Berlin. CDU-General Linnemann will hart gegen Erwerbslose vorgehen, die Job-Angebote ablehnen. Rechtlich gibt es dafür enge Grenzen. Ein Faktencheck.

Es ist eine Forderung, die es in sich hat: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will arbeitsunwilligen Bürgergeldempfängern die Grundsicherung komplett streichen. Das sei eine Frage der Gerechtigkeit, meint der Partei-Manager. Widerspruch kommt unter anderem aus den eigenen Reihen: Die Forderung gehe an der Wirklichkeit vorbei, kritisierte der Vizechef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Christian Bäumler. „Wer für die Jobcenter nicht erreichbar ist, hat häufig psychisch Probleme.“ Menschen in Deutschland dem Hunger auszusetzen sei jedenfalls mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar, so Bäumler.

Linnemann hatte am Wochenende im Interview mit unserer Redaktion gesagt, dass offenbar eine sechsstellige Zahl von Personen nicht bereit sei, eine Arbeit anzunehmen. Das lege die Statistik nahe. In diesem Fall müsse der Staat davon ausgehen, dass die Personen nicht bedürftig seien. Aber darf der Staat überhaupt das Bürgergeld auf null kürzen? Und wie viele Menschen weigern sich tatsächlich, Job-Angebote anzunehmen? Ein Faktencheck:

Ist es rechtlich möglich, Bürgergeldempfängern zu 100 Prozent das Geld zu streichen?

Die Leitplanken für die deutsche Sozialpolitik stehen im Grundgesetz – in Artikel 1, der die Menschenwürde garantiert, und in Artikel 20, der das Sozialstaatsprinzip verankert. Unter Verweis auf diese beiden hatte das Bundesverfassungsgericht 2019 entschieden, dass ein vollständiger Wegfall der Unterstützung, wie er bis dahin möglich war, nicht rechtens ist.

Darauf bezieht sich auch DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel in ihrer Einordnung von Linnemanns Forderung. „Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen ist ebenso populistisch wie sinnbefreit“, sagt sie unserer Redaktion, „die Verfassung erlaubt es auch nicht.“ Hinter dem Vorschlag des CDU-Generalsekretärs sieht sie eine „zutiefst menschenverachtende Haltung“. Nicht wer schlecht wirtschafte und kündige, solle nach dessen Logik bestraft werden, sagte Piel, „sondern der, der seine Arbeit verliert, soll hungern und am besten noch kein Dach über dem Kopf haben“.

Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch wiederum sagte unserer Redaktion: „Man kann Menschen, Familien, Kindern in Deutschland nicht einfach das Existenzminimum streichen und in den Hunger treiben. Da ist das Bundesverfassungsgericht völlig eindeutig. Der Sozialflügel der CDU bezeichnet das zu Recht als unchristlich.“

Reizthema Bürgergeld: Debatte über schärfere Regeln

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    Die Karlsruher Richter bauten 2019 jedoch eine Ausnahme ein. „Wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben“, ihre Existenz durch Arbeit zu sichern, und dies verweigern, sei auch ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen, hieß es in der Entscheidung. Diesen Spielraum hat sich auch die Ampelkoalition zunutze gemacht, als sie im Frühjahr beschloss, dass sogenannten Totalverweigerern bis zu zwei Monate lang das Geld komplett gestrichen werden kann. Anders als vor 2019 sollen allerdings weiterhin die Kosten für Unterkunft und Heizung gezahlt werden. Die Gefahr, Betroffene in die Wohnungslosigkeit zu zwingen, war damals ein Argument des Gerichts gegen die alte Regelung gewesen.

    Wie hoch ist das Bürgergeld überhaupt – und wie wird es sich entwickeln?

    Der Regelsatz für Alleinstehende liegt derzeit bei 563 Euro. Er war zum Jahresbeginn um zwölf Prozent gestiegen – was in Teilen der Opposition heftige Kritik ausgelöst hatte. Miet- und Heizkosten werden zusätzlich übernommen. Die Entwicklung der Regelsätze ist keine politische Entscheidung. Vielmehr regelt das Gesetz, wie sie neu zu berechnen sind. Dabei wird die Preissteigerung berücksichtigt. Innerhalb der Bundesregierung macht vor allem die FDP Druck, dass es Anfang 2025 eine Nullrunde geben soll. Das hat Parteichef und Finanzminister Christian Lindner gerade bekräftigt. Allerdings stellte auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) unlängst eine Nullrunde in Aussicht. Begründung: Die Inflation sei inzwischen deutlich schwächer als im vergangenen Jahr bei der Erhöhung der Regelzahlungen angenommen.

    Fensterputzer bei der Arbeit.
    Fensterputzer bei der Arbeit? © picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON

    Ist tatsächlich eine sechsstellige Zahl von Personen nicht bereit, Job-Angebote anzunehmen?

    Das erscheint zumindest plausibel. Eine exakte Statistik dazu gibt es nicht. Der langjährige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, hatte unlängst dem „Spiegel“ gesagt: „Es gibt in Deutschland 260.000 junge Menschen zwischen 25 und 45, die seit längerer Zeit nicht arbeiten, obwohl sie alle Kriterien für Erwerbstätigkeit erfüllen.“ Das sei in dieser Dimension „nicht hinnehmbar“. Diese Zahl relativiert sich allerdings, wenn man sie mit der Größe der relevanten Alterskohorten in Deutschland vergleicht: Im vergangenen Jahr lebten hierzulande rund 16,2 Millionen Menschen im Alter von 25 bis 39 Jahren und 22,7 Millionen Menschen im Alter von 40 bis 59 Jahren. Das bedeutet: Selbst wenn man unterstellt, dass es eine sechsstellige Zahl von Totalverweigerern gibt, so würde dies nur einen Bruchteil der Gesamtbevölkerung ausmachen.  Und auch unter vier Millionen Erwerbsfähigen, die Bürgergeld erhalten, sind sie eine Minderheit.

    Was plant die Ampelkoalition?

    Nachschärfen beim Bürgergeld will längst auch die Ampelkoalition selbst. Im Rahmen der Wachstumsinitiative, die das Kabinett kürzlich verabschiedete, sollen die Regeln angepasst werden. Unter anderem soll künftig ein Arbeitsweg von bis zu drei Stunden für Hin- und Rückfahrt als zumutbar gelten, bisher waren es zweieinhalb. Und statt stufenweisen Sanktionen soll es bei Pflichtverletzungen – zum Beispiel verpassten Terminen – künftig für drei Monate 30 Prozent weniger Geld geben. Außerdem wird die Karenzzeit für eigenes Vermögen der Betroffenen verkürzt.

    Im Bundestag beschlossen ist all das allerdings noch nicht. Und schon jetzt zeichnet sich ab, dass es da zwischen den Koalitionspartnern noch einmal Streit geben könnte. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat bereits Änderungsbedarf an dem Paket angemeldet, die FDP pocht auf weitere Verschärfungen.