Düsseldorf. Das Traumpaar Schwarz-Grün schlittert in die erste Beziehungskrise. Raufen sich die Partner zusammen, oder ist das der Anfang vom Ende?
Wenn es um die Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen im ersten Bündnis dieser Art in NRW geht, taucht seit gut zwei Jahren in fast jeder Analyse das Wort „geräuschlos“ auf. So präsentieren sich die Partner am liebsten auch selbst: einig, in Harmonie und Respekt vereint, „geräuschlose“ Zweisamkeit halt. Doch seit ein paar Monaten mischen sich zunehmend Misstöne in die Partnerschaft.
Im Herbst 2023 schob der grüne Umweltminister Oliver Krischer eines der grünen Herzensprojekte schlechthin in NRW an: die Suche nach einem zweiten Nationalpark neben der Eifel. Darauf haben sich CDU und Grüne in ihrem „Zukunftsvertrag“ geeinigt, und zum Projektstart im Umweltministerium gaben sich damals neben Krischer die Ministerinnen Mona Neubaur (Grüne, Wirtschaft) und Silke Gorißen (CDU, Landwirtschaft) die Ehre.
Nationalpark-Streit: „Touristische Highlights“ oder Albtraum für die Landwirtschaft?
Oliver Krischer (Grüne) gerät beim Thema Nationalpark schnell ins Schwärmen. Sie seien „Hotspots der Artenvielfalt“ und „touristische Highlights“. Dort werde Natur für den Menschen erlebbar. „Nationalparks sind weltweit die Schutzgebiete, die die größte Aufmerksamkeit genießen“, sagt er.
Auffällig: Schon zum Start der Nationalpark-Suche setzte Landwirtschaftsministerin Gorißen (CDU) ganz andere Akzente. Sie unterstützt zwar – dem Koalitionsvertrag folgend -- einen zweiten Nationalpark, berichtete aber von „Skepsis, Sorgen und vielen offenen Fragen“ überall dort, wo ein Nationalpark im Gespräch sei. Waldbauern und die Sägewerkindustrie befürchteten Nachteile für die Bewirtschaftung, Probleme mit Schädlingsbefall und ein Ende der Möglichkeit, Waldflächen für den Bau von Windrädern zu verpachten, gab sie zu Bedenken.
Letzte Chance für den zweiten Nationalpark: der Reichswald im Kreis Kleve
Knapp ein Jahr später droht die Nationalpark-Suche zu scheitern. Nicht nur, aber auch, weil Kommunalparlamente mit hohem CDU-Stimmenanteil Nein gesagt haben zu einem Park vor ihrer Haustür. Ein möglicher Standort nach dem anderen fiel weg: die Egge in Ostwestfalen, der Arnsberger Wald, das Ebbegebirge, der Rothaarkamm.
Letzte Chance: die Ausweisung eines Nationalparks im Reichswald bei Kleve. Im dortigen Kreistag stimmten CDU und FDP gegen das Projekt, aber es läuft ein Bürgerbegehren, das die Politik zu einer erneuten Debatte zwingt. Ausgang: ungewiss.
Aus Sicht der SPD ist das grüne Herzensprojekt Nationalpark jetzt schon „völlig verkorkst“. Selbst CDU-Landtagsabgeordnete hätten in ihren Kreistagen dagegen gestimmt, auch Ministerin Gorißen habe alle Bemühungen, einen Nationalpark zu finden, „aktiv hintertrieben“, behauptet SPD-Umweltexperte René Schneider.
Ungeachtet des Oppositionsgetrommels bleibt der Verdacht, CDU und Grüne arbeiten beim Nationalpark nicht mit-, sondern eher gegeneinander.
Die einen dringen auf schnelles Abschieben, die anderen denken mehr an den Schutz der Geflüchteten
Gegensätze ziehen sich an, heißt es. Aber in der Ehe wie in der Politik geraten unterschiedliche Charaktere nach der charmanten Kennenlernphase eben doch manchmal aneinander. Als vor einer Woche das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster urteilte, dass geflüchteten Syrerinnen und Syrern keine Bürgerkriegs-Gefahren mehr in ihrer Heimat drohten. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) begrüßte das Urteil als begrüßte das Urteil als „Klarheit, die die Politik bisher vermissen ließ“. Es sei ein wichtiges Signal für die Ausländerbehörden.
Das von Josefine Paul (Grüne) geführte Integrationsministerium warnte dagegen davor, eilige Schlüsse aus dem Urteil zu ziehen. Eine Auswirkung auf die Asylverfahren sei noch nicht absehbar. Und unmittelbare Auswirkungen für Syrer, denen schon ein Schutzstatus zuerkannt wurde, habe das Urteil zumindest zunächst nicht. Während das OVG-Urteil bei der Union Abschiebungsphantasien beflügelt, ist bei den Grünen ein Schutzreflex gegenüber Geflüchteten zu beobachten.
Von Beginn an unterschiedliche Sicht auf die Clan-Kriminalität
In Ansätzen waren Unterschiede zwischen Union und Grünen sogar zum Start der Koalition vernehmlich, aber da musste man schon genau hinhören. Innenminister Reul setzte 2022 nach der Landtagswahl seinen schon lange vor dem Bündnis mit den Grünen begonnenen Kampf gegen die Clan-Kriminalität fort. NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) warnte wiederholt vor der „Stigmatisierung“ von Menschen mit Clan-Hintergrund.
Inzwischen ist die Liste der Meinungsverschiedenheiten länger geworden. Das Innenministerium hat entschieden, dass in Polizeimeldungen künftig grundsätzlich die Nationalitäten von Tatverdächtigen veröffentlicht werden. Die Grünen-Innenexpertin Julia Höller sieht das kritisch: „Die Nationalität ist selten ausschlaggebend für eine Straftat.“
Reizthemen in der Beziehung: Cannabis, Bezahlkarte, Landes-Plätze für Flüchtlinge
Als der Bundesrat im Frühjahr grünes Licht gab für die Teil-Liberalisierung von Cannabis, jubelte Grünen-Landesvorsitzender Tim Achtermeyer: „Heute ist ein guter Tag für den Gesundheits- und Jugendschutz in Deutschland.“ Für den Innenminister ist die liberale Drogenpolitik der Ampel hingegen ein Graus: „Drogen sind gefährlich. Nicht weil berauschenden Mitteln Tür und Tor geöffnet wird, verlieren sie an Gefahr für Körper und Geist“, warnte er wenige Tage später bei der Vorstellung der Kriminalstatistik.
Einiges lässt sich noch hinzufügen, zum Beispiel unterschiedliche Auffassungen zur Bezahlkarte für Geflüchtete. Viele Grüne in den Kommunalparlamenten bekämpfen diese Karte entschieden, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) profilierte sich als Treiber der Bezahlkarten-Idee. Rathausspitzen, darunter viele aus der CDU, hielten Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) im vergangenen Jahr immer wieder vor, sie schaffe zu wenige Landes-Plätze für Geflüchtete. Inzwischen haben sich die Gemüter etwas beruhigt.
Der Stress in der Beziehung zwischen CDU und Grünen ist zwar weit von einem Scheidungs-Szenario entfernt. Aber das Schicksal der Vorgänger-Koalition zwischen CDU und FDP dient als mahnendes Beispiel. Diese Partner inszenierten ihre Beziehung sogar als „echte Liebe“. Am Ende schauten sie sich nicht mehr an.
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