Düsseldorf. Vom Krawallo zum Kronprinzen: Die wundersame Wandlung des NRW-Verkehrsministers macht ihn wohl zum neuen starken Mann der NRW-CDU.

Als ihm eine Moto Guzzi V7 II vor die Wildlederschuhe geschoben wird, wehrt Hendrik Wüst in gespielter Empörung ab. Für die Fotografen soll sich Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister hier am Solinger Biker-Treff „Café Hubraum“ kurz auf das blank polierte italienische Motorrad setzen. „Ich habe gar keinen Schein“, ruft er, „das ist Amtsanmaßung.“

Eigentlich ist Wüst an diesem Montagmorgen ins Bergische Land gekommen, um eine Landesinitiative für weniger Motorrad-Lärm zu starten. Aber der CDU-Politiker weiß natürlich, dass das Medieninteresse vor allem der Frage gilt, welche Ämter da jetzt auf ihn zurollen wie die Moto Guzzi. Armin Laschet ist nur noch Ministerpräsident auf Abruf, seit der Kanzlerkandidat der Union klarstellen musste, dass er unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl ab Herbst ganz in Berlin bleiben wird. Nun richten sich alle Augen auf Wüst.

Die NRW-CDU hat mit Doppelspitzen schlechte Erfahrungen gemacht

Der 45-Jährige gilt als Favorit auf die Nachfolge. Er ist der einzige, der einen Generationswechsel verkörpert, regierungserfahren ist und über ein Landtagsmandat verfügt, das die NRW-Verfassung zur Voraussetzung für die Wahl zum Ministerpräsidenten macht. Nach Lage der Dinge dürften ihn die Landtagsfraktionen von CDU und FDP im Oktober zum neuen Regierungschef wählen.

Kurz darauf wird man Wüst wohl auch zum Vorsitzenden der NRW-CDU küren, da die Partei vor der schwierigen Landtagswahl im Mai 2022 ein klares Machtzentrum braucht. Der Landesverband hat mit Doppelspitzen schlechte Erfahrungen gemacht und kann sich angesichts desaströser Umfragewerte keinerlei Selbstbeschäftigung leisten. Die Unausweichlichkeit der Personalie erkennen hinter vorgehaltener Hand selbst jene an, die Wüst kritisch gegenüberstehen und ihn lieber durch einen populären Laschet-Vertrauten wie Innenminister Herbert Reul (68) eingehegt sähen.

„Gas runter! Lärm runter!“, steht auf den Kampagnen-Plakaten, die Wüst in Solingen präsentiert. Das Motto wirkt wie geschaffen für ihn. Der 1,91 Meter lange Volljurist aus dem münsterländischen Rhede weiß, dass es auf ihn zuläuft - er darf aber jetzt nicht übertouren. Geduld und Demut gehörten lange nicht zu seinen Kernkompetenzen.

Wüst war einst der Mann fürs Grobe bei Ministerpräsident Rüttgers

Wüst stieg schon mit 31 Jahren zum Generalsekretär der NRW-CDU auf und galt als Mann fürs Grobe des früheren Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Der passionierte Jäger legte immerzu auf den politischen Gegner an und führte parteiintern ein gefürchtetes Regiment. So begleitete ihn viel Schadenfreude, als Wüst 2010 im Zuge der „Rent-a-Rüttgers“-Affäre um verkaufte Sponsorengespräche zurücktreten musste.

Wüsts politische Laufbahn schien beendet. Ein tiefer Absturz für jemanden, der mit 15 die Junge Union in Rhede gegründet und noch 2007 mit einem gewissen Markus Söder die Strategie für einen „modernen bürgerlichen Konservativismus“ entworfen hatte. Wüst wechselte im Landtag in die Hinterbank und verdingte sich als Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbandes NRW.

Normalerweise führt ein solcher Karriereknick bei Politikern dazu, sich als Opfer besonderer Umstände zu sehen. Wüst hingegen suchte die Schuld allein bei sich selbst. Man konnte damals fast dabei zusehen, wie er Lehren zog: Freund-Feind-Denken, Karriereehrgeiz, aggressive Besserwisserei, politischer Tunnelblick – alles wurde schonungslos überdacht. „Wenn man aus Fehlern lernt, ist das eine Qualität“, findet CDU-Verkehrsexperte Klaus Voussem. Wüst pflegt zwar bis heute einen Hang zum schnodderigen Scherz, kann aber inzwischen auf wohltuend ironische Distanz zu sich selbst gehen.

Laschet holte ihn zurück in die Spitzenpolitik

Er bekam 2013 mit dem Chefposten beim CDU-Wirtschaftsflügel ein kleines Basislager für den Wiederaufstieg. Ohne Laschet wäre er jedoch nicht weit gekommen. Ausgerechnet der leutselige Aachener, dessen rheinisch-bauchiger Führungsstil dem Aktenfresser Wüst eher fremd blieb, holte ihn zurück. Bei aller Unterschiedlichkeit lässt der Verkehrsminister nichts auf Laschets hohe Integrationsfähigkeit kommen. Selbst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 konnten sie intern über den „Kontrollverlust“ an den deutschen Grenzen streiten, ohne miteinander zu brechen.

Als Wüst 2019 seine Lebensgefährtin Katharina auf Schloss Raesfeld heiratete, war Laschet Ehrengast. Wer den Verkehrsminister heute behelmt durch die Landeshauptstadt radeln sieht, könnte den Neo-Konservativen von einst glatt für einen Altstudenten aus Düsseldorf-Unterbilk halten. Seit im März Tochter Philippa geboren wurde, wirkt Wüst entspannt wie selten in seiner Laufbahn. Sein Fahrer bekommt schon mal frei, weil der Minister mit dem Familienkombi zwischendurch einen Kinderwagen abholen muss. Wenn Wüst anekdotenreich von durchwachten Nächten mit der kleinen „Pippa“ berichtet, wirkt das späte Glück des Vaters aufregender als die mögliche Zukunft als Landesvater.