Frankfurt/Essen. Die Betreiber von Rechenzentren interessieren sich nicht nur für das Rheinische, sondern auch für das Ruhr-Revier. Vergeblich?

Die Ankündigung von Microsoft, in Deutschland und besonders im Rheinischen Revier 3,2 Milliarden Euro in den Bau von Rechenzentren (Hyperscaler) zu investieren, sollte nach Einschätzung dieser Branche das Ruhrgebiet mehr interessieren als bisher.

„Wenn es in Deutschland zwei Regionen gibt, in denen es gelingen kann, Hyperscaler aufzubauen, dann sind es der Ruhrpott und das Rheinische Revier“, sagte Carsten Schneider, Deutschland-Chef des US-Rechenzentrumsbetreibers Cyrus One, bei einem Besuch der Kölner SPD-Landtagsabgeordneten Lena Teschlade in Frankfurt. Sein Unternehmen investiert allein im Großraum Frankfurt mehrere Milliarden Euro in fünf neue Hyperscaler.

Warten auf das Ruhrgebiet: „Der Appetit kommt wohl erst beim Essen“

„Wir gehen dorthin, wo der Kunde sein will. Aus dem Ruhrgebiet haben wir das aber noch nicht gehört“, so Schneider. Der Appetit komme wohl erst beim Essen, also dann, wenn die Microsoft-Pläne deutlicher würden. Das Engagement von Microsoft in NRW dürfte jedenfalls „viel größer werden, als wir es uns heute vorstellen“, vermutet Anna Klaft, Vorsitzende des Branchenverbandes German Data Association (GDA).

Tatsächlich sei der wachsende Bedarf hochleistungsfähiger Rechenzentren auch im Ruhrgebiet spürbar. Es gebe eine „starke Nachfrage“, heißt es von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Business Metropole Ruhr (BMR).

Im Revier fehlen geeignete Flächen. Hyprscaler können nicht in Wohngebieten stehen

Allerdings macht sich die Gewerbeflächennot im Kern-Ruhrgebiet auch auf diesem Zukunftssektor bemerkbar. „Rechenzentren zeigen, warum die Themen Flächenentwicklung und grüne Energie entscheidend für die Transformation des Ruhrgebiets sind“, sagt Garrelt Duin, Direktor des Regionalverbands Ruhr (RVR), im Hinblick auf den hohen Stromverbrauch. „Auf dem Weg zur grünsten Industrieregion der Welt sind beide notwendige Voraussetzungen für die Infrastruktur der Zukunft und für weiteres Wachstum.“

Im Trend sind vor allem die Hyperscaler genannten Großanlagen mit sehr leistungsfähigen Notstromaggregaten. Laut BMR gelten sie als „erheblich belästigend“ und können deshalb nur in Industriegebieten genehmigt werden.

Genehmigung ist an strenge Regeln gebunden

Bei den wenigen Flächen, die es überhaupt noch gibt, schaut BMR-Geschäftsführer Jörg Kemna deshalb besonders auf den Beschäftigungseffekt. „Durch die Knappheit der Flächen ist ihr Wert für die Schaffung von Arbeitsplätzen sehr hoch. Rechenzentren schaffen erstmal wenig Jobs auf viel Fläche“, sagt er, verweist aber auch darauf, dass Rechenzentren „zukünftiges Wirtschaftswachstum erst ermöglichen. Die Flächenknappheit darf uns nicht die Zukunft verbauen“, so Kemna.

Die Wirtschaftsförderer verweisen zudem auf die strengen Anforderungen für die Ansiedlung von Rechenzentren. Nach BMR-Angaben können sie nur an Orten genehmigt werden, die mehr als 500 Meter von Güterverkehrs-Trassen und Tankstellen entfernt sind. Für Chemie-Anlagen gilt ein Mindestabstand von 2000 Meter, für Gaslager sogar 5000 Meter.

Erst am Anfang: Rechenzentren im Revier

Das Ruhrgebiet ist bereits Standort bedeutender Rechenzentren, kommt aber längst nicht an den Hotspot Frankfurt am Main heran. Nach Angaben der Stadtverwaltung balle sich dort 82 Rechenzentren auf rund 70 Hektar Gewerbeflächen. Vodafone Deutschland betreibt in Dortmund ein größeres Rechenzentrum. Von dort aus wird das Ruhrgebiet das 5G-Netz gesteuert, das superschnelle Datenübertragungen in Echtzeit ermöglicht. Da das Gebäude Teil der „kritischen Infrastruktur“ ist, will Vodafone keine näheren Angaben machen.

Neben Dortmund beherbergen auch Essen, Bochum und Oberhausen größere Rechenzentren. Ein Leuchtturmprojekt, das den Namen Ruhr Cix trägt, haben die regionalen Netzbetreiber Gelsennet, Dokom 21 und Glasfaser Ruhr auf den Weg gebracht und Rechenzentren mit Standorten Dortmund, Gelsenkirchen und Herne miteinander vernetzt.

Von außen sieht ein Hyperscaler, also ein Groß-Rechenzentrum, nur wie eine überdimensionierte Lagerhalle aus. In seinem Inneren aber beherbergt es digitale Informationen in einer Menge, die jede menschliche Vorstellungskraft sprengt.

Die Hotspots der Hyperscaler: Standort London schrumpft, Frankfurt am Main wächst

Carsten Schneider ist Chef in einigen dieser Zukunftsbauten, die schon im Raum Frankfurt stehen oder sich im Bau befinden. In der deutschen Bankenmetropole war der Datenhunger schon immer groß, daher ist Frankfurt der deutsche „Hotspot“ bei den Rechenzentren. „Der Großraum Frankfurt hat heute 815 Megawatt Leistung, in den nächsten zehn Jahren werden 1,49 Gigawatt dazukommen“, sagt Carsten Schneider voraus. Frankfurt wachse in dieser Branche schneller als London, das sich durch den Brexit zuletzt selbst geschwächt habe. Schon im kommenden Jahr könne die Main-Metropole zum größten Rechenzentrumsmarkt Europas werden.

Carsten Schneider, Deutschland-Chef des US-Unternehmens Cyrus One, das weltweit Hyperscaler (Groß-Rechenzentren) betreibt, vor Löschmitteltanks. Das Thema Sicherheit steht in diesen sensiblen Anlagen an erster Stelle.
Carsten Schneider, Deutschland-Chef des US-Unternehmens Cyrus One, das weltweit Hyperscaler (Groß-Rechenzentren) betreibt, vor Löschmitteltanks. Das Thema Sicherheit steht in diesen sensiblen Anlagen an erster Stelle. © Cyrus One | Matthias Korfmann

Das Unternehmen, für das Schneider arbeitet, Cyrus One aus den USA, baut und betreibt weltweit Hyperscaler. Das Wort „Skalieren“ beschreibt die Fähigkeit dieser Zentren, gewaltige Datenmengen zu verarbeiten. Das Rechenzentrum von Audi in Ingolstadt galt mit fünf Megawatt einmal als groß. Inzwischen gibt es Hyperscaler mit 50 und 100 Megawatt.

Immer größer, immer schneller, immer mehr: Wir alle werden datenhungriger

Für dieses rasante Wachstum, betont Schneider, seien wir alle verantwortlich. Die, die Katzenvideos auf dem Smartphone anschauten, die ihre Bankgeschäfte online erledigten, die auf den Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI) setzten, die Gamer, die Streamer, die Forscher, die immer mehr Wissen teilten. In Deutschland hätten die Rechenzentren heute eine Kapazität von insgesamt knapp zwei Gigawatt, rechnet der Branchenverband GDA vor. In fünf Jahren, so die Prognose, dürften es vier Gigawatt sein.

Die rasant heranreifende digitale Zukunft der Menschheit hat ihre Tücken. „Ein Ausfall ist keine Option. Da hängt zu viel dran“, erklärt Schneider. Der 10 Megawatt-Hyperscaler, in dem er die SPD-Landtagsabgeordnete Lena Teschlade und SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott empfängt, darf nicht eine Sekunde stromlos sein. Kein Versicherer der Welt würde dafür gerade stehen, die Folgen könnten katastrophal, gar systemrelevant sein. Der Betreiber weiß gar nicht, was die Kunden in der Anlage „skalieren“. Darum ist praktisch alles, was der Bau beherbergt, doppelt, dreifach, vierfach abgesichert.

Die deutschen Rechenzentren verbrauchen dreimal mehr Strom als Berlin

Auch die Stromrechnung hat die Bezeichnung „Hyper“ verdient. Großrechenzentren sind Energie-Verschlinger. Sie verbrauchten heute schon zusammen dreimal mehr Strom als die Stadt Berlin, erklärt der Verband GDA.

Die Frage, ob Hyperscaler Jobmaschinen sind und in NRW Lücken füllen könnten, die durch den Niedergang der Industrie entstanden, ist nicht so leicht zu beantworten. In der Cyrus-One-Anlage in Sossenheim am Frankfurter Stadtrand arbeiten nur 54 Menschen. Aber dazu kommen Security-Leute, Zulieferer und Fachkräfte, die die Anlagen warten.

Sind Groß-Rechenzentren die Kirchplätze der Gegenwart?

Der Verband GDA nennt Rechenzentren „regionale Wachstumskerne“. Früher seien die Städte rund um den Kirchplatz entstanden, heute könnten Hyperscaler dazu beitragen, dass sich Städte und Regionen entwickelten.

Batterieraum in einem Rechenzentrum von Cyrus One in Frankfurt. Lena Teschlade, SPD-Landtagsabgeordnete, Cyrus One-Geschäftsführer Carsten Schneider (Mitte) und SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott beim Gang duch die Anlage.
Batterieraum in einem Rechenzentrum von Cyrus One in Frankfurt. Lena Teschlade, SPD-Landtagsabgeordnete, Cyrus One-Geschäftsführer Carsten Schneider (Mitte) und SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott beim Gang duch die Anlage. © Handout | Matthias Korfmann

GDA-Vorsitzende Anna Klaft meint, dass Frauen und Männer, die bisher in Kraftwerken und im Braunkohlebergbau arbeiteten, auch in und im Umfeld von Rechenzentren arbeiten könnten. „Wenn das Ex-Kraftwerkspersonal erst bemerkt, dass in Rechenzentren das doppelte Gehalt bezahlt wird, geht das Gerenne los“, sagt Klaft. Cyrus One-Manager Schneider ergänzt: „Wenn wir uns den klassischen Kraftwerker vorstellen, der seine Maschine liebt: Der kann mit einer viermonatigen Schulung und Training on the Job gut in einem Rechenzentrum arbeiten.“

Die Landtagsabgeordnete Lena Teschlade (SPD) glaubt, dass in dieser Branche „viel Potenzial“ für NRW stecke. „Wir müssen von dem Slogan ,Von der Kohle zu KI‘ hin zu einer handlungsfähigen Strategie“, sagt sie nach dem Besuch in Frankfurt. Es winkten viele neue und womöglich sogar überdurchschnittlich gut bezahlte Jobs.

Anna Klaft vom Branchenverband ahnt: „Das wird ziemlich groß werden bei ihnen in NRW“

Während die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Business Metropole Ruhr und der Regionalverband Ruhr (RVR) auf die Euphorie-Bremse treten und an das anhaltende Flächenproblem im Ruhrgebiet erinnern, rechnen die Lobbyisten der Rechenzentrumsbranche mit einem Schwung, der ganz NRW beflügeln könne.

„Microsofts Ankündigung, in Deutschland und besonders in NRW 3,2 Milliarden Euro zu investieren, ist nichts im Vergleich dazu, was tatsächlich dort geplant ist. Das ist nur die Summe, die die kommunizieren wollen“, erklärt Anna Klaft. „Das wird schon ziemlich groß werden bei ihnen in NRW“, gibt sie den Gästen aus dem Landtag auf den Weg.

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