Berlin. In der Koalition wird gerätselt, ob FDP-Chef Christian Linder die Ampel sprengen will. Es läuft auf ein entscheidendes Datum zu.

Die Tage der Ampel könnten bald gezählt sein. Und zwar möglicherweise an den Fingern zweier Hände. Dem Bündnis stehen entscheidende Tage bevor. Die chronisch fragile Partnerschaft ist erschüttert worden durch das Grundsatzpapier von FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner mit der Forderung nach einer radikalen Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik. Es enthält Punkte, die das Ampel-Bündnis sprengen dürften, wenn Lindner auf deren Umsetzung besteht.

Was ist passiert?

Am Freitag wurde ein Positionspapier von Lindner öffentlich, das nicht nur die Koalitionspartner, sondern selbst Vertraute in der eigenen Partei überrumpelte. Einerseits reiht sich das 18-seitige Schreiben ein in die Vielzahl von Stellungnahmen, Vorschlägen und nicht untereinander abgestimmten Wirtschaftsgipfeln, mit denen sich die Ampel-Vertreter zuletzt gegenseitig in die Parade fuhren. Andererseits steht Lindner in der Koalition im Verdacht, nur noch nach einem geeigneten Vorwand zu suchen, um den Bruch zu provozieren. Viele fühlen sich daran erinnert, wie die FDP 1982 mit einem als „Scheidungsurkunde“ bezeichneten Forderungspapier das Ende der sozial-liberalen Koalition einleitete.

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Wie ist die Stimmung in der Koalition?

Extrem angespannt. Es brenne gerade die Hütte, sagte SPD-Chefin Saskia Esken am Wochenende. Von zerrüttetem Vertrauen ist die Rede, vorgezogene Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Bei den Partnern herrscht Ungewissheit, welche Ziele Lindner verfolgt. Die von ihm geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den nur noch sehr gut Verdiende und Unternehmen zahlen, lehnt die SPD zum Beispiel ebenso ab wie die Forderung, ein Gesetz zu stoppen, mit dem die Sozialdemokraten die Bezahlung nach Tarif stärken wollen. Lindners Vorschlag, die Klimaziele aufzuweichen, ist eine Blutgrätsche gegen die Grünen. Will Lindner den Rauswurf aus der Regierung provozieren? „Wie ernst Lindner das meint, rätseln wir alle“, heißt es in der Koalition.

Was sagt Lindner?

In einem Schreiben an FDP-Mitglieder beteuert Lindner, sein Papier sei zunächst zur Beratung im „engsten Kreis“ der Bundesregierung gedacht gewesen – damit sind Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihre engsten Vertrauten gemeint. Es sei durch eine „Indiskretion“ an die Öffentlichkeit gelangt. Habeck habe auch Vorschläge zur Belebung der schlingernden Wirtschaft gemacht, sein Papier sei halt sein inhaltlicher Gegenvorschlag. Soll heißen: Lindner wollte den Partnern nicht öffentlich die Pistole auf die Brust setzen – oder gar seinen Rückzug aus dem Bündnis kommunikativ vorbereiten.

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Wie geht es weiter?

Die kommenden Tage werden entscheidend sein: Der Kanzler will mit Lindner und Habeck ausloten, ob überhaupt noch etwas geht in der Ampel. Und wenn ja, was das sein kann. Die offene Frage: Gibt es einen Handel, bei dem jeder Koalitionspartner eine Trophäe mit nach Hause nehmen kann – oder besteht Lindner auf seinen Maximalforderungen? Andersherum gesagt: Wie weit sind Scholz und Habeck bereit, der FDP in ihrem Überlebenskampf entgegenzugehen, um die Regierung zu retten?

Wie viel Zeit bleibt der Ampel?

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki drängte die Partner am Sonntag zu raschen Entscheidungen: Die FDP sei bereit, schnelle und tiefgreifende Entscheidungen zur Wohlstandssicherung zu treffen, sagte Kubicki unserer Redaktion. „Die ersten Entscheidungen sollten idealerweise schon diese Woche gefällt werden.“ Er erwarte von den Koalitionspartnern eine ehrliche Anerkennung der aktuellen ökonomischen Lage und „keine neuen sozialistischen Staatslenkungsfantasien“, so Kubicki. Wer die Zeichen der Zeit nicht erkenne, dürfe sich nicht über mangelnde Unterstützung der Wählerinnen und Wähler beklagen.

Ampel: Kritik an Lindner-Papier - Vorwurf der «Indiskretion»

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    Welche Daten sind jetzt wichtig?

    Am Mittwochabend, am Tag nach der US-Wahl, will sich die Ampel in größerer Spitzenrunde treffen. Die Beratung des Koalitionsausschusses werde auch dazu dienen, sich gegenseitig tief in die Augen zu blicken, ist zu hören: Wollen wir noch zusammen weitermachen? In der Koalition wird es für möglich gehalten, dass die Regierung an dem Abend zerbricht. Übersteht das Bündnis das Treffen im Kanzleramt, bleibt der Koalition noch eine Woche, bis es zum Schwur kommt: Am 14. November muss der Streit über den Haushalt für das kommende Jahr beendet sein – zumindest formal.

    An dem Tag ist die abschließende Etatberatung durch die Haushaltsexperten im Bundestag angesetzt. Scholz, Lindner und Habeck müssen noch eine Milliardenlücke schließen, bis zum Koalitionsausschuss am Mittwoch wollen sie eine grundsätzliche Einigung erzielen.

    Steht der Haushalt, dürfte das Überleben der Koalition gerettet sein, ist aus dem Bündnis zu hören. Die FDP deutet den von Lindner ausgerufenen Herbst der Entscheidungen allerdings saisonal: Der Herbst geht nach liberaler Rechnung bis zum Winterbeginn am 21. Dezember. Auch in der Migrationspolitik hatte die FDP von SPD und Grünen weitere Beschlüsse gefordert.

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    Wie ist die Stimmung im Land?

    Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend zeigt, dass sich gut jeder Zweite (54 Prozent) eine vorgezogene Bundestagswahl wünscht. Lediglich 41 Prozent sind demnach dafür, dass die Ampel-Regierung bis zum regulären Wahltermin am 28. September 2025 weitermacht.