautet der Schwur, werde man wirklich Ernst machen mit grundlegenden Reformen und der Wirtschaftswende in Deutschland.

Christian Lindner lässt sogar Selbstkritik anklingen

Am Montag gibt es zunächst Ansprachen der baden-württembergischen Parteiprominenz. Dann hat der neue FDP-Generalsekretär Marco Buschmann seinen ersten Auftritt. Der ehemalige Justizminister erklärt den anstehenden Urnengang zur „Richtungswahl“ zwischen liberaler und linker Wirtschaftspolitik. „Machen wir diese Dreikönigskundgebung zum Ausgangspunkt einer phänomenalen Aufholjagd“, ruft er den Gästen zu – und setzt damit den Ton für die Rede von Parteichef Lindner.

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#6 Strack-Zimmermann über ihren Kampf gegen den Kanzler

Meine schwerste Entscheidung

Christian Lindner ist der Kopf und das Gesicht der FDP. Bisher ist er unangefochten, und es ist nicht einmal klar, ob sich das ändern würde, falls sich Ende Februar die düsteren Wahlprognosen für die Freien Demokraten bestätigen sollten.

Der 45-Jährige redet am Montag mehr als eine Stunde – wie immer frei, kämpferisch und pointiert. Es ist eine große Tour d’Horizon durch die Themen, die den Liberalen wichtig sind: bessere Bildung, solide Staatsfinanzen, weniger Steuern und Bürokratie, mehr Leistung, mehr Freiheit, bessere Bedingungen für alle, die etwas wagen und schaffen wolle.

Lindner sagt unter anderem, es brauche eine „Mentalitätswende“ in Deutschland. Und: „Unser Staat hat sich ausgedehnt und überdehnt.“ Oder: „Es ist nicht der Staat, der die Wirtschaft finanziert. Die Wirtschaft muss den Staat finanzieren.“ Oder auch: „Leistung ist für viele etwas, was man nicht erbringt, sondern was man beantragt.“ Solche Sätze kommen bestens an im Publikum.

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Der Parteichef lässt an einigen Stellen sogar Selbstkritik anklingen. Vorsichtig distanziert er sich vom amerikanischen Tech-Milliardär und AfD-Unterstützer Elon Musk, dessen disruptive Art er unlängst noch als vorbildlich dargestellt hatte. Bei Musks Parteinahme für die rechte AfD gehe es nicht um Deutschland, sagt Lindner. „Es geht darum, Deutschland zu schwächen und zu chaotisieren.“ Kein Patriot und keine Patriotin dürfe darauf hereinfallen.

Eine Argumentation wird man in den kommenden Wochen noch öfter hören

Lindner sagt auch, nach dem Ampel-Aus sei man „unsouverän und unprofessionell“ mit Indiskretionen, Enttäuschungen und Kampagnen des politischen Gegners umgegangen. Tatsächlich ging es in der Partei nach dem Auseinanderbrechen der Koalition drunter und drüber. Schnell wurde klar, dass sie monatelang auf das Ende des Regierungsbündnisses hingearbeitet hatte. Als Ende November ein Strategiepapier voller Weltkriegs-Rhetorik dazu auftauchte, fegte dies den damaligen Generalsekretär Bijan Djir-Sarai aus dem Amt.

Erst am Ende seiner Rede kommt der FDP-Chef auf mögliche Regierungsoptionen nach der Bundestagswahl zu sprechen. „Wir brauchen nicht nur einen Kanzlerwechsel, wir brauchen einen Politikwechsel“, sagt Lindner mit Blick auf Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Diese Veränderung sei nur mit Schwarz-Gelb zu haben. Bei Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün gebe es doch nur wieder eine Art „Ampel light“, sagt der Parteichef. „Die CDU/CSU nimmt in einer Koalition immer die Farbe ihrer Koalitionspartner an. Sie ist ein politisches Chamäleon.“

Und dann kommt eine Argumentation, die man in den kommenden Wahlkampfwochen noch öfter hören wird. Im Kern geht sie so: Nur Schwarz-Gelb könne die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Und sollte das ausbleiben, dann habe die AfD bei den übernächsten Bundestagswahlen 2029 freie Bahn.

Es gehe jetzt darum, Enttäuschte vom politischen Rand zurück in die Mitte zu holen. Der Wahlsieg Donald Trumps in den USA habe gezeigt, dass Bürger, die sich bevormundet fühlen und Angst vor dem Abstieg haben, Populisten wählen, wenn diese ein Versprechen auf wirtschaftliche Gesundung geben. Mit Blick auf Deutschland sagt Christian Lindner: „Ohne AfD und BSW gäbe es längst eine schwarz-gelbe Mehrheit im Deutschen Bundestag.“

Die Liberalen in der Stuttgarter Oper feiern ihren Parteivorsitzenden mit stehenden Ovationen. Die Parteigänger hier hat Lindner längst auf seiner Seite. Bei den Wählern sieht das anders aus – und es bleiben ihm nur noch anderthalb Monate Zeit.