Wien. Die Versuche, in Österreich eine Ampelkoalition zu formen, sind gescheitert. Damit steht das Land vor großen politischen Umbrüchen.

Österreich steht am politischen Nullpunkt. Drei Monate nach der Wahl sind die Koalitionsgespräche geplatzt. Nach dem Ausstieg der liberalen Kleinpartei NEOS aus den Gesprächen mit der konservativen ÖVP und den Sozialdemokraten (SPÖ) am Freitag hat am Samstag nun auch die ÖVP das Handtuch geworfen – und mit ihr auch Kanzler Karl Nehammer. Der Versuch, eine Mehrheit ohne Einbindung der rechtsradikalen FPÖ, der stärksten politischen Kraft im Nationalrat, zu formen, ist damit gescheitert. Viel mehr aber noch: Der Kollaps der Koalitionsgespräche kommt viel eher einer politischen Implosion gleich, angesichts derer sichtbar wird, wie innerlich zerrüttet das Land und unversöhnlich die politischen Lager sind.

Gestärkt geht jedenfalls nur eine politische Kraft aus diesem dreimonatigen Fiasko: die FPÖ. Sie hatte seit Vergabe des Regierungsbildungsauftrages an die zweitplatzierte ÖVP durch den Bundespräsidenten den Wahlkampf einfach weitergeführt. Die Wahl im September hat die FPÖ mit 28 Prozent gewonnen. Heute liegt sie laut Umfragen bei 35 Prozent.

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Was dem Scheitern der Versuche, eine Dreierkoalition zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS zu bilden, tatsächlich zugrunde liegt, ist schwer zu sagen. Die NEOS haben der SPÖ Unbeweglichkeit vorgeworfen. Ebenso die ÖVP. Die SPÖ wiederum behauptet, nicht auf Maximalforderungen wie Erbschafts- und Vermögenssteuer bestanden zu haben. Eine Rolle dürfte auch das Thema Rente gespielt haben.

Karl Nehammer war seit 2021 Regierungschef Österreichs (Foto: Archiv)
Karl Nehammer war seit 2021 Regierungschef Österreichs (Foto: Archiv) © APA/dpa | Helmut Fohringer

Klar ist: Die Ausgangslage ist alles andere als rosig und der Reformbedarf ist riesig. Im Haushalt klafft ein gigantisches Loch. Die Rede ist von einem Einsparungsbedarf von 18 bis 24 Milliarden Euro. Die Wirtschaftslage ist bereits trist. Das haben spektakuläre Pleiten wie die des Motorradherstellers KTM zuletzt sichtbar gemacht. Ebenso trist sind die wirtschaftlichen Aussichten. Der Hauptgrund, so Ökonomen: Strukturelle Standortprobleme.

Hinzu kommt, dass sowohl die prekäre Budgetlage als auch die düsteren Wirtschaftsprognosen erst wenige Tage nach der Wahl bekannt wurden. Im ÖVP-geführten Finanzministerium muss man von all dem seit geraumer Zeit gewusst haben. Stattdessen bemühte man aber die Beruhigungsleier.

Nach einer kurzen Gesprächsrunde zwischen ÖVP und SPÖ am Samstag war Nehammer per Videobotschaft an die Öffentlichkeit gegangen, um das Ende der Gespräche zu verkünden.

Bundespräsident Van der Bellen vor schwieriger Wahl

Am Sonntag werden nun die Parteigremien der ÖVP über die Nachfolge Nehammers als Parteichef beraten. Erwartet wird, dass dieser unmittelbar nach den parteiinternen Beratungen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen zusammenkommt, um dessen Auftrag zur Regierungsbildung formell zurückzulegen. Danach ist Van der Bellen am Zug. Dieser hat de facto zwei Optionen: Entweder er fordert Neuwahlen oder er erteilt der FPÖ einen Auftrag zur Regierungsbildung. Beides ist für den einstigen Grünen-Chef Van der Bellen ein politischer Verrenkungsakt sondergleichen.

Bundespräsident Alexander  Van der Bellen steht vor einer schwierigen Entscheidung.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen steht vor einer schwierigen Entscheidung. © APA/dpa | Florian Wieser

Dabei entscheidet sich vor allem in der ÖVP, wie es weitergeht im Land. Nehammer hatte eine Koalition mit der FPÖ unter Herbert Kickl klar abgelehnt. Innerhalb der ÖVP gibt es aber eine starke FPÖ-Neigungsgruppe. Da SPÖ, NEOS und Grüne eine Koalition mit der FPÖ dezidiert ablehnen, die FPÖ alleine aber keine Mehrheit im Nationalrat hat, bliebe nur die ÖVP als Partner.

Entscheidend ist also, wer die Nachfolge Nehammers als ÖVP-Chef antritt. Gehandelt werden mehrere Namen. Da ist etwa der Oberösterreicher Wolfgang Hattmannsdorfer. In der Landesregierung Oberösterreichs war er für Soziales und Jugend verantwortlich (2021 bis 2024) und hat damit Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der FPÖ. Hattmannsdorfer ist 45 Jahre alt, also verhältnismäßig jung, gilt als ambitioniert, hat allerdings keinerlei politisches Profil.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz werden Ambitionen auf den ÖVP-Vorsitz nachgesagt.
Ex-Kanzler Sebastian Kurz werden Ambitionen auf den ÖVP-Vorsitz nachgesagt. © AFP | Georg Hochmuth

Ex-Kanzler Sebastian Kurz vor politischem Comeback?

Gehandelt wird zudem die scheidende Verfassungsministerin Karoline Edtstadler. Sie war bereits nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz 2021 als Parteichefin im Gespräch. Allerdings: Zwischen ihr und Kickl gibt es eine ganze Reihe an offenen Themen. Nicht zuletzt, dass das rechtsrechte Lager und allen voran die FPÖ vor allem sie für den Beschluss der Impfpflicht verantwortlich macht. Aber da ist noch ein Name, der zuletzt in steter Regelmäßigkeit gefallen ist: Sebastian Kurz.

Dem einstigen ÖVP-Chef, Zweifach-Kanzler und zuletzt Investor und Berater im Thiel-Umfeld werden seit einiger Zeit wieder politische Ambitionen nachgesagt. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass er für einen fliegenden Wechsel ohne vorherige Wahl in Frage kommt. Denn: Die ÖVP wäre in einem solchen Fall der Juniorpartner in einer etwaigen Koalition. Und dass Kurz den Vizekanzler macht, gilt als ausgeschlossen. Kurz werden allerdings auch Ambitionen nachgesagt, eine eigene Liste zu gründen.