Moskau. Immer wieder wurden zuletzt Datenkabel beschädigt. Beschuldigt wird Russlands Schattenflotte: Was dahintersteckt und welche Gefahren drohen.
Es geschah im Sommer 2023, erzählt ein junger Schiffsmechaniker dem Onlinemedium verstka.media. Sein Schiff, vollbeladen mit russischem Öl, passierte gerade das Nadelöhr Suezkanal. „Aus irgendeinem Grund rannten alle herum, aber wir verstanden nicht, was los war. Wir mussten langsam nach links abbiegen, es ging aber geradeaus weiter“, so der Seemann. „Ich dachte, das sei vielleicht eine Art Manöver. Aber nein: Unsere Steuerung hat versagt.“ Erst zwanzig bange Minuten später war das Schiff wieder steuerbar – die Katastrophe war abgewendet.
Alltag auf Uralt-Tankschiffen der russischen Schattenflotte. Dieses Konzept entstand in den Jahren 2018 bis 2019. Die USA verschärften damals Sanktionen gegen Ölexporte aus dem Iran und Venezuela. Das Gegenrezept: die Schattenflotte. Damit umgeht jetzt auch Russland westliche Sanktionen, die nach Beginn des Ukrainekrieges verhängt wurden: Schlecht gewartete Schiffe, unter fremder Flagge, durchqueren die Weltmeere. Mit dieser Flotte liefert Russland Öl, Flüssiggas und andere Rohstoffe überall hin. Vor allem auch in die Länder des Globalen Südens, die nicht eingebunden sind in das westliche Sanktionsregime.
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Erst kurz vor Weihnachten hatten die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfeltreffen rund 50 Öltanker der russischen Schattenflotte auf eine Sanktionsliste gesetzt. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Insgesamt bestehe die Schattenflotte aus 1.000 bis 1.200 Tankern zitiert das Onlinemedium ura.news Igor Juschkow, einen Analysten der Moskauer „Stiftung für nationale Energiesicherheit“. „Es ist für uns von Vorteil, die Schattenflotte zu entwickeln; je mehr Tanker es gibt, desto billiger wird jede Ölcharge transportiert.“
Zwölf europäische Länder wollen gemeinsam gegen Russlands Schattenflotte vorgehen
Diese Schiffe fahren nicht unter russischer Flagge. Registriert sind sie in Ländern, die Schiffseignern wenig oder gar keine Anforderungen auferlegen. Oftmals werden Ölexporte auch verschleiert. Schiffe der Schattenflotte wechseln die Flagge, international vorgeschriebene Schiffsidentifikationssysteme werden deaktiviert, sogar Öltransfers von Schiff zu Schiff zählen zu den gängigen Praktiken. Zudem: Vor den westlichen Sanktionen waren die meisten russischen Öltanker bei Versicherungsunternehmen aus G7-Ländern versichert. Jetzt ginge das nur, wenn schriftliche Garantien vorlägen, dass russisches Öl zu einem Preis gekauft wurde, der unter der von den G7-Ländern festgelegten Obergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel liegt. Das wird jetzt umgangen. Viele Schiffe sind bei russischen Unternehmen versichert, manche gar nicht. Diejenigen Staaten, wie etwa Panama oder Liberia, in denen diese Schiffe registriert sind, stört das nicht.
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Zwölf europäische Länder wollen nun gemeinsam gegen Russlands Schattenflotte vorgehen. Man will koordinierte Schritte zu unternehmen, um die Flotte zu „stören und abzuschrecken“. Großbritannien, Dänemark, Schweden, Polen, Finnland und Estland wollen ihre Seebehörden beauftragen, die Versicherungsdokumente verdächtiger Schiffe zu überprüfen, die den Ärmelkanal, die dänischen Meerengen, den Finnischen Meerbusen und den Öresund durchfahren. Nicht nur russische Energieexporte sollen eingeschränkt werden, auch die Risiken für die Schifffahrt und die Umwelt will man reduzieren. Diese Schiffe seien veraltet, technisch unsicher und nicht versichert, sagte Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre. Und Estlands Regierungschef Kristen Michal betont: „Dies ist eine Umweltkatastrophe, die nur darauf wartet, zu passieren“. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann und wie ein Tanker der „Schattenflotte“ auseinanderbrechen werde und vor welcher Küste dann das Öl auslaufe.
Ein weiterer, bislang nicht bewiesener Vorwurf gegen Russlands Schattenflotte: Hybride Kriegsführung, genauer: Beschädigung von Unterwasserkabeln. Diese Leitungen, unverzichtbar für den Stromtransport und den Datenverkehr, liegen ungeschützt auf dem Meeresgrund. Oft werden sie durch Schiffsanker beschädigt, zumeist unabsichtlich. Geschehen kann das aber auch absichtlich. Wenn etwa ein Schiff seinen Anker wirft und weiterfährt, dann pflügt der Anker durch den Meeresgrund und kann Kabel zerstören.
Beschädigung von Unterwasserkabeln: Behörden ermitteln wegen Verdacht der „schweren Sabotage“
Nach der mutmaßlichen Sabotage an einem Unterwasserkabel in der Ostsee hat die finnische Polizei den verdächtigen Tanker „Eagle S“ beschlagnahmt. Angeblich ist das Schiff Teil der Schattenflotte. Registriert ist die „Eagle S“ auf den Cook-Inseln, die Besatzung besteht aus Georgiern und Indern. Der Tanker sei für weitere Ermittlungen zum Hafen von Kilpilahti eskortiert worden, erklärte die finnische Polizei. Zuvor hatte der Tanker im Meer vor der finnischen Küste gelegen. An dem Stromkabel Estlink 2 zwischen Finnland und Estland war am ersten Weihnachtstag ein Schaden festgestellt worden.
Die finnischen Behörden ermitteln nun wegen des Verdachts der „schweren Sabotage“. Erst vor einem Monat waren im Abstand von wenigen Stunden zwei wichtige Telekommunikationskabel in der Ostsee beschädigt worden, in diesem Fall geriet ein chinesischer Frachter unter Verdacht. Jetzt also ein Schiff der Schattenflotte. Kremlsprecher Dmitri Peskow will sich zu den Vorwürfen und zur Beschlagnahme des Schiffes nicht äußern. „Das ist ein eng gefasstes Thema, das kaum in die Zuständigkeit der Präsidialverwaltung fällt“, sagte Peskow am 27. Dezember in einem Gespräch mit Journalisten.
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Deutlicher wurde dagegen die deutsche Außenministerin, Annalena Baerbock. Es falle ihr „mehr als schwer“, an Zufälle zu glauben, wenn fast im Monatsrythmus Schiffe wichtige Unterseekabel beschädigen würden, hatte die Grünen-Politikerin unserer Redaktion gesagt. Baerbock sprach sich für weitere EU-Sanktionen gegen die russische Schattenflotte aus. Diese sei „eine große Gefahr für unsere Umwelt und für unsere Sicherheit“, so die Außenministerin.
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