Berlin. Der neue SPD-Generalsekretär erklärt seinen Wahlkampfplan. Dabei sei es nicht die Aufgabe von Scholz, „nach Schlagzeilen zu lechzen“.

Seit nicht einmal zwei Wochen ist Matthias Miersch der neue SPD-Generalsekretär. Als er im Willy-Brandt-Haus unserer Redaktion sein erstes Zeitungsinterview im neuen Amt gibt, fehlt erst der Kaffee. Der war nebenan bei den Senioren der AG 60 Plus gelandet. Miersch nimmt es gelassen – und wünscht sich einen Tee. Im Gespräch erklärt der 55-Jährige, wie er die SPD zum Wahlsieg führen will, und äußert sich besorgt über russische Einflussnahme.

Wie beschreiben Sie den Privatmenschen Matthias Miersch?

Matthias Miersch: Auch der brennt für Politik – aber ebenso ist ihm ein Leben jenseits des Politikbetriebs wichtig: Ein Abschalten in der Sauna, mit Freunden auf einem Konzert oder ein Urlaub im Campingbus.

Und der Politiker Matthias Miersch?

Miersch: Der versucht, alles zu geben und dabei authentisch zu sein.

Was war die größte Überraschung im neuen Amt?

Miersch: Ich realisiere, dass ich jetzt in die erste Reihe der Politik aufsteige. Plötzlich erkennen einen Passanten. Das ist außerhalb meines Wahlkreises in Hannover nur sehr selten vorgekommen. Letzten Sonntag kam ein älterer Herr beim Spazierengehen auf mich zu und hat mir viel Erfolg und Kraft gewünscht. Wie viel Kraft man für dieses Amt braucht, war ebenfalls eine Überraschung. Man hat wenig Zeit zum Durchatmen. Ich glaube, diese Zeit muss ich mir selbst einräumen, weil man sonst schnell ans Limit kommt.

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Ihr Vorgänger Kevin Kühnert hat den Job aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Ist Politik zu hart geworden?

Miersch: Politik ist hart. Als Politiker muss man sich ein dickes Fell zulegen. Nicht alle Begegnungen sind freundlich. Durch Corona, den russischen Angriffskrieg und den Konflikt im Nahen Osten sind viele Menschen stark verunsichert. Dadurch ist der Druck auf Politiker gewachsen. In den sozialen Medien sehen wir außerdem, dass Hass und Hetze zunehmen, es oft keinen Respekt mehr gibt.

Kühnerts Rücktritt kam plötzlich. Haben Sie noch eine Übergabe gemacht?

Miersch: Wir haben mehrfach telefoniert. Da haben wir manches sehr ausführlich besprochen, wir haben aber auch sehr persönlich geredet.

Hatten Sie seit dem Amtsantritt Zeit, in Ruhe mit ihrem Mann zu sprechen?

Miersch: Nur ganz spätabends, mein Mann muss immer um 5:20 Uhr aufstehen. Wir haben dann abends um 23 Uhr noch eine halbe Stunde gemeinsam.

Matthias Miersch / SPD-Generalsekretär
Die SPD will die Mehrheit der Steuerzahler entlasten: „Es ist zum Beispiel nicht gerecht, dass jemand, der 67.000 Euro brutto im Jahr verdient, aktuell ebenso den Spitzensteuersatz zahlt wie jemand, der 250.000 Euro verdient. Da wollen wir ran“, sagt Generalsekretär Matthias Miersch. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Kaum waren Sie im Amt, stand eine Klausur der SPD-Spitze zur Planung des Wahlkampfes an. Man hört, dabei hatten alle Trikots an …

Miersch: Wir haben uns eingeschworen auf den Bundestagswahlkampf: Wir saßen wie eine Mannschaft vor dem Anpfiff in einem Raum zusammen, der wie eine Umkleidekabine gestaltet war. Es gab Ansprachen von Olaf Scholz und den Parteichefs. Ich habe erlebt, wie alle mitgezogen haben und sich auf die Auseinandersetzung mit der Merz-CDU freuen.

Auf der Klausur hat die SPD ein Strategiepapier zur Wirtschaftspolitik beschlossen. Darin steht auch die Forderung nach einer Einkommensteuerreform.

Miersch: Wir wollen 95 Prozent der Einkommen, also die arbeitende Mitte, deutlich entlasten. Im Gegenzug werden wir das obere ein Prozent stärker belasten.

Was heißt das konkret?

Miersch: Es ist zum Beispiel nicht gerecht, dass jemand, der 67.000 Euro brutto im Jahr verdient, aktuell ebenso den Spitzensteuersatz zahlt wie jemand, der 250.000 Euro verdient. Da wollen wir ran.

Olaf Scholz verspricht einen Pakt für Industriearbeitsplätze. Was muss der enthalten?

Miersch: Ich begrüße den Vorstoß des Bundeskanzlers sehr. Olaf Scholz hat die Sicherung von Arbeitsplätzen zu seiner Priorität gemacht und stellt sich klar vor die Beschäftigten und Familien in Deutschland. Es ist daher gut, dass der Bundeskanzler noch in diesem Monat gemeinsam mit Industrie und Gewerkschaften über einen Pakt für Wachstum und sichere Arbeitsplätzte in der Industrie beraten wird. Dieser Schulterschluss von Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft für eine neue industriepolitische Agenda ist der richtige Weg.

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Die SPD will den Wahlkampf auf die Entscheidung Olaf Scholz oder Friedrich Merz zuspitzen. Was versprechen Sie sich davon?

Miersch: Friedrich Merz fordert mehr Respekt für die Besserverdienenden. Nur das einkommensstärkste Prozent sind für ihn die Leistungsträger dieser Gesellschaft. Das sehen wir anders, es geht bei dieser Wahl um eine Richtungsentscheidung: Die alleinerziehende Mutter, die halbtags im Supermarkt arbeitet, spielt in der Welt von Friedrich Merz überhaupt keine Rolle. Dabei sind es doch genau diese Menschen, die unser Land tagtäglich am Laufen halten. Ihnen gebührt ebenso Respekt wie jemand, der als Investmentbanker ein paar Hunderttausend im Jahr verdient. Diese unterschiedlichen Weltbilder sind sehr grundlegend für politische Entscheidungen zur Höhe der Rente oder etwa des Mindestlohns.

Und der persönliche Vergleich?

Miersch: Scholz und Merz haben sehr unterschiedliche Charaktereigenschaften. Der Kanzler ist besonnen, das hat er in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine gezeigt. Scholz verfügt außerdem über Sachkompetenz und große Tatkraft, er kann gut zuhören. Auf der anderen Seite sehen wir einen sehr impulsiven Oppositionsführer …

… mit dem Sie dann nach der Wahl eine große Koalition bilden?

Miersch: Ich kämpfe dafür, dass die SPD erneut stärkste Kraft wird. Über Koalitionen mache ich mir keine Gedanken.

Sie werfen Merz Impulsivität vor. Er erzeugt aber Aufmerksamkeit und Emotionen, das ist die große Schwäche von Scholz. Vorteil für Merz?

Miersch: Nein. Ein Kanzler muss in Koalitionen immer die Rolle des Moderators übernehmen können. Der SPD und dem Kanzler ist aber klar, dass wir unsere Führungsrolle jetzt noch deutlicher machen müssen. In diesen stürmischen Zeiten ist es nicht die Aufgabe des Kanzlers, nach Schlagzeilen zu lechzen. Er wird weiter besonnen und sachorientiert arbeiten. Die inhaltlichen Unterschiede zu den Mitbewerbern wird die Partei deutlich machen und ein Beispiel ist unser Strategiepapier vom vergangenen Wochenende.

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Zum Streit in der Koalition: Beim Sicherheitspaket gibt es den auch in der SPD-Fraktion. Musste Scholz SPD-Abgeordneten mit der Vertrauensfrage drohen, weil sie das Paket ablehnen?

Miersch: Das ist Quatsch. Olaf Scholz hat nicht mit der Vertrauensfrage gedroht. Es gab eine lebendige Diskussion, die war völlig angemessen, weil es bei dem Sicherheitspaket auch um Verfassungsrecht und um Grundrechte geht. In der Debatte haben sich Abgeordnete kritisch geäußert, sich dabei auf ihre eigene Einwanderungsgeschichte bezogen. Scholz hat daraufhin das Wort ergriffen und für das Paket geworben.

Also kein Kanzler-Machtwort?

Miersch: Scholz hat an die Fraktionsdisziplin appelliert. Unsere Geschäftsordnung legt fest: Wenn die Mehrheit der Abgeordneten in einer Fraktionssitzung für eine Entscheidung stimmen, dann haben sich im Bundestag alle daran zu halten. Es war ein Appell, keine Drohung.

Stimmt die SPD am Freitag im Bundestag also geschlossen ab?

Miersch: Ich gehe davon aus, dass die sehr große Mehrheit für das Sicherheitspaket stimmt.

Hält die Koalition bis zum Ende der Wahlperiode?

Miersch: Davon bin ich überzeugt.

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Beim Rentenpaket hakt es …

Miersch: Mit dem Rentenpaket stabilisieren wir das Rentenniveau. Davon profitieren Millionen Menschen, für die die gesetzliche Rente oft die einzige Altersvorsorge ist. Sie verlassen sich auf die SPD. Darum ist das Rentenpaket für uns so wichtig. Es ist vereinbart und Christian Lindner hat es als abschlussreif dargestellt, dennoch gibt es in der FDP noch Diskussionen. Ich erwarte von Lindner, dass er sich bei der Rente in seiner Partei durchsetzt. Außerdem wollen wir zur Sicherung von Industriearbeitsplätzen die Energiepreise durch eine Senkung der Netzentgelte stabilisieren. Das betrifft Finanzfragen und somit den Haushalt. Der Druck zu handeln ist groß: Wir fordern von den Ampel-Partnern, dass wir eine gemeinsame Lösung dafür finden, um Arbeitsplätze zu sichern.

Ums Geld wird es auch gehen, sollte Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewinnen und die Hilfe der USA für die Ukraine einstellen.

Miersch: Ich hoffe darauf, dass Kamala Harris die Wahl gewinnt. Sollte es anders kommen, brauchen wir schnell eine europäische Lösung. Das wird Deutschland nicht allein schultern können. Für mich ist es aber unvorstellbar, dass wir in einem solchen Szenario die Unterstützung der Ukraine schleifen lassen. Wichtig ist, dass wir dann handlungsfähig bleiben – notfalls müssen wir noch einmal über die Aussetzung der Schuldenbremse reden.

Käme es doch zum Koalitionsbruch: Wären Sie in der Lage, einen Wahlkampf für eine Wahl bereits im Frühjahr zu organisieren?

Miersch: Da bin ich mir nach einer guten Woche hier in der Parteizentrale sicher.

SPD-Steuerpläne: Wirtschaftsweise «nicht überzeugt»

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    Mit Kevin Kühnert hat die SPD jemanden verloren, der besonders junge Menschen angesprochen hat. Kann die SPD diese Lücke füllen?

    Miersch: Kevins Rücktritt ist ein großer Verlust. Aber ich habe keine Zweifel, dass es uns mit den Jusos gelingt, viele junge Leute anzusprechen.

    Bei den Europawahlen und den Landtagswahlen im Osten haben relativ wenig junge Menschen die SPD gewählt.

    Miersch: Das besorgt mich sehr. Wir wollen junge Menschen mit einer zukunftsgewandten Politik ansprechen. Ich bin leidenschaftlicher Klimapolitiker und werde hier auch zukünftig inhaltliche Schwerpunkte setzen. Gleichzeitig müssen wir uns Gedanken über unseren Social-Media-Auftritt machen. Ich will mehr Parteimitglieder dafür gewinnen, in den sozialen Medien für die Inhalte der SPD zu werben.

    Sitzungen und Statements der Bundestagsfraktionen
    Matthias Miersch (links) mit den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil. © DPA Images | Fabian Sommer

    Befürchten Sie eine russische Einflussnahme auf den Bundestagswahlkampf?

    Miersch: Davon müssen wir ausgehen. Möglich sind Cyberangriffe auf die Parteien oder staatliche Institutionen. Ein großes Problem ist Desinformation im Netz – übrigens nicht nur aus Russland, sondern auch aus anderen Staaten. Das wird alle demokratischen Parteien betreffen, da müssen wir zusammenhalten und uns gemeinsam wehren. Das werde ich mit den anderen Generalsekretären der demokratischen Parteien besprechen. Wenn es um unsere Demokratie geht, müssen wir trotz Wahlkampfes mit einer Stimme sprechen.

    Wie stellen Sie das Willy-Brandt-Haus dagegen auf?

    Miersch: Was einmal in der Welt ist, lässt sich schwer zurückholen. Darum sind Fake News so ein großes Problem. Wir müssen überlegen, wie wir in solchen Fällen in der Breite wirken können. Das ist nicht trivial. Deswegen appelliere ich an die gesamte Zivilgesellschaft, Fake News zu bekämpfen.

    Nach den Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind dort rechnerisch sichere Regierungsbündnisse nur mit der Partei von Sahra Wagenknecht möglich. Würden Sie im Bund mit dem BSW zusammenarbeiten?

    Miersch: Über Wahlausgang und Koalitionen spekuliere ich nicht. Aber ein Gedanke zu sicheren Regierungsbündnissen: Möglicherweise müssen wir in Deutschland unsere Scheu gegenüber neuen Formen der Regierungszusammenarbeit etwas ablegen. In anderen Staaten gibt es Minderheitsregierungen oder Formen von Kooperationen, die nicht auf eine feste Koalition hinauslaufen. In Parlamenten mit vielen kleineren Parteien könnte das eine Möglichkeit sein.

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    Sind die drei Bundesländer ein politisches Labor für ganz Deutschland?

    Miersch: Wir müssen sehen, wie das BSW sich verhält. Manche BSW-Landespolitiker vor Ort sind offenbar sehr an einer Regierungsbildung interessiert. Die entscheidende Frage ist allerdings, wie Sahra Wagenknecht sich da einmischt und mitentscheidet.

    Nach der Wahl stellt sich die Frage, wer Bundespräsident Steinmeier nachfolgt. Sollte es eine Frau sein?

    Miersch: Frank-Walter Steinmeier macht einen hervorragenden Job. Nach der Bundestagswahl ist die Zeit trotzdem reif für eine Bundespräsidentin.