Berlin.. Israel ist dem Iran militärisch überlegen. Aber was würde passieren, wenn Teheran und seine Verbündeten Israel gleichzeitig angreifen?

Nach der gezielten Tötung eines Hisbollah-Kommandeurs in Beirut und des Hamas-Auslandschefs in Teheran hält die Welt den Atem an. Viele fragen sich: Wie wird der Iran Vergeltung üben? Und: Kann Israel besiegt werden?

Wie könnte eine Vergeltungsaktion des Irans aussehen?

Der Oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, hat laut New York Times einen direkten Angriff auf Israel befohlen. Der Iran hat im April gezeigt: Bei Angriffen auf sein souveränes Hoheitsgebiet ist das Regime bereit, als Vergeltung Raketen, Marschflugkörper und Drohnen direkt aus dem Land heraus auf Israel abzuschießen. Allerdings wurden damals rund 99 Prozent der rund 300 Geschosse abgefangen – zum Teil mit der Hilfe arabischer Staaten wie Jordanien.

Daher könnte der Iran versuchen, eine Multi-Attacke einschließlich seiner Verbündeten der „Achse des Widerstandes“ durchzuführen: der Hisbollah im Libanon, der Hamas, der schiitischen Milizen in Syrien und im Irak sowie der Huthis im Jemen. Zudem könnten schiitische Milizen Schläge gegen US-Militärbasen in der Nahost-Region vornehmen.

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Wie stark ist das iranische Militär im Vergleich zu Israels Streitkräften?

Nach dem Global Firepower Index 2024 liegt der Iran auf Rang 14 und Israel auf Rang 17. Der Iran verfügt demnach über mehr Soldaten, Panzer und Artilleriegeschütze. Doch entscheidend ist Israels Luftüberlegenheit. Das Land hat 241 Kampfjets und 612 Luftfahrzeuge. Der Iran kommt auf 186 Kampfjets und 551 Luftfahrzeuge.

Auch qualitativ ist Israel im Vorteil, weil es auf das deutlich modernere Gerät zurückgreifen kann. Das trifft vor allem auf die F-15-, F-16- und F-35-Kampfjets aus amerikanischer Produktion zu. Die iranische Luftwaffe kann mit ihren Kampfjets sowjetischer Bauart wie Mig-29 oder alten US-Maschinen vom Typ F-14 nicht mithalten.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Iran und seine Verbündeten Israel gleichzeitig angreifen?

Eigentlich hat der durch eine schwere Wirtschaftskrise gebeutelte Iran kein Interesse an einem großen Krieg. Aber: „Angesichts der Tatsache, dass die Ermordung Hanijas auf iranischem Boden stattfand und auch die Hisbollah angegriffen wurde, ist es wahrscheinlicher, dass der Iran und seine Verbündeten einen Vergeltungsschlag koordinieren, an dem sie alle beteiligt sind“, sagte Rouzbeh Parsi, Leiter des Programms für den Nahen Osten und Nordafrika am Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten in Stockholm, unserer Redaktion.

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Irans Verbündete der „Achse des Widerstandes“ haben in den vergangenen Jahren beträchtliche militärische Kapazitäten aufgebaut. Vor allem die Hisbollah im Libanon verfügt nach Angaben westlicher Sicherheitskreise über bis zu 150.000 Raketen, die zum Teil mit GPS-Systemen ausgestattet sind.

Könnte Israel besiegt werden?

Das strategische Ziel des Mullah-Regimes ist klar: Israel soll kurzfristig deutlich geschwächt und auf lange Sicht vernichtet werden. Experten halten aber eine militärische Niederlage für unwahrscheinlich – zumal Israel über die „Lebensversicherung“ der USA verfügt. „In konventioneller militärischer Hinsicht ist der Iran Israel nicht gewachsen. Er verfügt jedoch über asymmetrische Fähigkeiten und die Mittel, die israelische Luftabwehr für einen größeren Angriff zu überwältigen. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine entsprechende Anzahl seiner Raketen durchkommt. Einige der vom Iran hergestellten Raketen sind recht zielgenau“, betont Parsi.

Würde Israels Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ einer Attacke von verschiedenen Fronten standhalten? „Der ‚Iron Dome‘ bietet in der aktuellen Lage ausreichend Schutz, bei einer breiten Konfrontation mit der Hisbollah würde das System sehr wahrscheinlich überlastet“, sagte Hans-Jakob Schindler, Senior Director bei der Berliner Denkfabrik Counter Extremism Project, unserer Redaktion. „Die Hisbollah verfügt mittlerweile über eine besondere Art von Drohnen, die sehr schnell und sehr niedrig fliegen und auch nicht durch die israelische Flugabwehr abzufangen sind.“ Die Hisbollah wäre in der Lage, nicht nur den Norden Israels anzugreifen, sondern bis weit in den Süden hinein Ziele zu attackieren - möglicherweise bis nach Tel Aviv, so Schindler.

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Das Mullah-Regime und seine Partner könnten in Israel hohen materiellen und psychologischen Schaden anrichten. „Eine neue ‚Normalität‘ mit einer viel höheren Häufigkeit tödlicher Auseinandersetzungen mit dem Iran und Co. wird für Israel als Land sehr belastend sein“, unterstreicht der Nahost-Experte Parsi.

Wie nahe ist der Iran am Bau einer Atombombe?

Der Iran hat das Schwermetall Uran in den vergangenen Jahren immer weiter angereichert – auf zuletzt 60 Prozent. Der Sprung auf die nuklearwaffenfähigen 90 Prozent ist technisch in sehr kurzer Zeit machbar. US-Außenminister Antony Blinken warnte kürzlich, der Iran sei nur noch „ein oder zwei Wochen“ davon entfernt, spaltbares Material für eine Atomwaffe herstellen zu können.

Was noch fehlt, ist ein nuklearer Sprengkopf. „Die Iraner haben Sprengtests durchgeführt, aber noch keinen nuklearen Sprengkopf zusammengebaut. Der Iran ist höchstens noch ein paar Monate, aber nicht mehr Jahre vom Bau einer Atombombe entfernt, sollte diese Entscheidung durch die iranische Führung getroffen werden“, hebt Schindler hervor. Ausgeschlossen scheint dies nicht. „Ich sehe keinen Grund für den Iran, diese Schwelle zu überschreiten – wenn die Hisbollah jedoch stark geschwächt würde, würde die Motivation für eine weitere Abschreckung gegen Israel und die USA steigen, und dann würde eine Atomwaffe Sinn machen“, urteilt Parsi.

Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl