Düsseldorf. Ein Polizist macht im Untersuchungsausschuss Hochwasser des NRW-Landtags die Flut greifbar, ein Beamter spricht über eine unterbesetzte Behörde.
Im Untersuchungsausschuss Hochwasser des NRW-Landtags in Düsseldorf haben schon viele Beamte ausgesagt und sich gerechtfertigt. Am Freitag wird dort greifbar, wie die Katastrophe vor Ort wirklich ablief und woran es haperte: Ein Rettungstaucher der Polizei schildert seinen Einsatz. Nicht weniger eindrücklich sind die Worte eines leitenden Umweltbeamten zum Thema Hochwasservorhersagen.
Alte Analoggeräte in Feuerwehrautos haben sich bei der Jahrhundertflut im rheinischen Heimerzheim nach Schilderungen eines Polizisten als lebensrettende Kommunikationstechnik bewährt. Die offizielle Technik der Polizei, das gesamte Handynetz und der Digitalfunk seien während des Hochwassers im vergangenen Juli komplett zusammengebrochen, sagte der Rettungstaucher Patrick Reichelt am Freitag als Zeuge.
Jahrhundertflut in NRW: Rettung von 65 Menschen unter Lebensgefahr
Die Kommunikation der Rettungskräfte untereinander und das Abarbeiten der Einsätze sei nur möglich gewesen, weil die Feuerwehr in seinem Heimatort Heimerzheim im Rhein-Sieg-Kreis ihre alten Analoggeräte trotz digitaler Umrüstung noch behalten habe. In eindringlichen Worten schilderte der 47-jährige Polizist, wie er Mitte Juli 2021 als Bootsführer mit seinem Team in einer Doppelschicht etwa 65 Menschen aus einsturzgefährdeten Häusern und anderen Notlagen unter Einsatz seines Lebens gerettet habe.
Darunter seien viele Betagte, Behinderte, Kranke, Desorientierte und Menschen gewesen, die nach stundenlangen Hilferufen von Dächern und Balkonen schon fast aufgegeben hätten, berichtete Reichelt. Männer, die sich geweigert hätten, ihr unterspültes Haus ohne ihre Hunde oder Katzen zu verlassen, habe er unter Lebensgefahr mit den Tieren durch das Wasser geführt, nachdem er die Ehefrauen überredet habe, sich vom Hubschrauber retten zu lassen.
Polizeitaucher: "Wir sind es leider gewohnt, auch Tote aus dem Wasser zu ziehen"
Einem von externer Sauerstoffzufuhr abhängigen Dialyse-Patienten, der unter allen Umständen zuhause bleiben wollte, habe er angesichts der drohenden Todesgefahr gesagt: "Das ist jetzt nicht der Tag, wo man geht". Er selbst sei in ein Loch gefallen und durch den Wassersog unter ein Haus gezogen worden. Sein Kollege habe ihn im letzten Moment an der Hand noch unter einer Bodenplatte hervorziehen können.
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In der Katastrophe habe sich gezeigt, dass letztlich nur die professionellen Retter technisch und emotional gerüstet gewesen seien, mit der Extrem-Situation umzugehen. Viele junge ehrenamtliche Helfer seien überfordert gewesen, berichtete Reichelt. "Wir Polizeitaucher sind es leider gewohnt, auch Tote aus dem Wasser zu ziehen."
Bilanz der Hochwasserkatastrophe: 49 Tote, etwa 13 Milliarden Euro Schäden alleine in NRW
Unwetter mit ungewöhnlich starken Regenfällen hatten Mitte Juli in Rheinland-Pfalz und NRW eine Hochwasserkatastrophe ausgelöst. Ganze Landstriche wurden von den Wassermassen verwüstet - 49 Menschen starben. Nach ersten Schätzungen entstanden allein in NRW Schäden in Höhe von etwa 13 Milliarden Euro.
Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) berichtete, sie habe das NRW-Innenministerium am 14. Juli um einen Lagebericht gebeten und sich in den Tagen danach vor Ort selbst über die Lage informiert. Ihr Ministerium sei aber nicht für die Gefahrenabwehr zuständig, sondern habe sich um die Unterstützung der Kommunen gekümmert.
Jahrhundertflut in NRW: Lagen dem Ausschuss alle Dokumente vor?
Der SPD-Abgeordnete Stefan Kämmerling warf Scharrenbach vor, dem Ausschuss nicht alle Dokumente geliefert zu haben. Die Ministerin entgegnete, dem Gremium liege alles vor, was sich auf den Untersuchungsgegenstand der Gefahrenabwehr beziehe, aber keine Dokumente über reine Finanzierungsfragen. SMS lösche sie regelmäßig wegen der großen Menge.
Auf die Frage des Grünen-Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh, ob sich urlaubsbedingte Abwesenheiten der Minister für Inneres, Verkehr und Umwelt, Herbert Reul, Hendrik Wüst und Ursula Heinen-Esser (alle CDU) auf das Krisenmanagement ausgewirkt hätten, antwortete Scharrenbach, den Eindruck habe sie nicht gehabt.
Hochwasservorhersagen: Umweltbeamter berichtet von dünner Personaldecke
Ein leitender Umweltbeamter berichtete als Zeuge, die Personaldecke für Hochwasservorhersagen der Landesbehörden sei in NRW unter dem Bundesurchschnitt. Das hätten Vergleiche seit Jahren ergeben, sagte der Fachbereichsleiter für Hochwasserschutz im Landesumweltamt, Bernd Mehlig. "Nordrhein-Westfalen kommt nicht an den Standard, den andere Bundesländer haben." Ein neues Modellsystem zur Hochwasservorhersage habe im vergangenen Sommer nicht genutzt werden können. Die einzige Person, die das Modell betreue, sei im Urlaub gewesen.
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Die Frage, ob etwas hätte verhindert werden können, wenn das System im Juli 2021 funktioniert hätte, sei spekulativ, sagte der Hochwasser-Experte. Er gehe aber davon aus, dass das System seine Berechnungen an einem bestimmten Punkt abgebrochen hätte, weil bei dem Jahrhunderthochwasser an besonders betroffenen Pegeln so hohe Wasserstände erreicht worden seien, die das System nicht kenne. „Es hätte die Scheitel nicht vorhersagen können.“
Landesumweltamt als "Bauernopfer" für das Umweltministerium?
In einer geharnischten Mail an seinen Vorgesetzten hatte Mehlig im vergangenen Jahr geklagt, er fühle sich von der Pressestelle des NRW-Umweltministeriums unter Druck gesetzt: Er habe es abgelehnt zu erklären, dass „alle Informationen über die zu erwartenden Niederschlagsmengen rechtzeitig weitergeleitet“ worden seien, bestätigte Mehlig. Offenbar solle das Landesumweltamt als "Bauernopfer" vor das Ministerium geschoben werden, hatte er in seiner Mail geschrieben.
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Im Ausschuss relativierte der Beamte hingegen, er sei damals aufgeregt gewesen und habe voreilige Schlussfolgerungen gezogen. Der Ausdruck „Bauernopfer“ sei nicht gerechtfertigt gewesen. (dpa)