Düsseldorf. NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) gilt als „Kronprinz“ von Armin Laschet. Im WAZ- Interview lässt er Ambitionen durchblicken.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) gilt in der Union als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Ministerpräsident Armin Laschet in der NRW-Staatskanzlei und für die Spitze der Landespartei. Der 45-jährige Münsterländer dringt darauf, diese Personalfragen im Herbst zu klären. Der Spitzenkandidat sollte mit einem Amtsbonus in die Landtagswahl gehen, sagte Wüst im Interview mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock und Landeskorrespondent Matthias Korfmann.

Herr Wüst, Sie wollen im Oktober NRW-Ministerpräsident werden. Warum sagen Sie das nicht offen?

Wüst: In der CDU Nordrhein-Westfalens gibt es viele gute Leute. Armin Laschet hat hier ein starkes Team mit kompetenten Köpfen geformt. Wir werden so oder so auch in Zukunft ein starkes Team haben. Wer der Mannschaftskapitän ist, wird entschieden, wenn es ansteht.

Das heißt? Wann kommen Sie aus der Deckung?

Wüst: Wir unterstützen erst mal mit voller Kraft Armin Laschet im Bundestagswahlkampf. Wenn er Kanzler ist, stehen dann Entscheidungen in Nordrhein-Westfalen an.

Gehören Ministerpräsidentenamt und CDU-Vorsitz in NRW in eine Hand?

Wüst: Wer was wird, entscheiden die zuständigen Gremien.

Ist es denkbar, dass man das Ministerpräsidentenamt jetzt übergangsweise besetzt und dann zur Wahl im Frühjahr einen neuen Spitzenkandidaten aufstellt?

Wüst: Es ist immer klug, wenn die Spitzenkandidatin oder der Spitzenkandidat mit einem Amtsbonus antritt.

Also wäre es sinnvoll, dass in NRW im Mai 2022 der dann amtierende Ministerpräsident und Parteivorsitzende in den Wahlkampf geht?

Wüst:: Das wäre sinnvoll, aber wir werden das alles nach der Bundestagswahl in Ruhe besprechen.

Die Staus gehörten zu den großen Themen im Landtagswahlkampf 2017. „NRW geht schneller“ behauptete die CDU. Hand aufs Herz: Werden die Staus im Mai 2022 kürzer sein als die im Mai 2017?

Wüst: Das kann gut sein, hat dann aber auch etwas mit der Pandemie zu tun. Viele haben gelernt, dass Homeoffice gut funktioniert. Das sollten wir auch als Land stärker möglich machen. Zum Beispiel mit Co-Working-Arbeitsplätzen für Landesmitarbeiter auch außerhalb von Düsseldorf. Gern auch im Ruhrgebiet. Das ist gut fürs Klima und reduziert Pendlerströme.

Außerdem haben wir seit dem Regierungswechsel knapp 600 Millionen Euro mehr für Autobahnen und Bundesstraßen nach Nordrhein-Westfalen geholt als eigentlich vorgesehen war. Unter Rot-Grün wurde sogar Geld zurückgegeben. Auch damit lösen wir den Investitionsstau auf, der jahrelang mitverantwortlich war für den Stau auf der Straße.

Geraten die Nahverkehrsunternehmen in der Krise noch weiter unter Druck, weil weniger Menschen Bus und Bahn fahren?

Wüst: Wir haben die Verantwortung angenommen, unseren Kindern ein klimaneutrales Land zu hinterlassen, das als Industrieland Wohlstand und soziale Sicherheit garantiert und in dem Mobilität nicht zur neuen sozialen Frage wird. Mobilität muss auch in Zukunft für jeden erschwinglich sein. Deshalb muss Deutschland wieder Bahnland werden. Wir haben im vergangenen Jahr mehr Investitionen in die Schiene gesehen als in die Straße. So muss das weitergehen. Außerdem finanzieren wir zusätzliche Schnellbusse und On-Demand-Shuttle, reaktivieren Bahnstrecken und durch die Ruhr-Konferenz fließt eine Milliarde Euro in die Modernisierung von Straßen- und U-Bahnen, allein ins Ruhrgebiet 450 Millionen Euro.

Abellio und andere kriselnde Verkehrsunternehmen fordern Geld vom Land NRW. Werden Sie helfen?

Wüst: Die Eisenbahnunternehmen haben in einem Wettbewerb das günstigste Angebot abgegeben. Wenn nach Tarifverhandlungen die Löhne für das Personal steigen, dann gehört das zum unternehmerischen Risiko. Das Land ist bereit zu helfen in dem Umfang, in dem das rechtlich zulässig ist. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen und die Aufgabenträger verhandeln seit eineinhalb Jahren, und ich erwarte, dass sie jetzt zügig zu einem Ergebnis kommen.

Sind Sie auch der Ansicht, wir sollten auf Inlandsflüge künftig verzichten?

Wüst: Moderne Verkehrspolitik ist der beste Klimaschutz. Deshalb müssen wir den Menschen zuerst ein besseres Angebot machen. Es gibt Mobilitätsbedürfnisse, die bedient werden müssen, verbieten reicht nicht. Die Frage der Inlandsflüge muss man verbinden mit dem Ausbau der Fernverkehrsstrecken der Bahn. Das bedeutet: Man kann nicht in Sonntagsreden fordern, auf Inlandsflüge zu verzichten, und sich dann einen schlanken Fuß machen und gegen den Ausbau von Fernverkehrsstrecken sein.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Stand der E-Mobilität in Nordrhein-Westfalen?

Wüst: Da muss mehr Tempo rein. Der entscheidende Faktor, den Menschen die Angst vor leeren Akkus zu nehmen, sind Lademöglichkeiten. Und da müssen wir neben den öffentlichen Ladesäulen auch das Wallbox-Programm für Privatleute weiterführen. Da muss Herr Scholz jetzt schnell für frisches Geld sorgen. Denn das Nachladen unterwegs ist eher die Ausnahme. Geladen wird meist am Ziel- und am Wohnort.

Wann kommt der eTarif?

Wüst: Die Verkehrsverbünde haben versprochen, dass er zum Jahresende kommt. Das Land unterstützt den eTarif mit 100 Millionen Euro bis 2031. Das ist ein komplett neuer Tarif ohne Verbundgrenzen. Sie steigen irgendwo in Nordrhein-Westfalen ein, zahlen per Smartphone überall den gleichen Grundpreis und den gleichen Luftlinien-Kilometerpreis. Daneben besteht die alte Tarifstruktur fort. So gibt es nur Gewinner.

Fahrradverbände finden ihr Fahrradgesetz mutlos, weil es nicht vorschreibt, bis wann genau der Anteil des Radverkehrs in Nordrhein-Westfalen auf 25 Prozent gesteigert wird. Glauben Sie, dass das bis 2030 geht?

Wüst: In Teilen des Landes haben wir das schon erreicht. In meiner Heimat im Münsterland sind wir teils schon jenseits von 30 Prozent. Auch in anderen Regionen werden wir durch die Elektrifizierung des Fahrrads solche Werte erreichen. Dafür brauchen wir einen systematischen und schnelleren Ausbau der Radinfrastruktur. Bei Klagen gegen Radschnellwege gibt es nur noch eine Tatsacheninstanz und keine aufschiebende Wirkung mehr. Das bringt Tempo. Fristen, wie einige Verbände sie fordern, verstehen wir nicht unter wertschätzendem Umgang mit Städten und Gemeinden, die wir als Partner brauchen und lieber unterstützen.

… liegt es an fehlender finanzieller Unterstützung?

Wüst: Nein, es steht so viel Geld für Rad- und Fußverkehr zur Verfügung wie noch nie zuvor. Aber wir müssen schneller werden, zum Beispiel Eingriffe in die Umwelt auszugleichen. Die Planung ist zu kompliziert, gerade beim Radschnellweg Ruhr (RS1) sieht man das. Nach der Sommerpause werde ich ein weiteres Gesetz in den Landtag einbringen, in dem unter anderem Radwege aller Art bis sechs Kilometer, die nicht in Schutzgebieten liegen, von der Umweltverträglichkeitsprüfung befreit sind. Mein Ansatz ist also: fördern, entlasten, beschleunigen und nicht Fristen setzen.

Die Zahl der Unfälle mit E-Fahrrädern steigt dramatisch. Brauchen wir eine Helmpflicht für Pedelecs?

Angesichts der Unfallzahlen ist das der naheliegende Gedanke. Aber mir haben praktisch alle Fahrradexperten davon abgeraten. Weil sie dann Leute, die partout keinen Helm tragen wollen, davon abhalten, aufs Rad zu steigen. Ich fahre übrigens fast täglich Rad – und immer mit Helm.

Im Ruhrgebiet läuft die Diskussion über einen gemeinsamen Nahverkehrsplan, angestoßen durch die Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU, Essen) und Thomas Eiskirch (SPD, Bochum). Was halten Sie davon?

Wüst: Das Kirchturmdenken aufzugeben, ist absolut richtig. Wir bieten Milliardenförderung für die Vereinheitlichung von Stadt- und U-Bahnen an, zum Beispiel zur Beseitigung von Spurweitenunterschieden – ein altes Ärgernis im Ruhrgebiet. Ich habe den Eindruck, dass da jetzt im Ruhrgebiet eine Generation von Oberbürgermeistern aktiv ist, die weiß, dass sie durch mehr Zusammenarbeit gewinnt und nicht verliert.

Es gibt viel Ärger in den Städten mit E-Scootern, allein in Köln wurden etwa 500 Scooter im Rhein geortet. Wie ist Ihre Bilanz?

Wüst: Da sehe ich Licht und Schatten. Eine Gesellschaft muss auch mal etwas Neues aushalten können. Wichtig ist, dass die Städte jetzt das Recht haben, markierte Abstellflächen für E-Scooter einzurichten. Nur dort dürfen die Geräte abgestellt werden. Die Anbieter sind in die Pflicht, dass ihre Roller dort stehen, wo sie stehen sollen. Und die Nutzer müssen sich an die Regeln halten und mit Kontrollen rechnen.