Berlin. Seit Silvester 1999 bestimmt Wladimir Putin die Geschicke Russlands. Was die Phasen seiner Präsidentschaft für die Welt bedeuten.
Als der russische Präsident Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 überraschend zurücktrat, übernahm ein drahtiger Mann mit jungenhaftem Gesicht die Amtsgeschäfte. Er hielt am Silvesterabend gleich die Neujahrsansprache. Wladimir Putin blickte ernst und entschlossen in die Fernsehkameras. Der 47-Jährige versprach, Verfassung und Gesetze einzuhalten, gab sich als Hüter der Presse-, Meinungs- und Redefreiheit. „Auf die Liebe und den Frieden in jedem Haus“, sagte Putin am Schluss, seine Stimme klang dabei fast ein bisschen weich.
Kritiker meinten zu erkennen, dass der ehemals in Dresden stationierte KGB-Offizier auch in jenem Moment ein Meister des Tarnens und Täuschens war. Niemand in Russland hatte den bis dahin nahezu unbekannten Putin auf dem Zettel. Nach den wilden Jelzin-Jahren, in denen die Oligarchen Milliarden scheffelten, während ein Großteil der Bevölkerung darbte, begann mit dem Jahrtausendwechsel eine neue Ära. Sie ist von mehreren Phasen geprägt.
Phase der Hoffnung: 2000 bis 2004
Zu Beginn von Putins Amtszeit machte sich in den USA und Europa die Erwartung breit, Russland könne sich gegenüber dem Westen öffnen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte Washington die Vision eines amerikanisch-russischen Kampfes gegen den islamistischen Extremismus. Für den Krieg gegen die Taliban bekamen die Amerikaner die Erlaubnis, Luftwaffenbasen in den ehemaligen zentralasiatischen Sowjet-Republiken Tadschikistan und Kirgistan zu nutzen.
Auch in Deutschland war man von Putin angetan. Seine am 25. September 2001 auf Deutsch gehaltene Rede im Bundestag wurde immer wieder von Beifall unterbrochen. Der Russe lockte mit florierenden Wirtschaftsbeziehungen und dem „Aufbau des europäischen Hauses“. Bei dem überbordenden Optimismus ließ man Putin einiges durchgehen. Im Zweiten Tschetschenienkrieg (1999 bis 2009) bekämpfte er die aufständischen Islamisten mit äußerster Brutalität.
Die zunehmende Gegnerschaft zum Westen: 2004 bis 2014
Die zweite Runde der Osterweiterung der Nato 2004 wurde von Putin als feindlicher Akt empfunden. Auch hinter der Orangenen Revolution in der Ukraine im gleichen Jahr sah er westliche Drahtzieher am Werk.
Beim Kremlchef, der in der UdSSR sozialisiert wurde und deren Weltmacht-Status er verinnerlicht hatte, löste dies einen Retro-Reflex aus. 2005 bezeichnete er den Zusammenbruch der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. In seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 übte er massive Kritik an der westlichen Schutzmacht Amerika, die eine „unipolare Welt“ aufbauen wolle.
Putin sah Russlands Sicherheit permanent bedroht. Im Georgienkrieg 2008 marschierten russische Truppen in die ehemalige Sowjet-Republik im Kaukasus ein. Parallel zur aggressiveren Außenpolitik verfolgte Putin nach innen eine Politik der eisernen Faust. Menschenrechtsorganisationen wie Memorial wurden geknebelt und am Ende verboten. Der prominenteste Oppositionspolitiker Alexej Nawalny starb im Februar 2024 in einem Strafgefangenenlager im Norden Russlands.
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Imperialistische Ambitionen: 2014 bis 2021
Lieferten Putins Äußerungen in den Jahren zuvor das gedankliche Gerüst für die wachsende Gegnerschaft zum Westen, so markiert das Jahr 2014 den Beginn imperialer Ambitionen. Mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass wollte der Kremlchef das postsowjetische Russland arrondieren. Vor allem aber sollte verhindert werden, dass an der eigenen Grenze ein westliches Gegenmodell entsteht, das auch für die eigenen Bürger attraktiv sein könnte. An der Ukraine wollte Putin ein Exempel für seinen Rachefeldzug gegen den Westen statuieren.
Mit dem Beginn der russischen Militärintervention in Syrien 2015 unterstrich Putin seine Weltmacht-Ambitionen. Es war eine indirekte Replik auf den US-Präsidenten Barack Obama, der Russland zuvor als „Regionalmacht“ gedemütigt hatte. Putin demonstrierte mit der Unterstützung für den syrischen Diktator Baschar al-Assad, dass Russland im Nahen Osten einen Fuß in der Tür haben wollte. Darüber hinaus wurden die russischen Marine- und Luftwaffenstützpunkte in Syrien zu wichtigen Drehscheiben für Moskaus militärische Aktivitäten in Afrika.
Radikaler Nationalismus und außenpolitischer Aggressionskurs: 2022 bis heute
Die Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 ist der vorläufige Höhepunkt von Putins nationalistischem Expansionskurs. Die ideologische Begründung für den Einmarsch hatte Putin in Essay geliefert, der im Juli 2021 veröffentlicht wurde. Russen und Ukrainer seien „ein Volk“, hieß es darin. Die Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei von westlichen Verschwörungen gesteuert, die an einem „Anti-Russland-Projekt“ arbeiteten.
Im Westen wird befürchtet, dass ein Erfolg im Ukraine-Krieg Putin auch zu einem Angriff auf Nato-Länder ermutigen könnte – etwa das Baltikum oder Polen. In Wahrheit befindet sich Russland bereits heute in einem „hybriden Krieg“ mit dem Westen. Dazu zählen Cyberangriffe, Hackerattacken auf kritische Infrastruktur, Desinformationskampagnen, Sabotageakte, Mordkomplotte. Auch die jüngsten Beschädigungen von Unterwasserstromkabeln in der Ostsee, die mit Russlands Schattenflotte in Verbindung gebracht werden, gehören möglicherweise dazu.
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Die Gegnerschaft zum Westen scheint für Putin zu einer Obsession geworden zu sein. Dabei schreckt er weder von Atomwaffendrohungen noch vor Weltkriegsszenarien zurück. Ein Ende dieses Verhärtungskurses ist nicht in Sicht. Putin hat sich per Verfassungsänderung eine Amtszeit bis 2036 zusichern lassen.
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