Berlin/Magdeburg. Terrorexperte Peter Neumann fordert nach Magdeburg besseren Schutz für Weihnachtsmärkte. Und er sagt, warum 2025 vieles anders sein dürfte.
Peter Neumann ist Terrorismusforscher am Londoner King‘s College. Er hat mehrere Bücher über Extremisten geschrieben, zuletzt über die Rückkehr von Dschihadisten nach der Niederschlagung des selbsternannten „Islamischen Staates“. Doch das Attentat von Magdeburg hat auch den Fachmann irritiert. Auf der PLattform „X“ schreibt Neumann: „Nach 25 Jahren in diesem ‚Geschäft‘ denkst Du, nichts könnte Dich mehr überraschen. Aber ein 50jähriger, saudischer Ex-Muslim, der in Ostdeutschland lebt, die AfD liebt und Deutschland für seine Toleranz gegenüber Islamisten bestrafen will – das hatte ich wirklich nicht auf dem Zettel.“
Im Interview mit unserer Redaktion spricht der Terrorexperte über die Widersprüche nach dem Attentat in Magdeburg, aber auch über die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden. Neumann fordert eine Aufarbeitung des Sicherheitskonzepts und sagt: „ Im Verhindern von Attentaten bleibt für deutsche Sicherheitsbehörden noch viel Arbeit.“
Der mutmaßliche Täter sah sich als Islamkritiker, war Flüchtlingsaktivist, Arzt und 50 Jahre alt. Wie passt das alles für Sie zusammen?
Peter Neumann: Da passt vieles noch nicht zusammen, die Tat und das Täterprofil fügen sich in kein klares ideologisches Korsett. Was wir vor allem wissen: Der Täter von Magdeburg war kein Islamist. Alle Äußerungen, die er vor dem Attentat von sich gegeben hat, stoßen eher in eine gegenteilige Richtung. Er lehnt den Islam ab, wirft deutschen Behörden vor, zu freundlich zum Islam zu sein, sieht sich selbst als „Ex-Muslim“. Das Tatziel Weihnachtsmarkt, der Tathergang mit einem Auto – all das sind IS-Methoden. Doch die Ideologie des Attentäters geht eher in eine extrem rechte, anti-islamische Richtung. Es stellt sich in dem Fall in Magdeburg auch die Frage, ob der Täter nicht ideologisch, sondern im Wahn gehandelt hat. Das müssen die Ermittlungen zeigen. Immerhin konnte der Täter gefasst werden.
Frühere Muslime, die zu radikalen Kritikern des Islam werden – ist das ein bekanntes Phänomen?
Neumann: Ja, da kenne ich einige bekannte Fälle. Oftmals wächst aus der Abkehr von einer Religion dann ein Enthusiasmus, diese Religion zu kritisieren. Bei manchen steigert sich das in eine Radikalität. Und doch stellt sich mir die Frage, warum der Täter dann nicht ein Regierungsgebäude als Anschlagsziel wählte, wenn er dem deutschen Staat zu große Milde gegenüber dem Islam vorwirft. Oder eine Asylunterkunft, wo er vermutlich mehr Muslime trifft als auf einem Weihnachtsmarkt. Das passt alles wenig zusammen.
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Wochenlang diskutieren wir Konzepte für Polizeiposten und Poller zum Schutz von Weihnachtsmärkten – und dann rast ein Täter doch einfach mit einem Auto in die Menge. Was läuft das schief?
Neumann: Das Attentat ist fatal – und ein bitterer Rückschlag für die Sicherheitsbehörden, der aufgearbeitet werden muss. Das Vertrauen der Menschen in Deutschland in die Sicherheit von Weihnachtsmärkten ist untergraben. Ich kann mir schwer vorstellen, dass nächstes Jahr die Veranstaltungen wie gewohnt stattfinden werden. Es braucht neue Schutzkonzepte. Zudem gab es offensichtlich Hinweise aus Saudi-Arabien und von einzelnen Personen in Deutschland, dass dieser Mann eine Gefahr darstellt. Es muss nun genau aufgearbeitet werden, warum hier die Gefahr verkannt wurde.
Immer wieder schieben sich Behörden in Deutschland gegenseitig die Verantwortung zu. Trifft das auch hier zu?
Neumann: Das muss die Aufarbeitung zeigen. Ein Problem der deutschen Sicherheitsarchitektur ist das Abschieben von Verantwortung an andere Behörden. Gerade wenn man die Bevölkerung zu Wachsamkeit im Kampf gegen Terror aufruft und sie zu Meldungen über Gefahren animiert, muss klar sein, welche Behörde sofortige Schritte zur Prüfung von Verdachtsfällen übernimmt. Da reicht es nicht, einfach als Antwort auf andere Dienststellen zu verweisen. Im Verhindern von Attentaten bleibt für deutsche Sicherheitsbehörden noch viel Arbeit.
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