Münster. Das OVG Münster sieht keine Bürgerkriegs-Gefahren mehr für syrische Flüchtlinge. Das dürfte Folgen haben.
Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Münster zur Sicherheitslage von Geflüchteten aus Syrien in ihrem Heimatland befeuert in NRW eine Diskussion über Abschiebungen.
Der Chef der FDP in Nordrhein-Westfalen, Henning Höne, sagte nach dem Urteil, ein subsidiärer Schutz für Migrantinnen und Migranten aus Syrien sei nicht mehr angemessen. Höne erweitert diese Einschätzung sogar auf Afghanistan. Nun sollten mehr Abschiebungen in diese Länder möglich sein. Die schwarz-grüne Landesregierung müsse daran mitwirken.
FDP-Landeschef Höne: „Das Urteil bestätigt, dass unser Rechtsstaat funktioniert“
„Das OVG-Urteil festigt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unser Rechtssystem und sendet ein starkes Signal: Wer unser Gastrecht missbraucht, hat es verwirkt! Das Urteil bestätigt, dass unser Rechtsstaat funktioniert und sich an neue Realitäten, wie die aktuelle Situation in Syrien, anpasst“, teilte Höne, der auch die FDP-Landtagsfraktion leitet, mit.
Der steigende soziale Druck durch „irreguläre Migration und zunehmende Straftaten von Asylbewerbern“ gefährde unsere Sicherheit und Freiheit, so der Liberale weiter. „Menschen, die gegen unsere Gesetze verstoßen oder sich illegal in Deutschland aufhalten, dürfen nicht von unserem Asylrecht profitieren.“
Laut dem OVG Münster drohe keine pauschale Gefahr mehr durch den Bürgerkrieg
Für Asylbewerber aus Syrien sieht das Oberverwaltungsgericht Münster laut aktuellem Urteil zur Zeit keine pauschale Gefahr durch einen Bürgerkrieg mehr. Die erste obergerichtliche Entscheidung dieser Art stehe damit gegen die bislang gängige Praxis beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, syrischen Asylbewerbern im Regelfall subsidiären Schutz als Bürgerkriegsflüchtlinge zuzusprechen, sagte ein Sprecher des höchsten NRW-Verwaltungsgerichts über die jetzt erst veröffentlichte Entscheidung von vergangenem Dienstag.
Das ist der subsidiäre Schutz
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) definiert den subsidiären Schutz so: Der subsidiäre Schutz greift ein, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen. Ein ernsthafter Schaden kann sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen.
Als ernsthafter Schaden gilt demnach: die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Laut Ausländerzentralregister waren zum Stichtag 30. Juni .2024 insgesamt 101.445 Personen mit einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG aufgrund eines festgestellten subsidiären Schutzstatus in NRW registriert. Davon hatten insgesamt 81.554 Personen die syrische Staatsangehörigkeit.
Die NRW-Landesregierung warnte am Dienstag davor, eilige Schlüsse aus dem OVG-Urteil zu ziehen. Es sei noch nicht einzuschätzen, ob es die Asylverfahren beeinflussen könnte, und ob sich andere Gerichte diesem Urteil anschließen.
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Unmittelbare Auswirkungen für Syrer, denen schon ein Schutzstatus zuerkannt wurde, habe das Urteil aber zumindest zunächst nicht, erklärte eine Sprecherin des NRW-Flüchtlingsministeriums. Über ene Abschiebung werde stets im Einzelfall und nach Prüfung der Rechtslage entschieden. Rückführungen nach Syrien seien derzeit gar nicht möglich, betonte das Ministerium. Nach wie vor gelte ein bundesweiter Abschiebestopp.
Flüchtlingsrat NRW erinnert an die Gefahren für Regimegegner in Syrien
Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW nennt das OVG-Urteil im Gespräch mit dieser Redaktion „fatal“. Es beschreibe eine Lage in Syrien, die so nicht zutreffe. „Dort herrscht nach wie vor Bürgerkrieg, und die Menschen müssen Angst um ihr Leben haben“, meint Naujoks
„Ich hoffe, dass andere Gerichte diesem Urteil aus NRW nicht folgen werden und dass die Bundesbehörde BAMF nicht unter dem Eindruck dieses Urteils ihre Asyl-Entscheidungspraxis neu ausrichtet“, sagte sie weiter. Und erinnert daran, dass viele Aslbewerberinnen und -bewerber aus Syrien individuell als Geflüchtete anerkannt würden, weil ihnen in ihrer Heimat politische Verfolgung drohe. In vielen Verfahren gehe es also gar nicht um den Schutz vor Bürgerkrieg.
Elisabeth Müller-Witt (SPD) mahnt: „Jeder Fall muss einzeln beurteilt werden“
Ähnlich äußerte sich SPD-Landtagsfraktionsvize Elisabeth Müller-Witt auf Nachfrage: „Für uns bedeutet das Urteil nicht, nun pauschal Abschiebungen nach Syrien oder auch nach Afghanistan einzuleiten. Nach wie vor gilt, dass jeder Fall einzeln beurteilt werden muss. Selbstverständlich gilt: Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben auf jeden Fall ihr Bleiberecht verwirkt.“
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