Berlin. NRW bringt Gesetzes-Initiative für mehr Tierwohl in den Bundesrat ein. Ministerin Heinen-Esser: „Jeden Monat stehen Betriebe vor der Aufgabe“.
Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir plant ein neues Tierwohl-Etikett, um Verbrauchern die Orientierung beim Einkaufen zu erleichtern. Und NRW-Umwelt- und -Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser brachte gestern eine Gesetzes-Initiative zum Tierwohl in der Nutztierhaltung in den Bundesrat ein. Auch Bauernpräsident Joachim Rukwied spricht sich im Interview mit der NRZ für eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung als staatliches Kennzeichen aus. „Wir müssen weg aus dem ganzen Etiketten-Dschungel – da kennt sich ja niemand mehr aus“, klagt er. Allerdings lehnen die Landwirte es ab, das staatliche Kennzeichen nur auf die Haltung zu reduzieren, wie es aktuell diskutiert werde. „Verbraucherinnen und Verbraucher haben Anspruch auf Transparenz. Der Kauf regionaler und saisonaler Produkte ist die beste Unterstützung für die Bauernfamilien vor Ort. Wir brauchen deshalb eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung.“
„Höhere Haltungsstufen 3 und 4 kann es nicht zum Discountpreis geben.“
Damit sich der Einsatz für die Landwirte auch rechne, müssten die Verbraucher bereit sein, für regionale Produkte etwas mehr zu bezahlen, appellierte Rukwied. „Auch da gibt es Luft nach oben.“
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Der Bauernpräsident verweist auf Erfolge. Schon jetzt stehe bereits jedes vierte Mastschwein in Ställen mit mehr Platz und Beschäftigungsmaterialien. „Wir wollen diesen Anteil erhöhen und sagen ganz klar Ja zum Umbau der Tierhaltung.“ Das koste pro Jahr rund vier Milliarden Euro. Rukwied zur NRZ: „Hier brauchen wir eine staatliche Finanzierung – egal ob dies über höhere Mehrwertsteuern oder Abgaben erfolgt. Der Umbau der Tierhaltung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Noch in diesem Jahr müsse ein Finanztopf dafür geschaffen werden. „Die höheren Haltungsstufen 3 und 4 kann es nicht zum Discountpreis geben.“
Ziel der Gesetzesinitiative, die Ursula Heinen-Esser vorstellte, ist es, die Stallumbauten zu erleichtern, baurechtliche Hürden zu verringern und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. „Viele Betriebe haben akute Existenznot. Die Krise wird verschärft durch den Wunsch der Verbraucher nach mehr Tierwohl“, erklärte die Ministerin im Plenum des Bundesrates. „Wenn die Landwirtschaft eine Zukunft haben will, muss sie sich mit dem Thema Tierwohl auseinandersetzen“, ist die Ministerinüberzeugt. Der Handel sei in dieser Frage bereits aktiv. Erste Discounter kündigten an, bis 2030 nur noch Tierwohl-Fleisch anzubieten. „Aber um das zu erreichen, müssen Ställe umgebaut werden, die jetzigen sind dazu nicht geeignet“, so Heinen-Esser.
„Jeden Monat stehen Betriebe vor der Aufgabe“
Im Kern gehe es um eine Vereinfachungen im Baurecht und darum, sogenannte Tierwohlställe zu fördern. Stallgebäude, die nicht mehr für die Tierhaltung genutzt werden, könnten ab sieben Jahren automatisch ihre Betriebserlaubnis verlieren. Das Land erhofft sich davon Entwicklungspotenzial für verbleibende Betriebe. Und: Das Tierwohl soll bei der behördlichen Abwägung mit Belangen des Naturschutzes stärker berücksichtigt werden. Einen automatischen Tierwohlvorrang soll es aber nicht geben. „Jeden Monat stehen Betriebe vor der Aufgabe“, sagt Heinen-Esser. Viele Landwirte überlegten sich, ob sie weitermachen. Ein Umbau der Ställe sei nicht nur mit viel Geld, sondern auch mit vielen Rechtsfragen verbunden.
Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin in Bundeslandwirtschaftsministerium, begrüßte die Tierwohl-Debatte. Die Initiative aus NRW, über die nun die Fachausschüsse beraten müssen, ging ihr aber „nicht weit genug“. Sie kündigte ein Gesamtkonzept der Bundesregierung für den Umbau der „Tierhaltung in der Landwirtschaft“ noch in diesem Jahr an. Das System Tierhaltung sei in Deutschland an seine Grenzen gekommen – ökonomisch und ökologisch.