Berlin. Eine Betroffene berichtet, was jüdische Studenten im vergangenen Jahr an deutschen Universitäten erlebten – und wie sie sich wehren.
Seit dem 7. Oktober zeichnen Angst und Unsicherheit das Leben vieler jüdischer Menschen in Deutschland. Proteste an Universitäten werfen dringende Fragen zum Umgang mit antisemitischen Vorfällen auf. Im Interview erzählt Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD), von ihren Erlebnissen im vergangenen Jahr, ihren Forderungen an die Politik und den Momenten, die ihr dennoch Hoffnung geben.
Leider sprechen wir heute unter schwierigen Umständen, denn der Anschlag vom 7. Oktober jährt sich. Wie haben Sie das letzte Jahr erlebt – gibt es besondere Erfahrungen, die Sie in dieser Zeit bewegt haben?
Hanna Veiler: Ich denke, wir müssen damit anfangen, dass vielen jüdischen Studierenden im letzten Jahr sprichwörtlich der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wir sind es gewohnt, mit Antisemitismus im Alltag umzugehen, wie damit, dass unsere Einrichtungen seit langer Zeit auf Polizeischutz angewiesen sind. Doch seit einem Jahr leben wir in einem Ausnahmezustand. Jüdische Studierende sind ständig mit der Frage konfrontiert, wann und wo sie sicher sind und ob es überhaupt sicher ist, ihre jüdische Identität offen zu zeigen.
Wir erleben offen ausgesprochenen Hass, Antisemitismus und die Verherrlichung von Terrorgruppen auf unseren Campussen. Was das für jüdische Studierende bedeutet, ist einerseits, dass sie mehr Zeit mit der Community verbringen und diese auch unterstützen. Gleichzeitig haben wir im vergangenen Jahr auch erlebt, dass viele jüdische Studierende diesen Zustand nicht länger dulden. Sie haben sich organisiert, sind auf die Straße gegangen, haben Initiativen gegründet und kämpfen seither ununterbrochen für Demokratie, Gleichberechtigung und gegen Antisemitismus in der Gesellschaft.
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Welche Maßnahmen wünschen Sie sich von Universitäten, um Antisemitismus besser zu bekämpfen?
Veiler: Wir haben bereits im November letzten Jahres einen Maßnahmenkatalog mit neun Punkten veröffentlicht. Einige Maßnahmen sind bereits in der Umsetzung, aber Universitäten müssen sich stärker mit antisemitischen Strukturen auseinandersetzen. Es braucht Zuständigkeiten innerhalb der Hochschulen, damit jemand Antisemitismus am Campus überwacht, Maßnahmen einleitet und für die Belange jüdischer Studierender vor Ort zuständig ist. Wichtig ist auch, dass Universitäten konsequent gegen antisemitische Straftaten vorgehen. Wir haben alle rechtlichen Mittel zur Hand. In jedem Bundesland gibt es die Möglichkeit, antisemitische Straftäter zu exmatrikulieren. Universitäten müssen Haltung zeigen, diese Fälle anzeigen und dafür sorgen, dass sie strafrechtlich verfolgt werden.
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Haben Sie das Gefühl, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung in den letzten Wochen, besonders im Zusammenhang mit den jüngsten Eskalationen im Krieg, verändert hat?
Veiler: Sobald es im Nahen Osten zu einer Eskalation kommt, breitet sich das wie ein Lauffeuer aus. Jüdinnen und Juden weltweit werden für das, was in Israel geschieht, zur Verantwortung gezogen, erleben israelbezogenen Antisemitismus. Israel wird zum Schauplatz für antisemitische Narrative gemacht, und alle Jüdinnen und Juden werden mit diesen Narrativen belastet. Uns ist bewusst, dass das, was derzeit in Israel passiert, nicht dort bleiben wird. Es geht nicht nur um Israel, sondern die gesamte westliche Welt ist das Ziel, wie die Anschläge vom 7. Oktober zeigen. Deshalb hat das, was dort geschieht, direkte Auswirkungen auf uns.
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Glauben Sie, dass der deutschen Gesellschaft das bewusst ist?
Veiler: Nein, ich glaube, dass viele das nicht verstehen. Sie denken, das hätte nichts mit ihnen zu tun. Aber das stimmt nicht. Schauen wir uns den Sommer an: Messerattacken, ein geplanter Anschlag auf das Taylor Swift Konzert in Wien – das sind keine Zufälle. Es wurde bewusst ein Publikum ausgewählt, das für westliche Freiheit steht. Der islamistische Terror zielt nicht nur auf Jüdinnen und Juden oder Israel ab, sondern auf die westliche Gesellschaft insgesamt.
Was wünschen Sie sich von der Politik in dieser Hinsicht?
Veiler: In der Innenpolitik ist bereits vieles geschehen, aber es reicht nicht aus. Organisationen mit Nähe zu terroristischen Gruppierungen müssen verboten und mit aller Härte des Rechtsstaates verfolgt werden. Was die Außenpolitik betrifft, muss die sogenannte Staatsräson mit Leben gefüllt werden. Aus Worten müssen Taten werden. Das hat sich nicht damit erledigt, Reden zu halten, sondern es bedeutet, Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel zur Seite zu stehen.
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Haben Sie im vergangenen Jahr auch positive Entwicklungen oder Initiativen gesehen, die Ihnen Hoffnung machen?
Veiler: Auf jeden Fall. Es gibt viele Menschen, die uns unterstützen und die nicht gleichgültig sind. Als Beispiel würde ich die Initiative „Fridays for Israel“ nennen, die regelmäßig demonstriert hat und die mehrheitlich nicht aus jüdischen Menschen besteht. Sie sind auf die Straße gegangen, haben uns Unterstützung angeboten und ein klares Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt. Von solchen Initiativen gibt es einige in Deutschland. Ihnen muss der Rücken gestärkt werden, denn der Kampf gegen Extremismus sollte nicht Aufgabe der jüdischen Gemeinschaft sein, sondern der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft.
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