Berlin. Der Parteichef buhlt öffentlich um die Zuneigung der Union. Vor dem Dreikönigstreffen in Stuttgart ist seine Lage verfahrener denn je.

Das Wort „Stalking“ hat seinen Ursprung in der englischen Jägersprache. Heranpirschen, Hetzen, Jagen – darum geht’s. Vom Wald und aus der Heide ist der Begriff mit der Zeit weitergezogen in Kriminologie und Strafrecht. Und zwar im Sinne von Nachstellen, Verfolgen, Psychoterror.

FDP-Chef Christian Lindner ist Jäger, aber ein Stalker will er nicht sein. In sieben Wochen wird ein neuer Bundestag gewählt. Für die Liberalen sieht es ziemlich düster aus. Die Parteiführung hofft gleichwohl, dass es irgendwie reichen wird für einen Wiedereinzug ins Parlament. Und für ein Bündnis mit CDU und CSU unter einem Kanzler Friedrich Merz.

FDP-Chef Christian Lindner (links) und sein Generalsekretär Marco Buschmann vor einem Lindner-Wahlplakat. Die Partei kämpft vor der Bundestagswahl um ihr Überleben.
FDP-Chef Christian Lindner (links) und sein Generalsekretär Marco Buschmann vor einem Lindner-Wahlplakat. Die Partei kämpft vor der Bundestagswahl um ihr Überleben. © dpa | Kay Nietfeld

Am Freitag nun, wenige Tage vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart, hat sich Lindner erneut an die Christdemokraten herangepirscht und sie aufgerufen, sich zur schwarz-gelben Option zu bekennen. Er bedauere, dass die Union ihre Offenheit für Koalitionen mit SPD und Grünen „wie eine Monstranz vor sich herträgt“. Nach dem Scheitern der Ampel müsse Friedrich Merz aber klar sein, dass mit linken Parteien keine grundsätzlich andere Wirtschafts- und Migrationspolitik möglich sei.

Er erwarte ja keine Koalitionsaussage, die auf Exklusivität hinauslaufe, sagte Lindner noch. „Mir liegt auch Stalking fern. Ich denke nur, dass die Union besser abschneiden würde, wenn sie klar sagen würde: Wir kämpfen für eine Mehrheit in der Mitte, alles andere ist für uns nur zweite Wahl.“

Friedrich Merz: Keine Zweitstimmen-Hilfe für die Liberalen

Anfang Dezember erst hatte sich der FDP-Chef bereits mit einem Video direkt an den „lieben Friedrich Merz“ gewandt und diesen eindringlich vor einer Annäherung an die Grünen gewarnt. Es war ein ungewöhnlicher Schritt, der nach Einschätzung vieler Beobachter deutlich machte, wie nervös die Liberalen und ihr Vorsitzender inzwischen sind.

194150_1325_194150_cover.jpg

#5 Strack-Zimmermann über ihren Kampf gegen den Kanzler

Meine schwerste Entscheidung

Denn CDU-Mann Merz ist seit geraumer Zeit ziemlich klar – und abweisend: Er sagt, auch die Freien Demokraten seien ein Wettbewerber in der politischen Mitte und Lindner allein komme die Aufgabe zu, seine Partei zu stabilisieren. Es werde auch keine Zweitstimmen-Hilfe der Union für die FDP geben. Zugleich unternehmen Merz und seine Leute auffällige Lockerungsübungen, um nach der Wahl ein Bündnis mit den Sozialdemokraten eingehen zu können. Oder notfalls mit den Grünen, obwohl der Bayer Markus Söder (CSU) das nicht will.

Ein FDP-Vorsitzender, der sich wiederholt einem anderen Parteichef um den Hals wirft. Umfragen, die nach dem kläglichen Ampel-Aus ein Wahlergebnis deutlich unterhalb der Fünf-Prozent-Schwelle erwarten lassen und damit das Ende der FDP als parlamentarische Kraft. Dazu eine Debatte darüber, ob es wirklich so klug von Lindner war, den amerikanischen Tech-Milliardär und AfD-Unterstützer Elon Musk als Vorbild für Deutschland zu preisen: Das ist die Lage, in der sich die Liberalen befinden, wenn sie am kommenden Montag um 11 Uhr in der Stuttgarter Oper zu ihrem Dreikönigstreffen zusammenkommen.

Auch interessant

In der FDP hoffen sie, dass in Stuttgart ein Ruck durch die Partei geht und der sich anschließend aufs Wahlvolk überträgt. „Dreikönig war und ist das liberale Hochamt, Start und Ausgangspunkt für eine Orientierung der Partei“, sagte FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer dieser Redaktion. Nach dem Ampel-Aus lägen die Themen der Zeit auf dem Tisch: „Deutschland muss dringend wieder wirtschaftlich an Fahrt gewinnen. Wir müssen wegkommen vom rot-grünen Nanny-Staat und wieder mehr Freiheit und Eigenverantwortung zulassen.“ Meyer ergänzte: „Dreikönig wird der Auftakt zu unserer Aufholjagd.“

Tatsächlich ziehen die Freien Demokraten jetzt in eine Schlacht, von der viele befürchten, dass sie die letzte sein könnte. Denn sollte die FDP aus dem Bundestag fliegen, würden nicht nur etliche liberale Abgeordnete ihre Mandate verlieren. Dann stellte sich auch die Frage, ob die alte bundesrepublikanische Staatspartei FDP überhaupt noch eine Zukunft hat. Ob mit oder ohne Lindner, dürfte dann schon fast zweitrangig sein.

Auch interessant

11,4 Prozent der Stimmen hatten die Liberalen bei der Wahl 2021 geholt. Zurzeit sehen die Meinungsforscher sie bei drei bis vier Prozent. Tendenz: eher sinkend. Der FDP ist es nach den endlosen Streitereien der Ampel-Jahre und dem spektakulären Rauswurf des damaligen Finanzministers Lindner durch Kanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang November offenkundig noch nicht gelungen, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen.

Dabei hatten die Liberalen schon Monate vor dem Ampel-Aus versucht, sich auf ihre klassische Kernklientel der Freiberufler, Unternehmer und leitenden Angestellten zu fokussieren. Das blieb aber ohne Erfolg. Bei den jüngsten Landtagswahlen verschwanden sie überall in der Bedeutungslosigkeit.

Freie Demokraten: Ein Papier mit reichlich Weltkriegsrhetorik

Als die Ampel dann Anfang November implodierte, stellte sich rasch heraus, dass die FDP über lange Zeit hinweg gezielt auf dieses Szenario hingearbeitet hatte. In einem Papier mit Weltkriegsrhetorik war von „D-Day“ und „offener Feldschlacht“ die Rede. Als es an die Öffentlichkeit gelangte, trat Ende November der damalige Generalsekretär Bijan Djir-Sarai zurück. Ein Beben ging durch das Berliner Hans-Dietrich-Genscher-Haus. Parteichef Lindner überstand es unbeschadet.

Jetzt ist der ehemalige Justizminister Marco Buschmann FDP-Generalsekretär. Er wird am Montag neben Lindner der Hauptredner sein beim Dreikönigstreffen in Stuttgart. Die beiden werden alles geben, daran besteht kein Zweifel. Aber es geht ja auch um alles. Für sie selbst und für die Partei.