Kiew. 7,7 Millionen Ukrainer sollen sich aktuell im Ausland aufhalten. Ein neues Ministerium will nun möglichst viele zur Rückkehr bewegen.

Die Zahl ist gewaltig: 7,7 Millionen Ukrainer sollen sich aktuell laut dem Kiewer Außenministerium im Ausland aufhalten, darunter 5,3 Millionen in der EU. Die meisten davon flüchteten als Folge der russischen Vollinvasion am 24. Februar 2022: Die Zahl der ukrainischen Geflüchteten wird von den Vereinten Nationen (UN) auf mehr als 6,6 Millionen geschätzt.

Und es ist nicht nur die Flucht, die die Bevölkerung der Ukraine weiter dezimiert. Das Land verliert seine Einwohner direkt durch den Krieg – Soldaten im Gefecht sowie Zivilisten, die bei russischen Angriffen ums Leben kommen. Deshalb ist es eine der größten Herausforderungen für die Regierung, so viele Geflüchtete und Auslands-Ukrainer wie nur möglich zurückzuholen. Es ist an der Zeit – die Anzahl der Menschen im Ausland, die in Erwägung ziehen, dort auch nach dem Krieg zu bleiben, steigt, je länger sie dort leben und sich einrichten.

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Um diese Herausforderung strategisch anzugehen, ist in der Ukraine Anfang Dezember das „Ministerium für nationale Einheit“ entstanden. Es ersetzt faktisch das „Ministerium für Reintegration“, das sich seit der Annexion der Krim und dem Ausbruch des Donbass-Krieges vor allem mit Binnenflüchtlingen beschäftigte. Diese werden im Fokus der neuen Behörde bleiben, doch der Hauptblick wird tatsächlich auf Ukrainer im Ausland gerichtet.

Neues Ministerium: Pilotprojekt mit eigener Niederlassung in Deutschland ab 2025

Dass die Ukraine das Problem seriös angehen möchte, zeigt schon die Personalie des neuen Ministers, der gleichzeitig die Rolle eines Vizepremiers in der Regierung übernimmt: Der 45-jährige Oleksandr Tschernyschow gilt in Kiew als Hochkaräter und hat zuvor bereits als Entwicklungsminister sowie als Vorstandsvorsitzender des staatlichen Energiekonzerns Naftohas gearbeitet.

Ukraine Ankunftszentrum (UA-TXL)
Ukrainer im Ankunftszentrum am ehemaligen Flughafen Tegel in Berlin. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Der genaue Aufgabenbereich für das sogenannte Einheitsministerium ist noch unklar. Dennoch geht man in der ukrainischen Hauptstadt davon aus, dass Tschernyschow viel Zeit im Ausland verbringen wird und dass das Ministerium mehrere Niederlassungen in EU-Ländern eröffnen wird. Länder wie Polen und Deutschland sollen dabei im Fokus stehen. Oleksandr Kamyschin, Berater des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, kündigte an, dass ein Pilotprojekt Anfang 2025 in Deutschland an den Start gehen wird.

Dabei soll es explizit darum gehen, die Ukrainer zur Rückkehr zu bewegen, damit sie zu Hause in der Rüstungsbranche arbeiten. Das genaue Konzept ist noch nicht bekannt, doch es dürfte sich um lukrative Angebote und gute berufliche Perspektiven handeln. Gerade im Rüstungsbereich, wo es oft nicht genug Fachkräfte gibt, kann die Ukraine nicht bis Kriegsende warten.

Für viele Ukrainer ist entscheidend, ob sie internationale Sicherheitsgarantien bekommen

„Wir sind absolut daran interessiert, alle Ukrainer in unser Land zurückzuholen, die in den ersten Kriegstagen oder danach geflohen sind“, betonte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal kürzlich am Rande des Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforums, bei dem er sowie Kamyschin und Tschernyschow allesamt anwesend waren. „Alle ukrainischen Geflüchteten sind willkommen, während des Krieges oder danach.“ Kann das Ministerium reüssieren? Das wird auch innerhalb des Landes angezweifelt.

Präsident Wolodymyr Selenskyj
Präsident Wolodymyr Selenskyj: Hat extra ein neues Ministerium eingerichtet, um geflüchtete Ukrainer zurück in die Heimat zu holen. © DPA Images | Omar Havana

„Solange in Sachen Sicherheit keine Klarheit herrscht, können Menschen im Ausland nichts planen“, sagte der Soziologe Oleksandr Schulha im Interview mit der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle. Für die Ukrainer ist entscheidend, ob sie internationale Sicherheitsgarantien für ihr Land bekommen können. Indes: Als einzig wirksame Sicherheitsgarantie wird die NATO-Mitgliedschaft betrachtet. Und die ist durch den Wahlsieg Donald Trumps in den USA nicht wahrscheinlicher geworden. Selbst nach einem möglichen Waffenstillstand wird die Heimkehr der Ukrainer in großem Stil also eine gigantische Herausforderung für Kiew bleiben.