Washington. Joe Biden betont, dass Niederlagen im „Wettbewerb von konkurrierenden Visionen“ normal seien. Interessant, wie er seine Amtszeit beurteilt.

Donald Trump gratulierte ihm 2020 weder zu seinem Sieg noch besuchte er die Amtseinführung von Joe Biden auf den Treppen des Kapitols. 

Amerikas noch rund 70 Tage amtierender Präsident, das machte seine erste Wortmeldung nach der schweren Niederlage seiner Vize-Präsidentin Kamala Harris am Donnerstag im Garten des Weißen Hauses deutlich, ist aus anderem Holz geschnitzt.

Der Demokrat gratulierte seinem Vorgänger zum Sieg (an der Inauguration am 20. Januar wird er selbstverständlich teilnehmen) und sicherte dem Republikaner zu, die Übergangsphase so konstruktiv und reibungslos zu gestalten. „Wir werden am 20. Januar eine friedliche Machtübergabe haben.“

Biden bescheinigte Kamala Harris, einen „inspirierenden Wahlkampf“ gezeigt zu haben. „Sie hat alles gegeben.“ Niederlagen gehörten zum demokratischen Modell: ein „Wettbewerb von konkurrierenden Visionen“.

Joe Biden betont: Wahlen „ehrlich, fair und transparent“ abgelaufen

Er betonte, dass die Wahlen „ehrlich, fair und transparent“ abgelaufen seien. Die Frage nach der Integrität des amerikanischen Wahlsystems könne damit ad acta gelegt werden. „Man kann ihm vertrauen, ob man gewinnt oder verliert.“

President Biden Delivers Remarks In The Rose Garden After Election Of Donald Trump
Joe Biden verlässt das Oval Office, um im Garten des Weißen Hauses eine Rede zu halten. © Getty Images via AFP | Andrew Harnik

Den zigtausenden ehrenamtlichen Wahlhelfern zollte Biden tiefsten Dank für ihr aufopferungsvolles Engagement. Seiner Partei und jenem Teil des amerikanischen Volkes, das nicht mit dem Wahlausgang sympathisiert, rief Biden zu: „Rückschläge sind nicht vermeidbar, aber Aufgeben ist unverzeihlich.“

Der 46. Präsident der USA rief das polarisierte Land auf, „die Temperatur zu senken“. Man könne seinen Nachbarn nicht nur lieben, wenn man einer Meinung ist. „Ich hoffe, dass wir, unabhängig davon, wen Sie gewählt haben, einander nicht als Gegner, sondern als Mitbürger betrachten.“

Biden mit selbstbewusstem Auftritt: „Historische Präsidentschaft“

Biden nutzte den Auftritt zu einem selbstbewussten Statement. „Wir haben eine historische Präsidentschaft gezeigt.“ Viele gesetzgeberische Aktivitäten, etwa das milliardenschwere Programm zur Ertüchtigung der Infrastruktur, würden erst im Laufe der kommenden zehn Jahre wirksam.

Für den 81-Jährigen ist Harris‘ Scheitern ein doppeltes persönliches Fiasko. Seine Stellvertreterin ist sein Vermächtnis. Harris sollte, mit individuellen neuen Akzenten natürlich, sein Programm zur Erneuerung und Festigung Amerikas fortführen. Daraus wird nichts. Viele der ehrgeizigen Biden-Reform-Projekte, allen voran die Klimaschutz-Vorhaben, stehen vor dem Aus. 

Dass die 60-Jährige so krachend gegen den Rechtspopulisten verlor, dass sie in nahezu allen Wählergruppen (Frauen, Latinos, Schwarze, Arbeiter etc.) deutlich schlechter abschnitt als Biden vor vier Jahren, führt innerhalb der demokratischen Partei bereits zu ersten Schuldzuweisungen – und zwar an ihn. 

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Hat Biden seine Kandidatur zu spät zurückgezogen?

Hätte Joe Biden nicht erst bis zum Juli gewartet, um seine Kandidatur zurückzuziehen, hätte er sein Versprechen von 2020 früher eingelöst, ein Brückenbauer und Übergangspräsident zu sein, der den Staffelstab rechtzeitig an die jüngere Generation weitergibt, wäre die „Katastrophe vom 5. November“ aus Sicht vieler Demokraten vielleicht zu vermeiden gewesen. „Nur weil Biden sich für unverzichtbar hielt“, sagte ein Parteifunktionär aus Washington dieser Redaktion, „und seinen altersbedingten Verfall verleugnete, ist Harris in das viel zu enge Korsett eines nur knapp 100-tägigen Wahlkampfs geraten, in dem sie bis zuletzt darum kämpfte, sich bekannt zu machen und bestehende Vorurteile gegenüber ihrer links-liberalen Politik-Philosophie zu widerlegen.“

Bidens Tragik bestehe darin, dass er 2020 das Land vor Trump bewahrt habe und jetzt derjenige sei, der die Rückkehr des Rechtspopulisten begünstigt habe.

Kamala Harris selber hatte am Tag zuvor ohne jeden Anflug von Selbstkritik erklärt, dass sie die Wahlniederlage ohne jede Einschränkung eingesteht, den „Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit“ aber nicht einstellen werde. „Das Licht der amerikanischen Verheißung wird immer hell strahlen, solange wir niemals aufgeben und solange wir weiter kämpfen“, beschied sie enttäuschten Anhängern.