Kiew. Washington übt Druck aus, noch jüngere Männer einzuziehen. Viele in Kiew finden das zynisch – es würde zudem Probleme nach sich ziehen.
„Langsam ist es an der Zeit, sich etwas zu überlegen“, sagt der 23-jährige Danylo, der in der Kiewer Unterstadt in einem Restaurant arbeitet. Noch ist er nicht in akuter Gefahr, für die Armee mobilisiert zu werden. Denn die Ukraine zieht weiterhin nur Männer ab 25 Jahren ein. Doch die aktive Phase des russischen Angriffskrieges könnte noch knapp zwei Jahre oder länger andauern.
Zum anderen übt Washington immer mehr Druck auf Kiew aus, das Mobilisierungsalter zu senken. In vielen Ländern werden junge Menschen schon ab 18 Jahren eingezogen. Auch US-Außenminister Anthony Blinken, der Sprecher des Außenministeriums, Matthew Miller, und Jake Sullivan, Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, sprachen sich indirekt dafür aus.
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„Wir sollten den Mangel an Ausrüstung und Ausbildung nicht durch junge Soldaten ausgleichen“, wehrte Wolodymyr Selenskyj ab. Doch die Debatte ist entbrannt. Es handelt sich um ein sensibles Thema für die ukrainische Gesellschaft. Bei den Streitkräften dienen insgesamt rund eine Million Menschen. Die personelle Lage ist in der Regel etwas weniger dramatisch, als sie oft geschildert wird.
Ukraine: Mehrere Gründe sprechen gegen Absenkung des Mindestalters beim Militär
Dass die Ukraine, die zuletzt im Frühjahr 2024 das Mindestalter von 27 auf 25 Jahre senkte, irgendwann auf noch jüngere Altersgruppen würde zugreifen müssen, liegt jedoch auf der Hand. Für Danylo ist es „keine Traumoption“, in die Armee eingezogen zu werden. Sich freizukaufen oder über die „grüne Grenze“ zu fliehen, zieht er allerdings nicht in Erwägung. „Ich werde wohl schauen, wie man einen Job bei einem kritischen Unternehmen bekommt, das das Recht hat, Teile des Personals vom Dienst freizustellen“, sagt er.
Ein nachvollziehbarer Grund für die Senkung des Mobilisierungsalters ist nicht nur der personelle Mangel: Das Durchschnittsalter der ukrainischen Soldaten liegt dem Vernehmen nach bei über 40 Jahren. Dabei werden gerade in der Infanterie und für Sturmoperationen jüngere Menschen gebraucht. Auch für die Bedienung von Drohnen und anderen modernen Technologien ist ein 22-Jähriger meist besser gerüstet als ein 45-Jähriger.
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Aber: Es gibt auch gewichtige Gründe, die dagegen sprechen: Männer unter 25 sind die am stärksten unterrepräsentierte Gruppe in der ukrainischen Bevölkerung. Das hängt mit einer sehr niedrigen Geburtenrate Ende der 90er Jahre zusammen. Ukrainische Expertinnen und Politiker befürchten außerdem, dass noch mehr junge Männer unter 18 Jahren ausreisen könnten, um einer Mobilisierung zu entgehen. Schon jetzt wählen viele männliche Jugendliche diesen Schritt.
Ukraine-Krieg: Forderung der Amerikaner wirkt aus Kiewer Perspektive zynisch
Ohne Frage sind die Ukrainerinnen und Ukrainer der Biden-Administration dafür dankbar, dass der ukrainische Staat überhaupt noch existiert. Und doch wirken gerade die Stimmen der Amerikaner aus Kiewer Perspektive eher zynisch – immerhin war es ihre vorsichtige Strategie, die das Leben und die Gesundheit von vielen Soldaten gekostet haben. So zumindest die weit verbreitete Sichtweise in Kiew.
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„Für mich sieht es aus wie der Versuch, die Verantwortung für eigene Fehler auf fremde Schultern zu schieben“, sagt Serhij Rachmanin, Mitglied der Opposition im Verteidigungsausschuss des Parlaments, im Radiosender NV. Rachmanin steht Selenskyj kritisch gegenüber. Es geht ihm nicht nur um die Senkung des Mobilisierungsalters, sondern um das System allgemein, das Verbesserungsbedarf habe.
„Die Verabschiedung der Mobilisierungsreform im Frühjahr hat zwischenzeitlich zu einer deutlichen Steigerung der Mobilisierungszahlen geführt“, sagt er. „Die Senkung des Alters auf 25 Jahre brachte aber nicht die Verjüngung des Durchschnittsalters in der Armee.“ Zudem studierten viele Männer zwischen 17 und 23 Jahren an den Universitäten und anderen Hochschulen – sie werden von der Mobilisierung freigestellt. Daher gebe es abseits der bloßen Alterssenkung viele Probleme, die man angehen müsse.
Ob die Trump-Administration, die ab 20. Januar im Weißen Haus regiert, in diesem Punkt ähnlich ticken wird wie Bidens Team, muss sich zeigen. Den größten Druck auf die Ukraine übt ohnehin die Realität auf dem Schlachtfeld.