Berlin. Carsten Linnemann sagt, warum er das Alter eines Kanzlers für unwichtig hält – und stellt Bedingungen für einen Regierungseintritt.

Zehn Uhr morgens im Adenauer-Haus: Carsten Linnemann schüttet einen zusätzlichen Espresso-Shot in seinen Kaffee und rutscht nach vorne auf die Stuhlkante. Der wichtigste Mann hinter Friedrich Merz steht unter Strom, bei jeder Antwort ist Druck auf dem Kessel. Sommerpause? Nicht für einen, der noch viel vorhat mit seinem Chef.

Was wird anders in Deutschland, wenn Friedrich Merz regiert? 

Carsten Linnemann: Über die Kanzlerfrage werden CDU und CSU im Frühherbst gemeinsam entscheiden. Sollte es auf Friedrich Merz hinauslaufen, werden sich drei Dinge ändern. Erstens: Deutschland bekommt endlich wieder eine Führung, die entschlossen die großen Herausforderungen angeht. Punkt zwei: Wir werden für einen funktionierenden Staat arbeiten, in dem die Kita läuft, die Bahn fährt und Frauen abends ohne mulmiges Gefühl in die Stadt gehen können. Und drittens wollen wir die verkrusteten Strukturen angehen. Wir arbeiten bereits an einem Prozesshandbuch.

Sie schreiben ein Handbuch fürs Regieren? 

Linnemann: Wir wollen uns gut auf mögliche Koalitionsverhandlungen vorbereiten. Dazu gehört auch, dass die Abstimmungsprozesse zwischen den Ministerien besser geregelt werden. Aber wir halten auch konkrete Vorhaben fest, zum Beispiel wollen wir die Zahl der Regierungsbeauftragten deutlich reduzieren. Ein Polizeibeauftragter etwa ist nicht nur überflüssig, sondern auch ein Misstrauensvotum gegen die Polizei. Das wird es mit uns nicht geben.

Wollen Sie auch Ministerien abschaffen? 

Linnemann: Darüber diskutieren wir. Das von der Ampel geschaffene Bauministerium hat sich nicht bewährt. Dafür brauchen wir meines Erachtens ein reines Digitalministerium, in dem die Zuständigkeit für dieses entscheidende Feld gebündelt wird. 

Carsten Linnemann beim Tischfußball: Sein Herz schlägt für seinen Heimatverein, den SC Paderborn 07.
Carsten Linnemann beim Tischfußball: Sein Herz schlägt für seinen Heimatverein, den SC Paderborn 07. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Wenn Sie sich so intensiv auf Koalitionsverhandlungen vorbereiten - wer kommt denn als Partner infrage? 

Linnemann: Es ist wie beim Fußball. Wenn man sich nicht auf sich selbst konzentriert, gewinnt man das Spiel nicht. Die CDU ist heute mehr Programmpartei denn je. Wir müssen so stark werden, dass wir unsere Inhalte durchsetzen. Und ich sage ganz deutlich: Wir werden nicht um jeden Preis regieren. 

Worauf wollen Sie hinaus?

Linnemann: Wir werden zusammen mit der CSU ein Wahlprogramm schreiben. Danach wird es ein Sofortprogramm für die ersten Regierungsmonate geben. Was wir durchsetzen, richtet sich danach, wie viel Prozent wir holen. Bei dieser Wahl wird es auf die Inhalte ankommen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Davon machen wir auch eine Regierungsbeteiligung in der nächsten Legislaturperiode abhängig.

Wer scheidet von vornherein als Koalitionspartner aus?

Linnemann: AfD und Linke, wir haben da klare Parteitagsbeschlüsse. Darüber hinaus hat Friedrich Merz deutlich gemacht, dass er sich mit Frau Wagenknecht auf Bundesebene keine Koalition vorstellen kann. 

Die CSU kann sich auch mit den Grünen keine Koalition vorstellen. 

Linnemann: Mein Vorbild ist hier der hessische Ministerpräsident Boris Rhein, der nach der Landtagswahl mit FDP, SPD und Grünen gesprochen hat, bevor er die Entscheidung für die SPD getroffen hat. Es geht darum, möglichst viel von unserem Programm umzusetzen. Eins unserer wichtigsten Vorhaben ist, das Bürgergeld abzuschaffen und eine neue Grundsicherung einzuführen. Da sind wir uns mit der CSU völlig einig.

Das Bürgergeld schafft die Ampel gerade selbst ab, jedenfalls sind die geplanten Regeln teils härter als Hartz IV: Für einen neuen Job soll ein Arbeitsweg von drei Stunden zumutbar sein … 

Linnemann: Wir unterstützen im Bundestag alles, was Sinn macht. Ich finde es gut, dass die Ampel einen ersten Schritt beim Bürgergeld gehen will. Aber wir brauchen einen grundsätzlichen Politikwechsel – hin zu einer neuen Grundsicherung. 

Soll heißen?

Linnemann: Bei der Agenda 2010 gab es einen harten Vorrang, Menschen ohne Job in Arbeit zu vermitteln. Beim Bürgergeld gibt es nur einen unverbindlichen Kooperationsplan. Eine von der Union geführte Bundesregierung würde den harten Vermittlungsvorrang wieder einführen - auf Basis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen, muss der Staat davon ausgehen, dass derjenige nicht bedürftig ist. Leistungskürzungen um zehn, 20 oder 30 Prozent reichen da nicht. Dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden. 

Mangelt es wirklich an Druck? Die meisten Arbeitslosen - das bestätigen Arbeitsmarktökonomen - machen es sich nicht im Bürgergeld bequem, sondern wollen arbeiten … 

Linnemann: Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Fälle von Alleinerziehenden oder von Menschen, die Angehörige pflegen. Oder auch von Älteren, die es schwerer haben, eine Arbeit aufzunehmen. Ich möchte ein gerechtes System der Grundsicherung, und das Bürgergeld ist nicht gerecht. 

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Finden Sie es gerecht, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Bürgergeld bekommen?

Linnemann: Die Ukrainer verteidigen auch unsere Freiheit. Aber wenn es eine Leistung gibt, ist sie mit einer Gegenleistung verbunden. Dazu zählt, eine Arbeit aufzunehmen. Wir müssen diskutieren, warum in vielen europäischen Staaten mehr als 50 Prozent der Ukrainer arbeiten, in Deutschland aber nur 25 Prozent. 

Liegt das am Bürgergeld? Oder eher an der unterentwickelten Kinderbetreuung und den langwierigen Sprachkursen in Deutschland? 

Linnemann: Es fehlen ganz klar Anreize für eine rasche Arbeitsaufnahme. Das ist ein riesiges Problem. Gleichzeitig müssen wir offener werden für bislang wenig genutzte Instrumente wie etwa berufsbegleitende Sprachkurse.

Die Ampelregierung hat sich nicht nur auf ein neues Bürgergeld, sondern auch auf den nächsten Bundeshaushalt verständigt. Glauben Sie immer noch, dass die Koalition kurz vor dem Bruch steht? 

Linnemann: Der Haushalt steht auf der Kippe. Nach der Sommerpause wird es eine harte Debatte geben. Alle Experten sagen mir, dass wir es mit Luftbuchungen zu tun haben. Dieser Haushalt ist hochgradig unseriös. Darüber kann die Koalition ins Rutschen kommen. Ich sehe die Wahrscheinlichkeit, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, bei 30 Prozent. 

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Wie wahrscheinlich ist es, dass Merz die Union als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führt? 

Linnemann: Wie gesagt: Wir werden diese Frage gemeinsam mit der CSU im Frühherbst geschlossen entscheiden. 

Nach welchem Verfahren?

Linnemann: Es werden die Parteivorsitzenden von CDU und CSU miteinander sprechen und die Landesverbände miteinbezogen. Jeder hat den Showdown vor der letzten Bundestagswahl noch im Kopf. So etwas darf sich nicht wiederholen. 

Welche Rolle spielen Umfragen bei der Entscheidung? Nicht nur CSU-Chef Markus Söder, sondern auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kommt bei den Deutschen besser an als Merz.

Linnemann: Wer Kanzlerkandidat der Union wird, der muss es wirklich wollen. Dieses Kriterium ist für mich am wichtigsten.

Wie wichtig das Alter sein kann, zeigt sich gerade in den USA. Merz wäre bei seiner Vereidigung schon 70 …

Linnemann: Das Alter eines Kanzlerkandidaten ist für mich überhaupt keine Kategorie. Ich halte es hier wie der Fußballtrainer Otto Rehhagel: Es gibt keine alten oder jungen Spieler, sondern nur gute oder schlechte. In der jetzigen Zeit braucht es wirklich Lebenserfahrung.