Düsseldorf. Zwei Wahlverlierer leiden unter den Signalen der „Ampel“. Die Liberalen fühlen sich von ihrer alten Liebe CDU verraten.
Politisch liegen SPD und FDP in Nordrhein-Westfalen weit auseinander, aber das Schicksal zieht seit dem Wahldebakel am Sonntag eine Verbindungslinie zwischen ihnen. Beide haben verloren; beide sind auf unterschiedliche Weise „Opfer“ der CDU; beide wissen nicht, wie es weitergehen soll.
Das Problem mit der Ampel
Lag es am Ende an den Senioren? Haben die „Ü60-er“ Sozialdemokraten und Liberale abgestraft? Diese Erkenntnis aus der Wahl sickerte am Montag in die Köpfe der Beteiligten. FDP-Bundesparteichef Christian Lindner berichtete von unangenehmen Begegnungen an den Wahlständen in NRW: „Warum erhalten Rentnerinnen und Rentner keine Energiepreis-Pauschale? Man hat uns vergessen“, sei da immer wieder zu hören gewesen. Die FDP als Teil der „Ampel“ im Bund sei in NRW von vielen Älteren in Mithaftung genommen worden.
Serdar Yüksel, Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der SPD Bochum, singt dieses Lied mit: „Die Rentnerinnen und Rentner haben kein Verständnis dafür, dass sie die 300 Euro Entlastung nicht bekommen sollen.“ Dabei litten gerade die Menschen mit schmalen Renten so sehr unter den gestiegenen Preisen. „Das war eine Gerechtigkeitslücke“, resümierte Yüksel gegenüber dieser Redaktion. Und Gerechtigkeitslücken ausgerechnet bei der SPD entfalteten eine fatale Wirkung. Man habe „eine Viertelmillion Wählerstimmen liegen gelassen.“
Auch SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty forderte in Berlin Nachbesserungen bei der Gerechtigkeit. Die SPD habe „insbesondere bei Leuten aus unterdurchschnittlichen Einkommensgruppen überdurchschnittlich verloren.“ Die Partei müsse reagieren, wenn Menschen befürchteten, sich das Leben nicht mehr leisten zu können.
„Das schlechte Wahlergebnis für SPD und FDP kann als Reflex gegen die Ampel-Regierung im Bund gewertet werden“, bestätigte Politikprofessor Norbert Kersting von der Uni Münster auf Nachfrage.
Das Problem mit der CDU
„Von der so oft beschworenen ,echten Liebe‘ zwischen CDU und FDP war im Wahlkampf nicht mehr viel übrig“, erzählte ein völlig frustrierter NRW-FDP-Parteichef Joachim Stamp am Montag im WDR. Man habe sich zu sehr auf eine kameradschaftliche Zusammenarbeit mit der Union verlassen. „Dafür wurden wir bitter bestraft“, so der Vize-Ministerpräsident. Er warf dem Noch-Koalitionspartner CDU vor, die Erfolge der FDP „unfair“ im Wahlkampf vereinnahmt zu haben: Die „Entfesselung“ der Wirtschaft, zum Bespiel und die Idee, Talentschulen einzuführen. Aus der „Liebe“, wenn es sie denn je gab, wurde Zorn und Verbitterung. Armin Laschet, da sind sich die Liberalen sicher, hätte es nie so weit kommen lassen.
Die SPD konnte im Gegensatz zur CDU ihre Wähler nicht mobilisieren, erklärte Prof. Norbert Kersting. Auch ihr Spitzenkandidat habe nicht gezogen. „Thomas Kutschaty war vielen zu unbekannt, dagegen hat die CDU alles richtig gemacht: Hendrik Wüst konnte einen Amtsbonus aufbauen und war auch als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz medial präsent.“ Vielleicht, so Kersting, hätte die SPD konsequenter angreifen und soziale Themen mehr in den Vordergrund rücken müssen. „Sie war wohl zu brav.“
Thomas Eiskirch, Sprecher der Ruhr-SPD und Bochumer Oberbürgermeister, konnte der „schweren Schlappe“ noch etwas Gutes abgewinnen: Das Ruhrgebiet werde mit 33 von 37 möglichen direkt gewählten Abgeordneten in der SPD-Fraktion vertreten sein.
Die Konsequenzen
Präsidium und Vorstand der NRW-SPD trafen sich am Abend in der Düsseldorfer Parteizentrale. Führt das historisch schwächste Landtagswahlergebnis zu personellen Konsequenzen an der Parteispitze? Thomas Kutschaty deutete am Mittag in Berlin an, dass er wohl nicht die Brocken hinwerfen will, zumindest nicht spontan. Gefragt, ob er an Rücktritt denke, sagte er: „Man prüft sich natürlich auch immer selbst nach einem solchen Tag. Aber ich bin bis jetzt bei meinen Analysen in den wenigen Stunden noch nicht zu dem Ergebnis gekommen.“
Große Teile der Landespartei stehen offenbar weiter zu Kutschaty. Es wird allerdings auch erste Kritik am Parteivorstand in NRW laut. Die Führungsriege der SPD werde „die Verantwortung für das historisch schlechteste Ergebnis der NRW-SPD übernehmen müssen“, so Mahmut Özdemir, Bundestagsabgeordneter und Duisburger Unterbezirksvorsitzender. Vereinzelt wird gefordert, Kutschaty müsse die Konsequenzen ziehen, wenn sich die letzte Option auf eine Regierung mit der SPD, die „Ampel“, zerschlagen sollte.
Joachim Stamp, der 2017 den Landespartei-Vorsitz von Christian Lindner übernahm, ließ am Tag nach der Wahl offen, wie es mit ihm persönlich weitergeht. Die FDP starte nun einen „Aufarbeitungsprozess“, der Wochen und Monate dauern könne. „Danach werden wir sehen, mit welchem Team wir uns für die Zukunft rüsten.“