Washington. Wer liegt vorne: Trump oder Harris? Fast täglich werden neue Umfragen veröffentlicht. Aber kann man denen überhaupt vertrauen?

Glaubt man den Umfragen, ist das Rennen ums Weiße Haus zwischen Donald Trump und Kamala Harris so eng wie lange nicht. Und genau da fängt das Problem an: Glaubt man den Umfragen? Die Demokraten sind beunruhigt.

2016, als Trump gewann, und 2020, als er gegen Joe Biden verlor, wichen die tatsächlichen Ergebnisse in den einzelnen Bundesstaaten mitunter deutlich von vorherigen Umfragen ab. Meist waren es die Republikaner, die besser abschnitten, als es erwartet worden war.

Die Branche der Meinungsforscher stürzte das in eine Krise. Konnte man ihnen noch vertrauen? Was war schiefgelaufen? Haben sie ihre Methoden und Modelle nun so angepasst, dass sie 2024 ins Schwarze treffen?

Sieg von Hillary Clinton galt als fast sicher – dann folgte der Trump-Schock

Rückblick: 2016, knapp drei Wochen vor der Wahl, titelt unter anderem die „New York Times“: „Hillary Clinton hat eine Siegwahrscheinlichkeit von 91 Prozent.“ Im Artikel dazu fassten die Analysten zusammen: „Zu diesem Zeitpunkt würde selbst eine große Fehlprognose nicht ausreichen, damit Trump gewinnt – es bedarf einer plötzlichen und auffälligen Veränderung der Grundlagen des Präsidentschaftswahlkampfs.“ Selbst bei einer möglichen Abweichung von drei bis vier Prozentpunkten, wäre Clinton nicht einzuholen. Die Demokratin führte zu diesem Zeitpunkt in nationalen Umfragen mit sechs bis sieben Prozentpunkten Vorsprung.

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Das Ende ist bekannt. Tatsächlich gewann Clinton die „popular vote“, holte landesweit fast drei Millionen mehr Stimmen – ein Sieg ohne Wert. Denn unter anderem sechs der sieben Swing States, bei denen davon auszugehen ist, dass sie auch dieses Jahr die Wahl entscheiden, gingen damals an Trump: Michigan, Wisconsin, Pennsylvania, North Carolina, Georgia und Arizona. Nur Nevada, mit relativ kleinem Stimmengewicht, fiel an Clinton. Trump holte mit 304 Wahlleuten eine komfortable Mehrheit im „electoral college“ (270 werden für einen Sieg benötigt) und wurde Präsident.

Blickt man nun genauer auf die letzten durchschnittlichen Umfragewerte in diesen Swing States vor der Wahl 2016 und vergleicht sie mit dem Endergebnis, wird deutlich, wie sehr die Meinungsforscher daneben lagen.

  • Wisconsin: Clinton führte in den Umfragen mit 6,2 Prozentpunkten Vorsprung, Trump siegte mit 0,8 Prozentpunkten Vorsprung.
  • Michigan: Clintons Vorsprung: 3,8 Prozentpunkte. Trump siegte mit 0,2 Prozentpunkten Vorsprung.
  • Pennsylvania: Clintons Vorsprung: 2,9 Prozentpunkte. Trump siegte mit 0,7 Prozentpunkten Vorsprung.
  • North Carolina: Clintons Vorsprung: Minimal, 0,1 Prozentpunkte. Trump siegte mit 3,7 Prozentpunkten Vorsprung.
  • Georgia: Clintons Rückstand in den Umfragen: 4,2 Prozentpunkte. Trump siegte mit 5,1 Prozentpunkten Vorsprung.
  • Arizona: Clintons Rückstand in den Umfragen: 2,9 Prozentpunkte. Trump siegte mit 3,5 Prozentpunkten Vorsprung.
  • Nevada: Clinton baute ihren hauchdünnen Vorsprung in den Umfragen (0,1) zu einem deutlichen Sieg aus (2,4).

Fazit: In sechs von sieben Swing States waren Trump-Wähler teils massiv unterschätzt worden.

Biden siegt, der Schock bleibt aus – aber die Umfragen liegen wieder daneben

2020 ging es darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Der Verbund der Meinungsforscher, die American Association for Public Opinion Research (AAPOR), hatte nach der Wahl 2016 eine Taskforce gegründet, um Probleme zu identifizieren.

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Mit Erfolg? Da gibt es geteilte Ansichten. Zwar gewann Joe Biden die Wahl mit 306 Wahlleuten und landesweit sieben Millionen mehr Stimmen auf den ersten Blick recht deutlich. Doch in einigen der Swing States war die Trump-Anhängerschaft erneut unterschätzt worden, weswegen es teils zu dramatisch engen Entscheidungen kam. Es fehlte nicht viel, um die Wahl zu Gunsten des Republikaners zu kippen. Der Überblick:

  • Wisconsin: Bidens Vorsprung in den Umfragen: 7,6 Prozentpunkte. Er siegte mit einem Vorsprung von 0,6 Prozentpunkten.
  • Michigan: Bidens Vorsprung in den Umfragen: 6,1 Prozentpunkte. Er siegte mit einem Vorsprung von 2,8 Prozentpunkten.
  • Pennsylvania: Bidens Vorsprung in den Umfragen: 2,9 Prozentpunkte. Er siegte mit einem Vorsprung von 1,2 Prozentpunkten.
  • North Carolina: Bidens Vorsprung in den Umfragen: 0,8 Prozentpunkte. Trump siegte mit einem Vorsprung von 1,3 Prozentpunkten.
  • Georgia: Bidens Vorsprung in den Umfragen: 0,1 Prozentpunkte. Er siegte mit einem Vorsprung von 0,2 Prozentpunkten.
  • Arizona: Bidens Vorsprung in den Umfragen: 1,8 Prozentpunkte. Er siegte mit einem Vorsprung von 0,3 Prozentpunkten.
  • Nevada: Bidens Vorsprung in den Umfragen: 3,9 Prozentpunkte. Er siegte mit einem Vorsprung von 2,4 Prozentpunkten.

Fazit: Wie schon 2016 gingen vor allem die Vorhersagen in Wisconsin weit am Ziel vorbei. Zur Verteidigung der Meinungsforscher: Die Abweichungen in den meisten Swing States fielen geringer aus und lagen innerhalb der möglichen statistischen Fehlerquote. Das Gegenargument: Bis auf Georgia, wo fast eine Punktlandung glückte, legte Trump in allen Staaten im Vergleich zu den Umfragen zu. Es gab also erneut eine eindeutige Tendenz, dass Trump-Wähler unterschätzt wurden.

So sah es schließlich auch die AAOPR. Ein Schock wie 2016 war zwar ausgeblieben, weil der vorhergesagte Sieger auch der tatsächliche Sieger war, aber die Meinungsforscher fanden heraus, dass die Abweichungen – wenn man alle Staaten und auch die Wahlen berücksichtigt, bei denen es nicht um die Präsidentschaft ging – zwischen Umfragen und den Ergebnissen tatsächlich so hoch waren wie seit zwei Jahrzehnten nicht.

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Trump unterschätzt: Was sind die Gründe?

Zu den Gründen, warum die Meinungsforscher die Trump-Wählerschaft 2016 und 2020 unterschätzten, wurde kontrovers diskutiert. Es gibt ganz banale Ursachen. Es gibt Wähler, die sich tatsächlich erst kurz vor der Wahl oder sogar an der Urne selbst entscheiden, wem sie ihre Stimme geben. Das Momentum auf den letzten Metern spielt also eine Rolle; weniger 2020, als es durch die besonderen Umstände der Corona-Pandemie so viele Briefwähler gab wie noch nie. Andere Wähler wiederum, behaupten zumindest einige Experten, würden schlicht aus Scham in Umfragen nicht zugeben, dass sie Trump wählen.

Doch die Hauptursache liegt in der Mathematik. Meinungsforscher befragen wenige Tausend Leute und versuchen daraus abzuleiten, wie mehrere Millionen Menschen wählen. Um das tun zu können, müssen sie die Stimmen gewichten. Dabei spielen traditionell Faktoren wie Geschlecht, Alter, Einkommen und auch die Hautfarbe eine Rolle.

Doch die Wahlforscher beobachten vor allem in radikalen Wählergruppen ein zunehmendes Misstrauen. Vereinfacht ausgedrückt: Meinungsforscher haben zu radikalen Trump-Anhängern keinen Zugang mehr. Sie werden stattdessen von ihnen beschimpft. „Ihr seid Teil des Problems“, heißt es dann. Trump hatte schon 2016 immer wieder von „Fake-Umfragen“ gesprochen. In den Augen seiner Anhänger schien der überraschende Sieg dies zu bestätigen.

Was nun anders laufen soll

Um diese blinden Flecken auszuleuchten, sind neue Faktoren hinzugekommen, die bei der Gewichtung nun eine größere Rolle spielen sollen. Zum Beispiel: Bildung, voriges Wahlverhalten oder ob jemand Mieter ist oder ein Eigenheim besitzt. Weiße ohne College-Abschluss, die überproportional häufig Trump wählen, waren vor allem 2016 unterrepräsentiert. Das muss die Mathematik ausgleichen.

Und es gibt noch eine ganz simple Maßnahme, die helfen soll, den Umfrageirrtum zu minimieren. Dan Levy, Direktor des Siena College Research Institutes, erklärte gegenüber CNBC: Manche Leute würden sich zunächst auf eine Umfrage einlassen und verraten, wen sie wählen wollen, aber im weiteren Verlauf würden sie dann sagen: „Mir reicht‘s. Ich möchte nicht mehr mit Ihnen sprechen.“ Früher fielen diese Abbrecher dann einfach raus. Dann stellten Levy und seine Leute fest, dass sich die Umfragen 2020 etwa 1,25 Prozentpunkte in die Richtung von Trump verschoben hätten, wenn man diese Leute gezählt hätte. Der Umfrageirrtum wäre um 40 Prozent geringer ausgefallen. Nun werden die Umfrageabbrecher mitgezählt.

Demokraten werden beten, dass die Mathematik nun stimmt oder besser noch: dass der Umfrageirrtum durch die Korrekturen in die andere Richtung gekippt ist. Denn in den Umfragen hat Kamala Harris leichte Vorteile gegenüber Donald Trump. Und vielleicht gibt es noch einen psychologischen Effekt, aber über diesen lässt sich nur spekulieren: Die knappen Abstände in den Umfragen könnten Wähler mobilisieren. Jeder weiß: Meine Stimme kann am Ende entscheidend sein.