Berlin. Union und SPD betonen laut ihre Unterschiede, aber inhaltlich sind die gar nicht so groß. Was jetzt auf eine Neuauflage der GroKo hindeutet.
Große Lust auf GroKo? Hat niemand. Doch vieles deutet darauf hin, dass Union und SPD nach der Bundestagswahl am 23. Februar eine Koalition schmieden. Gegen alle anderen Zweierbündnisse sprechen aktuell entweder die Umfragen oder sie sind von vornherein ausgeschlossen: Die Union will weder mit den Grünen noch mit der AfD regieren, und für ein Bündnis mit der FDP reicht es nicht. Friedrich Merz und die SPD – kann das gut gehen? Eine Analyse.
Union und SPD – wie vergiftet ist das Klima?
Der Wahlkampf wird kurz und hart: Olaf Scholz gegen Friedrich Merz, der Sozialdemokrat gegen den Konservativen, das Duell ist längst eröffnet. Der Ton ist scharf. Begegnen sich die beiden im Bundestag, fliegen die Fetzen, es wird nachgetragen und nachgetreten. Nach außen geben sich beide immer wieder cool – doch die Gefühlslage dürfte irgendwo zwischen Verletzung und Verachtung liegen: Auf den jüngsten Schlagabtausch mit Scholz angesprochen, der Attacken von Merz mit dem Satz gekontert hatte, „Fritze Merz erzählt gern Tünkram“, reagiert der CDU-Mann inzwischen betont gelassen. „Diese Aussagen des Bundeskanzlers stehen für sich selbst und wirken für sich selbst. Jeder muss seinen eigenen Stil finden.“ Gehe es nach ihm, werde es kein schmutziger Wahlkampf, beteuert Merz. Auch er sei nicht gerade zimperlich, aber er versuche, zu streiten „ohne persönliche Herabsetzung“.
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Merz sagt das nicht ohne Grund: Scholz dürfte nach einem Unionssieg bei der Wahl als potenzieller Kanzler Geschichte sein und sich aus der ersten Reihe zurückziehen, die SPD aber wird selbstbewusst in die Verhandlungen gehen. Da wäre es aus Merz‘ Sicht ganz gut, wenn die Gräben nicht zu tief wären. Merz schaut deswegen jetzt schon ganz konkret auf den Morgen nach der Wahl: An diesem Montag müssten die demokratischen Parteien der politischen Mitte miteinander sprechfähig sein und „sich noch in die Augen schauen können“.
Dass eine Große Koalition auch Risiken birgt, wissen sie in der Union. Gerade dort, wo die Union am meisten sozialdemokratisch tickt, ist die Skepsis besonders groß: Eine GroKo würde die AfD möglicherweise zum Oppositionsführer im deutschen Bundestag machen, befürchtet Dennis Radtke, Bundesvorsitzender des Sozialflügels der Union. „Das politische Klima in Deutschland ist bereits dramatisch vergiftet. Da braucht es nicht noch eine angebräunte Oppositionsführerin mit Alice Weidel.“
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„Jenseits des Wahlkampfs gehen wir persönlich freundlich miteinander um“, sagt SPD-Chef Lars Klingbeil über Friedrich Merz. Man kann es als vorsichtiges Signal deuten: Zusammen mit CSU-Chef Markus Söder wären es voraussichtlich Klingbeil und Merz, die eine GroKo erst verhandeln und später dann auch steuern müssten. Während die CSU sich bereits öffentlich Gedanken über ein künftiges Kabinett macht, beißt sich Merz in diesem Punkt allerdings noch auf die Lippen. Eine Personalie aber dürfte recht schnell feststehen: In einer GroKo hätte SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach gute Chancen weiterzumachen. Dass er will, steht außer Frage.
Bürgergeld, Rente, Innere Sicherheit – wie geht das zusammen?
Besser, als man vermuten könnte. In der Innen- und Sicherheitspolitik etwa dürfte sich die SPD in den vergangenen Jahren manches Mal CDU und CSU zurückgewünscht haben, wenn sich die kleineren Ampel-Partner, vor allem die FDP, quergestellt haben. Bei der Speicherung von IP-Adressen zum Beispiel, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser lieber heute als morgen einführen würde, und die sich auch im Programmentwurf von CDU und CSU findet.
Ähnlich sieht es aus beim Bürgergeld, dass die Union umbenennen möchte in „neue Grundsicherung“: Die SPD hadert inzwischen mit dem einstigen Lieblingsprojekt, mit dem sie ihr Hartz-IV-Trauma überwinden wollte. Im Programmentwurf wird deshalb betont, dass das Bürgergeld kein bedingungsloses Grundeinkommen sei, „deswegen wird zu Recht Mitwirkung eingefordert“. An diesem Prinzip halte man fest. Und SPD-Parteichef Lars Klingbeil hob gegenüber dieser Redaktion hervor, dass noch unter der Ampel-Koalition härtere Sanktionen auf den Weg gebracht wurden für Menschen im Bürgergeldbezug, die sich Arbeit komplett verweigern. Da ist man dann gar nicht mehr so weit weg vom Prinzip „Fördern und Fordern“, zu dem CDU und CSU zurückkehren wollen – fast egal, welchen Namen die Leistung am Ende trägt.
Und beim SPD-Herzensthema Rente? Hat die Union erkannt, dass Rentner und diejenigen, die bald welche werden wollen, mit Abstand die zahlenmäßig größte Bevölkerungs- und damit Wählergruppe sind. Von Forderungen nach einem höheren Renteneintrittsalter, wie sie einige Ökonominnen und Ökonomen und auch die Junge Union vertreten, hält man im Wahlprogramm deshalb Abstand. Rentenkürzungen werde es auch nicht geben, betonen CDU und CSU. Als Scholz kürzlich im Bundestag sagte, die Union wolle die Renten kürzen, warf CDU-Chef Merz ihm vor zu lügen.
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An der Außenpolitik. Dort drängt die Union seit Langem auf eine entschlossenere Unterstützung der Ukraine – Stichwort Taurus –, während die SPD zur Zurückhaltung mahnt. Ihm fehle „schlicht die Phantasie“, wie mit der SPD die notwendigen Korrekturen in der Außen- und Sicherheitspolitik umsetzbar sein sollen, sagte CDU-Sozialpolitiker Radtke dieser Redaktion. „Nach wie vor dominiert die Moskau-Connection innerhalb der SPD bei den wesentlichen Entscheidungen.“