Washington. Wie das knapp überlebte Attentat die religiöse Überhöhung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Trump beschleunigt.
Es war mehr als ein emotionaler Moment, als der Mann, von dem hier am Ufer des Michigan-Sees alles abhängt, am späten Montagabend zu den Klängen seiner Signatur-Hymne „God bless the USA“ die Treppe zur Ehren-Tribüne der Fiserv-Arena hochstieg; gut zu erkennen auch von Weitem an einer weißen, quadratischen Pflaster-Bandage am rechten Ohr.
Für viele Delegierte des Republikaner-Parteitags in Milwaukee war die Stippvisite Donald Trumps, der erste öffentliche Auftritt seit seiner Nahtoderfahrung von Pennsylvania, der Beweis einer „göttlichen Intervention“.
Donald Trump – ein amerikanischer Löwe, der wieder auf die Füße kam?
So sagt es stellvertretend für viele, die dazu bereitwillig Auskunft geben, Meghan T. – und hat dabei Tränen in den Augen. Die zur Nominierung aus ihrem Bundesstaat im Süden der USA nach Wisconsin entsandte ehemalige Krankenschwester (72) ist sich sicher, dass ihr „Held“ das Attentat am vergangenen Samstag nur überlebt hat, „weil Gott seine schützende Hand über ihn gehalten hat wie über einen zweiten Sohn“.
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Dass die Gewehrkugel des nach wie vor ominösen (es wurde bisher kein Motiv ermittelt) Attentäters Thomas Matthew Crooks allein den oberen Rand der Ohrmuschel Trumps streifte, dass der 78-Jährige kurz danach mit blutverschmiertem Gesicht kämpferisch die Faust ballte und seine Anhänger in der Kleinstadt Butler zum Kampf aufrief, hat dem Präsidentschaftskandidaten der „Grand Old Party“ unter seinen Anhängern den Status eines politischen Heiligen verschafft.
Nahezu jedes Gespräch, das Reporter unter den 2400 Delegierten anbahnen, kommt früher oder später darauf, dass der 45. Präsident der Vereinigten Staaten auf übermenschliche Mächte vertrauen könne, „die dem Rest von uns nicht zur Verfügung stehen“.
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Niemand fasst das für die Ohren von Trump-Jüngern besser in Worte als Tim Scott. Der schwarze Senator aus North Carolina sagt, dass am Samstag „der Teufel nach Pennsylvania kam und ein Gewehr hielt“. Nach einer Kunstpause bellt der tiefgläubige Konservative dann diesen Satz in das von Zehntausenden besuchte Hallenrund und bekommt tosenden Applaus: „Aber ein amerikanischer Löwe kam wieder auf die Füße – und er hat gebrüllt. Er hat gebrüllt.”
Donald Trump über das Attentat: „Gott allein hat das Undenkbare verhindert.“
Paula White, eine bekannte Pfingst-Predigerin, die in Trumps erster Präsidentschaft im Weißen Haus für religiöse Angelegenheiten zuständig war, ging in ihrer Reaktion nach dem Attentat noch einen Schritt weiter.
Auf dem früheren Twitter-Kanal schrieb sie in Anlehnung an die Passion Christi: „Sie haben über ihn gelogen, ihn verleumdet, versucht, ihn aus dem Amt zu entfernen, ihn ins Gefängnis zu werfen. Und jetzt haben sie versucht, ihn zu töten.“ Dazu stellte White Foto-Montagen, auf denen Jesus Donald Trump die Hände auf die Schultern legt.
Für Trump, so sagen es politische Analysten in Washington, sei am Wochenende eine neue Zeit angebrochen. Aus dem „säkularen Propheten“, der eine populistische Bewegung anführt (MAGA), sei ein „Messias-ähnlicher Heilsbringer“ geworden, den himmlische Kräfte immunisierten: gegen die Justiz. Gegen Mordanschläge. Gegen alles.
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Für evangelikale Wähler in den ländlichen Teilen der USA ist das keine echte Neuigkeit mehr. Sie sahen in dem New Yorker Geschäftsmann trotz dreier Ehen und einer weithin areligiösen Vergangenheit schon vor acht Jahren den (von Gott gesandten) Wegbereiter hin zu einem christlich-weißen Amerika.
Dass Trump nach den Schocksekunden in Pennsylvania märtyrerhaft die Faust in den Himmel reckt und Widerstandsgeist demonstriert, wo andere wie paralysiert gewesen wären, hat aber auch in diesen Kreisen den Nimbus Trumps als „Auserwählter” noch einmal verstärkt. Zumal er selbst keinen Zweifel daran lässt, wem er zu verdanken hat, dass er noch lebt: „Gott allein hat das Undenkbare verhindert.“
Donald Trump und sein Vize im Widerspruch
Trump macht sich die glückliche Fügung des Schicksals umfänglich zunutze und verbleibt im weihevollen Jargon: „Wir werden uns nicht fürchten, sondern unverwüstlich bleiben in unserem Glauben und trotzig im Angesicht des Frevels.“ Was das für seine mit Spannung erwartete Rede am Donnerstagabend heißt, mit der Trump zum dritten Mal eine republikanische Präsidentschaftskandidatur offiziell annimmt? Der 78-Jährige deutete in einem Interview an, in ganz großen Kategorien zu denken: „Vielleicht ist das eine Chance, das ganze Land zusammenzubringen, vielleicht sogar die ganze Welt.“
Das würde bedingen, dämpfen parteiunabhängige Politikwissenschaftler der George-Washington-Universität die Erwartungen, dass Trump seinen seit Samstag eingeschlagenen Kurs, „niemanden konkret für den Mordversuch verantwortlich zu machen”, beibehält.
Trump würde sich damit in direkten Widerspruch zu seinem frisch gekürten Vize-Präsidentschaftskandidaten begeben. Senator J. D. Vance hatte unmittelbar nach dem Anschlag die Demokraten und ganz spezifisch die Rhetorik von US-Präsident Joe Biden für das Attentat haftbar gemacht. Der 39-Jährige hat sich für die in US-Kommentaren als „unverantwortlich“ charakterisierte Behauptung bis zur Stunde nicht entschuldigt.
Für viele Delegierte ist das aber nicht relevant. Meghan T. will vielmehr wissen, was ihr „Held” mit Amerika vorhat. Sie erinnert an ein Video vom Jahresbeginn. Darin erschien Donald Trump als Hüter der Menschheit, als der einzige, der Amerika „reparieren” kann. „Ich bin gespannt.”