Washington/Philadelphia. Das Duell der Präsidentschaftskandidaten in Philadelphia wird acht Wochen vor der US-Wahl der Schlüsselmoment im Kampf ums Weiße Haus.
Es wird einer dieser historischen Fernseh-Abende, da sind sich die meisten sicher.
Wenn sich die US-Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump am Dienstagabend im „National Constitution Center“ in Philadelphia vor den Kameras des Senders ABC gegenüberstehen, werden sich allein in den Vereinigten Staaten zig Millionen Zuschauer vor den Bildschirmen versammeln – 64 Jahre, nachdem John F. Kennedy und Richard Nixon das Format des TV-Job-Interviews fürs Weiße Haus aus der Taufe gehoben hatten.
Acht Wochen vor der Wahl liefern sich die kurzfristig für den altersbedingt ausgeschiedenen Amtsinhaber Joe Biden nachgerückte Demokratin und der Republikaner, der bereits von 2017 bis 2021 Präsident war, in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Anders als sonst wird der Debatte darum höchste Bedeutung für die Wahl am 5. November beigemessen. Riesenpatzer oder Sternstunde? Und wenn ja, für wen? Wie das Kräftemessen ausgeht, weiß niemand. Aber die Ausgangslage hat es nach in sich:
Wie kann Harris das TV-Duell gewinnen?
Indem sie nüchtern und besonnen in Grundzügen ihre auf Chancengerechtigkeit angelegte Zukunftsvision für Amerika ausbreitet, dabei nicht den Faden verliert und Störmanöver weglächelt. Gelingt es ihr, die selbstzerstörerischen Instinkte Trumps zu triggern, dabei selber sympathisch und präsidial zu wirken, hätte sie schon halb gewonnen. Ihr größtes Plus: Harris ist nicht Trump, den Amerika zur Genüge kennt und entweder hasst oder vergöttert. Kamala Harris ist dagegen für viele noch immer ein weißes Blatt Papier. Sie hat die einmalige Chance, sich selbst zu definieren.
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Wo liegen für sie in der Debatte mit Trump die größten Gefahren?
Trump liebt Schlammschlachten. Er will nicht um Ideen ringen. Er will sein Gegenüber fertigmachen. Harris muss sich in Acht nehmen. Fährt sie ihm in die Parade, so ihre Berater, dann nicht motzig und rechthaberisch. Sondern mit bürgerorientiertem Augenmaß. Eine Frau mit Haaren auf den Zähnen gewinnt in Amerika kaum das Plazet weiter Teile der Bevölkerung.
TV-Duel vor der US-Wahl: Was müsste Trump gelingen, um zu siegen?
Das, was ihm am schwersten fällt: Der chronisch selbstbezogene, häufig lügende und neuerdings vorbestrafte Mann müsste diszipliniert bei der Sache bleiben, vulgo: Fragen beantworten, Egozentrisches unterdrücken, Harris bei den Sachthemen kenntnisreich Paroli bieten, seine Konzepte verständlich dagegenstellen und dabei vernünftig wirken. Nur so könnte er über die nibelungentreue Stammkundschaft hinaus neue Wähler gewinnen.
Wo sind die größten Risiken für Donald Trump?
Dass er Komplettaussetzer hat oder sich zu frauenfeindlichen und rassistischen Flegeleien hinreißen lässt. Was moderate, parteiunabhängige Wählerinnen und Wähler abstoßen würde. Die frühere Staatsanwältin Harris verfügt über inquisitorische Fähigkeiten. Sie wird ihn wie einen Angeklagten behandeln. Wo Trump salbadert, ist sie im Detail meist sattelfest. Trump muss sich hüten, seine Widersacherin wie bisher für dumm zu halten. Außerdem: Legt Trump wieder nur die alte „Platte“ vom angeblichen korrupten Wahlsystem und einer Verschwörung gegen ihn auf, werden viele inhaltlich abschalten. Sie können es nicht mehr hören.
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Was werden die wichtigsten Themen der TV-Debatte sein?
Harris wird sich dem Kampf für ein freies Abtreibungsrecht, der Senkung der Lebenshaltungskosten, neuen sozialen Leistungen für die Mittelschicht und dem Einsatz für die von Trump (Sturm aufs Kapitol etc.) zerbeulte Demokratie widmen. Überschrift: Mit mir geht es in die Zukunft, mit meinem autokratisch veranlagten Konkurrenten in die Vergangenheit. Trump wird dagegen versuchen, Harris haftbar zu machen für hohe Inflation, Millionen illegaler Einwanderer, hohe Preise im Supermarkt, angebliche grassierende Kriminalität, außenpolitisches Versagen (Ukraine, Gaza) und eine aus seiner Sicht politisierte Justiz. Er wird sie als linksradikal, wenn nicht sogar als kommunistisch bezeichnen.
Wer hat mehr zu verlieren?
Donald Trump. Seit Harris den Platz von Biden eingenommen hat, sind seine Umfragenvorsprünge dahin. Alle Versuche, Harris aus der Balance zu bringen oder ihr einen Skandal anzudichten, sind bisher gescheitert. Die Debatte, vielleicht die einzige vor der Wahl, ist Trumps vorläufig letzte Chance, der knapp 20 Jahre jüngeren Konkurrentin das Momentum zu stehlen. Dazu muss er Topform abliefern. So ziemlich das Gegenteil von dem, was zuletzt seine Kundgebungen prägte: unzusammenhängendes Kauderwelsch, absurde Erzählungen von Hannibal Lecter und Haien, die Experten wie Parteifreunde zunehmend von mentalem Verfall reden lässt.
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Worauf kommt es an?
Der Gewinner könnte am Ende nicht der sein, der den größten Treffer landet. Sondern derjenige, der sich am wenigsten selbst beschädigt. Beide Kampagnen werden durch prominente Stellvertreter der Debatte sofort ihren Spin aufdrücken und den Sieg für sich reklamieren. Dazu braucht es Video-Schnipsel im „Best-of“-Stil und eingängige Sprüche, die in sozialen Medien konservierbar bleiben.
Wie sind die Spielregeln während der Debatte?
90 Minuten Dauer. Zwei Werbepausen. Spickzettel verboten. Auch keine Gespräche untereinander. Wer nicht dran ist, dessen Mikrofon ist stumm. Johlendes Publikum bleibt draußen. Mann und Frau stehen hinter einem Rednerpult. Die Moderatoren David Muir und Linsey Davis geben den Kandidaten jeweils zwei Minuten Zeit für die Beantwortung einer Frage. Die Gegenrede ist auch auf zwei Minuten begrenzt. Eine Minute zusätzlich ist für Klarstellungen reserviert. Schauplatz: das „National Constitution Center“ in Philadelphia. Beginn. 21 Uhr Ostküstenzeit – 3 Uhr früh am Mittwoch in weiten Teilen Europas.