Berlin. Kamala Harris und Tim Walz mischen den Wahlkampf auf. Trump hat darauf keine Antwort – doch ein Experte warnt vor voreiliger Euphorie.
Kann man mit guter Laune eine Wahl gewinnen? Und welche Strategie findet Donald Trump gegen Kamala Harris. US-Wahlkampfexperte Julius von de Laar beamtwortet die wichtigsten Fragen.
Kamala Harris und ihr Vize Tim Walz scheinen auf einer Welle der Euphorie durchs Land zu schweben. Was sagen die neusten Umfragen?
Julius von de Laar: Wir schauen auf die entscheidenden Swing Staats. In Pennsylvania hat Kamala Harris um 1,3 Prozentpunkte zugelegt und liegt jetzt ungefähr gleichauf mit Donald Trump. In Wisconsin liegt sie knapp vorne, in Michigan, North Carolina, Nevada, Arizona und Georgia ist weiterhin Trump vorn. Seit dem Wechsel von Joe Biden zu Harris haben die Umfragen für die Demokraten deutlich angezogen. Zum ersten Mal in diesem Wahlkampf gibt es für sie mehr als nur einen Pfad hin zu den 270 Wahlleuten, die man für den Wahlsieg braucht.
Vorher führte die Siegerstraße nur durch Pennsylvania und den sogenannten Rust Belt — also Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Jetzt, durch den Wechsel, zeichnen sich auch andere Optionen ab. Das bedeutet, dass das Trump-Team deutlich mehr Verteidigung spielen muss. Sie können sich im Sun-Belt (Nevada, Arizona, Georgia) nicht mehr komplett in Sicherheit fühlen. Sie müssen nun auch dort Zeit investieren und viel Geld ausgeben. Das hemmt die Trump-Kampagne, weil sie nicht alle Ressourcen in den Kampf um Pennsylvania stecken kann.
Harris und ihr Vize-Kandidat Tim Walz versprühen Zuversicht und gute Laune. Erinnert die Stimmung nicht ein bisschen an den Obama-Wahlkampf?
Die Obama-Kampagne wird für mich immer besonders und unvergleichlich bleiben. Aber viele, die ich noch aus den Obama-Tagen kenne und die bei den Veranstaltungen von Harris und Walz dabei waren, sagen, es sei ansatzweise ein ähnliches Gefühl. Die Erinnerung an die Euphorie von damals kehre zurück. Ob das lediglich der Hoffnungsschimmer nach einem depressiven Wahlkampf der letzten sechs Monate ist oder ein echtes Momentum, das bis zum Wahltag tragen kann, muss Harris erst noch unter Beweis stellen.
Harris und Walz stehen für einen Kurs links der Mitte. Lassen sich dort Wahlen gewinnen?
Es haben viele demokratische Kandidaten links der Mitte begonnen, sich dann aber weiter zur Mitte orientiert. Wahlen werden immer in der Mitte gewonnen. Obama war im Vorwahlkampf auch weiter links als am Ende, das gilt auch für Bill Clinton (1992) und Biden. Spätestens nach dem Parteitag im September – zum Labour Day – kommt der Schwenk Richtung Mitte. Aber im Wahlkampf von Trump werden wir bis zum Schluss zu hören bekommen, dass dieses Duo für ganz Linksaußen steht – „Left-Wing-Socialism“.
Zur Person
Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.
Trump findet offenbar noch keine richtige Strategie gegen Harris und Walz. Jetzt gibt er Walz Spitznamen wie „Tampon Tim“, weil er dafür gesorgt hat, dass auf allen Schultoiletten Tampons zur Verfügung stehen. Kann sowas erfolgreich sein?
Trump ist der Erfinder der Spitznamen: Es ist eine seiner wirksamsten rhetorischen Waffen. Jeb Bush nannte er „Low Energy Jeb“, Hillary Clinton bezeichnete er als „Crooked Hillary” (betrügerische Hillary), Joe Biden bekam den Spitznamen „Sleepy Joe”. Er hat am Ende unter anderem auch damit Wahlen gewonnen, deshalb darf man diese Waffe nicht unterschätzen. Doch die Demokraten schlagen inzwischen zurück. Seit acht Jahren haben sie nach einem Wort gesucht, das Trump beschreibt, ohne auch gleich seine Wähler zu treffen. Jetzt haben sie es gefunden – „weird“ – seltsam. Tim Walz war es übrigens.
Müssen wir uns auf einen Wahlkampf der Schlagworte einstellen?
Zunächst ist es erstmal ein Wettlauf um die Definition und Deutungshoheit. Für sehr viele Amerikaner ist Harris eine blasse Vize-Präsidentin und Walz ein Unbekannter — 70 Prozent der Amerikaner können mit seinem Namen nichts anfangen. Trump wird versuchen, das Bild der beiden zu prägen. Das ist Teil seiner Strategie.
Abtreibung ist nach dem Urteil des Supreme Court in den USA ein großes Wahlkampfthema. Viele Frauen sind auf den Barrikaden. Könnten die Frauen am Ende das Zünglein an der Waage sein?
Bei den Kongresswahlen 2022 hat die Mobilisierung der Frauen auch durch das Thema Abtreibung die Wahlen mitentschieden. Heute sieht man, dass viele Frauen fürchten, mit Trump und Vance würden ihre Rechte massiv eingeschränkt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch dieses Mal die Frauen in Rekordzahl wählen gehen. Dazu kommt die Zielgruppe der Afro-Amerikaner, die noch vor ein paar Wochen zu 30 Prozent Trump vor Biden unterstützen — jetzt aber inzwischen fast alle wieder bei Harris und den Demokraten sind. Harris gewinnt auch die jungen Wähler langsam zurück.
Dazu kommt noch die ländliche Bevölkerung. In der Vergangenheit haben die Demokraten diese Zielgruppe mit 70 Prozent an die Republikaner verloren. Mit Tim Walz gibt es die Hoffnung, dass diese Bevölkerungsschicht vielleicht nur mit 65 Prozent für Trump votiert. Und wenn man das alles zusammenzählt, dann kann das bei einer Wahl, die das letzte Mal mit 44.000 Stimmen entschieden wurde, auch dieses Mal entscheidend sein. Aber noch einmal: Bei aller Euphorie, die die Demokraten gerade spüren — es ist bei weitem kein Selbstläufer. Harris und Walz sind nach wie vor die Underdogs.
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