Berlin. Die dramatische Wende der Demokraten im US-Wahlkampf spielt Harris derzeit in die Karten. Doch die nächste Chance für Trump kommt bald.

Noch nie ist es in der jüngeren US-Geschichte vorgekommen, dass sich im Rennen um die Präsidentschaft innerhalb von so kurzer Zeit eine so dramatische Wende vollzogen hat. Vor sechs Wochen galt der republikanische Spitzenkandidat Donald Trump noch als der klare Favorit. Nun hat seine demokratische Kontrahentin Kamala Harris alle Trümpfe in der Hand. Gleichwohl ist zwei Monate vor der Wahl alles offen.

Das hatte Mitte Juli niemand kommen sehen: Nachdem Präsident Joe Biden in der einzigen Fernsehdebatte mit Trump abgestürzt war, baute der republikanische Kandidat seine Führung kontinuierlich aus. Unterdessen waren hinter den Kulissen bei den Demokraten fieberhafte Bemühungen im Gange, den fast 82-jährigen Präsidenten zum Ausstieg zu zwingen. Biden aber stellte sich auf die Hinterbeine. Doch der Druck aus der Partei war zu groß. Wie eine Bombe schlug dann an einem Sonntagnachmittag Ende des Monats die Nachricht ein, dass er seine Kandidatur doch beenden würde.

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Zunächst hieß es, dass eine kleine Gruppe von Kandidaten sich in einer Serie von Vorwahlen gegenüberstehen würden, die binnen weniger Wochen abgeschlossen sein sollten. Dann sagten aber immer mehr der demokratischen Delegierten, die Biden in den Vorwahlen gewonnen hatte, seiner Stellvertreterin Harris ihre Unterstützung zu. Bald danach stand fest, dass sie den Zuschlag bekommen würde.

US-Wahlumfragen: Harris hat die Nase aktuell leicht vorne

Ihre Kandidatur trat eine Welle der Begeisterung los, für die noch kein Ende in Sicht ist. Wie ein Durchschnittswert aus den wichtigsten Umfragen ergibt – dieser wird von der Website realclearpolitics.com veröffentlicht – liegt die Demokratin jetzt in den drei wichtigsten Swing States, nämlich Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, knapp vorn. In den übrigen Staaten mit einem hohen Anteil unentschlossener Wechselwähler, nämlich Nevada, Georgia, Arizona und North. Carolina, liegen Harris und Trump in einem toten Rennen. Auf nationaler Ebene freut sich die Demokratin über einen Vorsprung von mehr als 3 Prozentpunkten, der aber immer noch innerhalb der statistischen Fehlermarge liegt.

Democratic candidate VP Kamala Harris meets workers on the  occasion of US Labor day
Kamala Harris führt in den Umfragen knapp vor Trump. © AFP | Jeff Kowalsky

Harris und ihre Parteifreunde gehen aber taktisch klug vor. So bezeichnet sich die Vizepräsidentin nach wie vor als „Underdog“, also (leichte) Außenseiterin. Ziel dieser Strategie ist es, Vertreter der wichtigsten Stimmgruppen, nämlich Frauen, Afroamerikaner, andere ethnische Minderheiten und insbesondere jüngere Wähler zur Stimmabgabe zu motivieren.

Doch welche Themen, politischen Entwicklungen und Überraschungen werden in den letzten zwei Monaten den Sieger bestimmen? Ein Grund für die überraschende Wende ist der unvorhergesehene Paradigmenwechsel. So hatten mehr als zwei Drittel der Amerikaner gesagt, dass sie keine Neuauflage des „Duells der alten Herren”, nämlich zwischen Biden und Trump, sehen wollen.

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Nach dem TV-Duell stand plötzlich der amtierende Präsident als der gebrechliche und inkompetente Greis dar. Seitdem aber Harris die Bühne betrat, ist der Republikaner Trump in der Rolle des „alten Mannes“, die ihm sichtlich missfällt. Folglich tut Trump – zum Leidwesen seiner Berater – seit Wochen nichts, außer die persönlichen Beleidigungen gegen seine Gegnerin zu verschärfen und ein Potpourri aus seinen ältesten Schlagern anzustimmen: Unter anderem die Lüge einer gestohlenen Wahl im Jahr 2020, eines angeblichen „Deep State“, und einer Justiz, die Biden sowie seine demokratischen Parteifreunde angeblich missbrauchen, um ihn vor Gericht zu stellen und somit die Wahl zu manipulieren.

Neben dem neuen Gesicht, das die Wähler begeistert, werden aber in den kommenden Wochen auch andere Faktoren entscheiden, ob am 5. November der Sieger Trump oder Harris heißen wird. Eine zentrale Rolle wird die Wahlbeteiligung spielen. Im Jahr 2020 gaben mehr als 155 Millionen Amerikaner ihre Stimme ab. Diese Rekordzahl dürfte im November deutlich übertroffen werden. Traditionell betreiben Demokraten die bessere Basisdemokratie. Im Klartext: Sie haben mehr Helfer, die an Türen klopfen, Wahlkampfveranstaltungen durchführen, Telefonate machen und sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um ihre Wähler zu mobilisieren.

Auch werden soziale Medien ins Gewicht fallen. Die Berater des republikanischen Kandidaten, die verzweifelt sind über seinen hartnäckigen Rückstand, haben während der vergangenen Wochen zahlreiche „Deep Fakes“ – also gefälschte Videos von Harris –auf sozialen Medien verbreitet. Dasselbe tut Trumps reichster und mächtigster Anhänger, Elon Musk. Auf seiner Plattform X hat der Milliardär unter anderem ein Video der Demokratin gepostet, in dem sie angeblich eine kommunistische Uniform trägt. Die Demokraten haben hingegen einen geradlinigen Ansatz gewählt. Mit der Unterstützung von Influencern haben sie auf TikTok und anderen Social Media Sites hunderte von Videos platziert, die für die Vizepräsidentin werben und Ihre Popularität gerade bei jungen Wählern erhöht hat.

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Unterdessen hat es den Anschein, als würden harte, politische Themen nur zweite Geige spielen. Harris will sich auf ihr wirtschaftspolitisches Programm konzentrieren. Unter anderem das geplante Verbot von Preisabsprachen in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Auch auf staatliche Zuschüsse für Hauskäufer und Steuererleichterungen für kleine Unternehmen. Trump dagegen will zum Angriff blasen. Anstatt eigene Initiativen vorzustellen, will er seiner Gegnerin die Inflation, die Immigrantenkrise und selbst die Kriege in der Ukraine sowie dem Nahen Osten zur Last legen.

Dabei werden die Kandidaten schon in wenigen Tagen an einem Scheideweg stehen, der den weiteren Verlauf mitbestimmen wird. In der Nacht zum Mittwoch kommender Woche werden sich Trump und Harris zum ersten Mal persönlich begegnen. Dann gleich vor einem Publikum von mehreren hundert Millionen Menschen, nämlich in ihrer ersten und womöglich einzigen Fernsehdebatte. Wer daraus in den Augen der Wähler als Sieger hervorgeht, könnte mit einem bedeutenden Vorsprung auf die Zielgerade eines bitter ausgefochtenen Wahlmarathons einbiegen.