Jerusalem. Die Israelis putzen ihre Schutzbunker, stellen Betonbarrieren vor Kliniken auf – und klammern sich an den letzten Rest von Normalität.

Der Sacher Park in Jerusalem ist voller Besucher, wie an einem ganz normalen Sommerabend. Auf der riesigen Grünfläche haben Familien Picknickdecken ausgebreitet und genießen die Nachmittagssonne, daneben kreischen Kinder auf einem Spielplatz. Auf einem Hügel ein paar hundert Meter steht die Knesset, das israelische Parlament.

Die Abgeordneten sind trotz der seit Jahren größten Krise in der Region in die Sommerpause gegangen. „Die sind am Strand in Tel Aviv“, sagt ein Spaziergänger, der vor dem dem verschlossenen Gitter steht. Er hält seine sechsjährige Tochter an der einen Hand, die andere umfasst ein geschultertes M16-Sturmgewehr. Israel versucht, dem Angriff des Iran und der Hisbollah mit bemühter Normalität entgegenzutreten.

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Doch überall gibt es Hinweise auf die Mobilisierungswelle, die fast dezent im Hintergrund läuft. In einer Ecke im Park schleppen Gruppen junger Frauen und Männer in olivgrünen T-Shirts zunächst kleine Sandsäcke, vor einem Ausbilder robben sie dann wie Soldaten flach auf dem Rasen.

Nahost: Israel erwartet den Angriff des Iran mit stoischer Ruhe

Nach fünf Tagen des Wartens auf die iranischen Raketen haben viele Israelis aufgegeben, im Minutentakt die Nachrichten zu verfolgen. Nach der Absage fast aller Flüge von und nach Tel Aviv und nach den martialischen Drohungen des Regimes in Teheran hatten viele schon am Wochenende mit dem Beginn eines neuen Kriegs gerechnet.

Erfrischung am Brunnen auf dem Dizengoff Platz in Tel Aviv: Niemand will sich hier aus der Ruhe bringen lassen.
Erfrischung am Brunnen auf dem Dizengoff Platz in Tel Aviv: Niemand will sich hier aus der Ruhe bringen lassen. © picture alliance / imageBROKER | Schoening

Seitdem wurden die überall im Land verteilten Luftschutzbunker gereinigt, doch Hamsterkäufe oder Panik blieb aus. „Wir haben doch keinen Einfluss auf das, was passiert“, sagt Ori, einer der jungen Reservisten im Park. Seinen Nachnamen möchte der 18-Jährige nicht veröffentlicht sehen. Es werde schon gut gehen: „Ich vertraue wieder auf den Iron Dome“.

Das über das ganze Land verteilte weltweit einzigartige Netzwerk von Luftabwehrraketen hatte fast alle der 150 Raketen und 170 Drohnen des letzten iranischen Angriffs am 13. April abgefangen. Damals hatte die Regierung in Teheran Vergeltung für einen Israel zugeschriebenen Luftangriff auf seine Vertretung in Damaskus am 1. April verübt. Bei der Attacke war unter anderem ein hochrangiger Kommandeur der Revolutionsgarden getötet worden. Die iranischen Angriffspläne waren damals angekündigt worden.

Sükorea forderte seine Bürger auf, auch Israel zu verlassen

IT-Ingenieur Ori schwant, dass es dieses Mal anders kommen könnte. Seine Armee-Einheit wird in den nächsten Tagen die libanesische Grenze verlegt. Erstmals hat mit Südkorea eine ausländische Botschaft ihre Bürger aufgefordert, nicht nur den Libanon, sondern auch Israel zu verlassen.

Hintergrund: Erzfeinde Israel und Iran Woher der Hass kommt

Israelische Zeitungen zitieren auf den Titelseiten US-Außenminister Antony Blinken, der Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor einer massiven iranischen Vergeltung für den Mord an Hamas-Chef Ismail Hanija warnt. Es drohe eine nicht zu stoppende Spirale der Gewalt, so Blinken. Sein Vorschlag eines Waffenstillstands im Gazastreifen, um die Lage zu deeskalieren, bleibt ungehört.

Nahost: Vor den Krankenhäusern in Haifa stehen Betonbarrieren

Seit Montagmorgen regiert Netanjahu aus einem unterirdischen Regierungsbunker und schwört die Bevölkerung auf einen Mehrfrontenkrieg ein. In Nordisrael ist der Einschlag von Raketen schon seit zehn Monaten Alltag. Auf beiden Seiten der Grenze sind bereits mehr als 200.000 Menschen aus ihren Häusern evakuiert worden.

Verteidigungsminister Galant hat angekündigt, nach einem Angriff der iranischen „Achse des Widerstands“ die Hisbollah und deren Infrastruktur in Beirut zu zerstören. Dann könnte ein wochenlanger Beschuss von Haifa und anderen nordisraelischen Städten mit vielen zivilen Opfern folgen. Die Stadtverwaltung von Haifa hat damit begonnen, gefährliche Chemikalien aus dem Industriegebiet an den Stadtrand zu verlegen.

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Vor Krankenhäusern stehen Betonbarrieren gegen Raketensplitter, im Stundentakt bringen Krankenwagen Verbandsmaterial und Blutkonserven. „Jetzt könnten die Präzisionswaffen der Hisbollah und des Iran zum Einsatz kommen und israelische Städte schwer treffen“, so ein Offizier der israelischen Armee (IDF) an der Grenze. „Aber wir haben keine Wahl, wir müssen diesen Krieg jetzt führen, um die Hisbollah zu verdrängen.“