Essen. Kaum Vertrauen in die Politik, Kritik an Corona-Regeln und Zweifel am Strukturwandel: Die Ergebnisse einer großen Umfrage der NRW-Tageszeitungen.
Die Corona-Pandemie ist für die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in NRW das mit weitem Abstand wichtigste Thema im Land. Dies ist ein Ergebnis des „NRW Check“, einer vierteiligen Umfrage-Serie der nordrhein-westfälischen Tageszeitungen im Vorfeld der Landtagswahl am 15. Mai 2022. Fast zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) nennen die Pandemie allgemein als das derzeit größte Problem.
Mit deutlichem Abstand in der Rangliste der drängendsten Themen im Land folgen Bildung und Verkehr (jeweils 14 Prozent). Der Klima- und Umweltschutz landet mit 13 Prozent auf dem vierten Platz. Zwölf Prozent der Befragten äußern Unmut über die Politik und Politiker. Andere Themen wie Wohnungsmangel, Digitalisierung, soziale Ungerechtigkeit, Inflation und Kriminalität erreichen im NRW-Problem-Ranking nur einstelligen Prozentwerte.
Zwischen den verschiedenen Altersgruppen zeigen sich keine wesentlichen Unterschiede in der Einschätzung der Probleme und ihrer Bedeutung. Nur der Klima- und Umweltschutz wird von den Unter-30-Jährigen etwas häufiger genannt als von der älteren Generation.
Mehrheit in NRW wünscht sich härtere Maßnahmen und Impfpflicht
63 Prozent der Befragten gaben zudem an, dass ihnen die in NRW getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht weit genug gehen. 18 Prozent halten sie für angemessen, nur 15 Prozent für zu weitgehend.
Auch beim Thema Impfpflicht ist das Meinungsbild eindeutig: Für eine generelle Impfpflicht sprechen sich drei Viertel der Befragten aus. Noch mehr fordern eine berufsbezogene Impfpflicht für Pflegeberufe, Kita-Personal und Lehrkräfte.
Massive Zweifel haben die Menschen im Industrieland NRW am Erfolg der Energiewende. Fast zwei Drittel glauben nicht, dass der Kohleausstieg bis 2030 gelingen könne. Den Versuch, den eigentlich für 2038 geplanten vollständigen Ausstieg aus der Kohleenergie vorzuziehen, halten dennoch 58 Prozent der Befragten für richtig, nur 34 sprachen sich dagegen aus.
Für den „NRW Check“ befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa in der Zeit vom 26. November bis zum 7. Dezember insgesamt 2009 wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger in NRW.
NRW-Landespolitik steckt in Vertrauenskrise
Knapp fünf Monate vor der Landtagswahl am 15. Mai 2022 steckt die NRW-Landespolitik bei den Bürgerinnen und Bürgern in einer tiefen Vertrauenskrise. Über die Hälfte der Wahlberechtigten an Rhein und Ruhr (55 Prozent) traut derzeit keiner Partei zu, mit den Problemen im Land fertig werden zu können.
In der Kompetenzfrage liegt die in Düsseldorf mit den Liberalen regierende CDU zwar vor allen anderen Parteien. Allerdings sprechen nicht einmal ein Fünftel der Befragten (18 Prozent) der Partei von Ministerpräsident Hendrik Wüst landespolitische Kompetenz zu. Die SPD erreicht in dieser Frage mit 13 Prozent ebenfalls einen schwachen Wert. Desaströs abgeschlagen sind die Grünen und die FDP mit fünf bzw. vier Prozent.
Schlechte Umfragewerte für Ministerpräsident Wüst und Herausforderer Kutschaty
Auch das Vertrauen in die Fähigkeiten von NRW-Ministerpräsident Wüst und SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty ist eher überschaubar klein. Könnten die Wahlberechtigten in NRW ihren Ministerpräsidenten selbst wählen, dann würden sich derzeit fast zwei Drittel (64 Prozent) für keinen der beiden entscheiden.
Amtsinhaber Wüst käme auf 24 Prozent der Stimmen, Kutschaty gerade einmal auf halb so viel (zwölf Prozent). Auffällig: Der SPD-Landeschef und gebürtige Essener kann sich nicht einmal im Ruhrgebiet vor Wüst setzen, sondern liegt auch in der SPD-Stammregion mit sechs Prozentpunkten deutlich hinter dem CDU-Ministerpräsidenten, der auf 22 Prozent kommt.
Nur ein Drittel der Wähler und Wählerinnen ist mit Wüsts Arbeit zufrieden
Offen ist die Frage, ob der erst seit knapp zwei Monaten regierende Wüst mit einem Amtsbonus im kommenden Landtagswahlkampf ziehen kann. Mit der Arbeit des 46-Jährigen sind der Umfrage zufolge derzeit nur 31 Prozent der NRW-Bürger zufrieden. Weniger oder gar nicht zufrieden sind dagegen 40 Prozent. Dieser Wert ist aber im Vergleich zur Bewertung der Arbeit der gesamten Landesregierung (64 Prozent unzufrieden) deutlich besser. 29 Prozent haben sich zudem noch kein Urteil über Wüsts bisherige Arbeit gebildet.
Im Ruhrgebiet liegen die Zufriedenheitswerte des Ministerpräsidenten in etwa auf NRW-Niveau (30 zu 44 Prozent). Besser als im Landesschnitt schneidet Wüst in seiner Heimat Münsterland, in Ostwestfalen und am linken Niederrhein ab.
Keine Mehrheit für Zweier-Koalition in NRW, obwohl sich das viele wünschen
In der „Sonntagsfrage“ spiegeln sich diese Trends allerdings nur bedingt wider. Würde jetzt schon der NRW-Landtag gewählt, könnten CDU und SPD mit jeweils 27 Prozent der Stimmen rechnen. Die Grünen erreichten 17 Prozent, die FDP käme auf zwölf und die AfD auf sieben Prozent. Die Linke wäre mit vier Prozent weiter nicht im Landtag vertreten.
Die amtierende schwarz-gelbe Koalition hätte mit zusammen 39 Prozent somit keine Mehrheit mehr. Doch auch Rot-Grün würde mit 44 Prozent die Mehrheit verpassen. Neben der Groko aus CDU und SPD (54 Prozent) hätten nur Dreier-Koalitionen im Düsseldorfer Landtag eine Mehrheit: „Jamaika“ (CDU, Grünen und FDP) und „Ampel“ (SPD, Grünen und FDP) kämen beide jeweils auf 56 Prozent.
Doch welche Koalition wünschen sich die Wahlberechtigten? Hier gibt es kein klares Bild. Jeweils 21 Prozent der Befragten nennen als Wunschkoalition entweder Schwarz-Gelb oder Rot-Grün. Deutlich unbeliebter sind Dreier-Bündnisse. Acht Prozent sprechen sich für eine „Jamaika“-Koalition aus CDU, FDP und Grünen aus, jeweils neun Prozent sind für die „Ampel“ (SPD, Grünen und FDP) bzw. ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei. Auch die Groko wollen derzeit nur neun Prozent in Regierungsverantwortung sehen.
Kampf gegen die Corona-Pandemie: Kritik an zu laschen Maßnahmen
Die Corona-Pandemie prägt seit 21 Monaten das Leben in Deutschland und der Welt. In der Forsa-Befragung wurde deutlich, dass der Kampf gegen das Virus aus Sicht der Menschen das mit Abstand wichtigste Problem ist. Eine überwältigende Mehrheit der Menschen in NRW spielt im “Team Vorsicht”, das zeigt der NRW-Check eindeutig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen gehen der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen nicht weit genug, nur knapp jeder Fünfte hält sie für angemessen.
74 Prozent der über 60-Jährigen kritisieren die Corona-Regeln als zu lasch, in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen sind es 61 Prozent. Auch mehr als die Hälfte der 30- bis 44-Jährigen sowie der 45- bis 59-Jährigen (56 Prozent) hätte sich strengere Maßnahmen gewünscht.
Die einzige Gruppe, die die Corona-Maßnahmen in NRW nicht als unzureichend kritisiert, sind die Anhängerinnen und Anhänger der AfD. Im Gegenteil: 67 Prozent von ihnen gehen die getroffenen Regeln zu weit.
Harter Lockdown ist für Menschen in NRW kein Tabu
Selbst ein Lockdown mit massiven Einschränkungen für alle Bürger und Bürgerinnen – auch für diejenigen, die geimpft sind – ist für viele kein Tabu-Thema. So halten 65 Prozent der Befragten im Ruhrgebiet einen generellen Lockdown samt Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie Geschäftsschließungen für richtig, wenn die Infektionszahlen weiter steigen. Etwa jeder dritte Einwohner ist dagegen.
Am größten sind die Vorbehalte gegenüber einem Lockdown bei den Menschen in NRW, die die AfD (56 Prozent dagegen) oder FDP (45 Prozent dagegen) unterstützen. Gleichzeitig hält rund jeder dritte AfD-Anhänger die Maßnahme für richtig.
Betrachtet man die Berufsgruppen, so fällt auf, dass sich vor allem Selbstständige und Arbeiter skeptisch gegenüber einem Lockdown zeigen. Knapp die Hälfte der in den Lockdowns besonders gebeutelten Selbstständigen und rund 40 Prozent der Arbeiter halten diesen für die falsche Maßnahme. Den größten Anklang findet ein Lockdown bei Beamten. 67 Prozent von ihnen sprechen sich bei steigenden Corona-Zahlen dafür aus.
Überwältigende Mehrheit für Impfpflicht in NRW
In NRW haben rund 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger einen vollen Impfschutz. Um den Pandemieverlauf gut zu beherrschen, müssten laut Robert-Koch-Institut allerdings deutlich mehr Menschen geimpft sein. Daher sollte eine generelle Impfpflicht eingeführt werden, fordert eine große Mehrheit der Bürger in NRW.
Im Ruhrgebiet sind 74 Prozent der Befragten für eine Impfpflicht. Zum Vergleich: Am wenigsten befürwortet wird die Pflicht im Münsterland, mit 65 Prozent spricht sich allerdings auch dort die Mehrheit der Bürger dafür aus.
Allgemein ist die Zustimmung in der Altersgruppe der Über-60-Jährigen (87 Prozent) besonders hoch. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind 65 Prozent, bei den 30- bis 44-Jährigen sowie den 45- bis 59-Jährigen 66 Prozent für eine Impfpflicht.
Vergleicht man den Zusammenhang zwischen Partei-Präferenz und der Einstellung zur Impfpflicht, fällt auf, dass vor allem die Anhänger der SPD (88 Prozent) und der CDU (87 Prozent) eine Pflicht befürworten. Auf Ablehnung stößt diese allerdings bei 74 Prozent der AfD-Unterstützer und bei 27 Prozent der Linken-Anhänger.
Eine noch größere Zustimmung als die generelle findet eine berufsbezogene Impfpflicht. Die neue Ampelregierung hatte diese unlängst für den Pflege- und Gesundheitsbereich beschlossen – in der Umfrage findet die Impfpflicht für Kita-Personal und Lehrkräfte ebenfalls Zustimmung. 78 Prozent der Befragten in NRW befürworten eine Impfpflicht für Pflege, Kita und Schule. Im Ruhrgebiet sind mit 82 Prozent überdurchschnittlich viele Menschen für die berufsbezogene Impfpflicht.
Klimaschutz hält nur ein Fünftel für das wichtiges Problem
Die Herausforderungen der Corona-Pandemie wiegen so schwer, dass sie andere Probleme regelrecht verdrängen. So auch in der Klimakrise: Trotz der verheerenden Flut in diesem Sommer und den Dürren der Vorjahre halten die Menschen in NRW mit großer Mehrheit den Klimaschutz nicht für das zurzeit wichtigste Problem in diesem Land.
Knapp vier Fünftel der Befragten sehen andere Probleme, die genauso wichtig oder sogar noch wichtiger sind – eine Einschätzung, die auch im Ruhrgebiet mehrheitlich geteilt wird (78 Prozent).
Die einzige Ausnahme bilden Wählerinnen und Wähler der Grünen: Unter ihnen hält eine knappe Mehrheit von 51 Prozent den Klimaschutz für das wichtigste Problem. Den Gegenpool stellt die Wählerschaft der AfD dar, die wie keine andere Partei den menschengemachten Klimawandel anzweifelt: 95 Prozent sehen andere wichtige Probleme als den Klimaschutz.
Kohleausstieg 2030 – die Zuversicht der Jungen
Die Sache mit dem früheren Kohleausstieg ist vertrackt: Nahezu sechs von zehn Menschen in NRW befürworten es laut Forsa-Befragung, dass der für 2038 geplante Ausstieg aus der Kohleverstromung vorgezogen wird und bereits ab 2030 umgesetzt wird. Doch nur 30 Prozent haben auch die Hoffnung, dass das gelingen kann.
Der Vergleich der Regionen zeigt: Das Bergbau-geprägte Ruhrgebiet ist mit 26 Prozent sogar noch einmal pessimistischer als etwa der Düsseldorfer Raum (36 Prozent). Zugleich halten an der Ruhr mit 57 Prozent etwas weniger Menschen als NRW-weit den früheren Kohleausstieg für richtig als landesweit.
Auffällig ist, dass die Zuversicht in der Ausstiegsfrage mit dem Alter sinkt: 18- bis 29-Jährige stimmen nicht nur deutlich häufiger einem früherem Kohleausstieg zu als Menschen höheren Alters. 37 Prozent halten das auch für machbar – der höchste Wert unter allen Altersgruppen.
Und mehr noch: Junge Menschen sind eher zuversichtlich, dass durch den Kohleausstieg verloren gegangene Arbeitsplätze von Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien aufgefangen werden können. 63 Prozent von ihnen glauben, dass sich Verluste und Gewinne an Arbeitsplätzen in etwa die Waage halten. Bei den 45- bis 59-Jährigen sind es gerade einmal 47 Prozent. Besonders groß ist die Skepsis bei den Ältesten: Acht Prozent der über 60-Jährigen erwartet, dass durch den Umstieg auf erneuerbare Energien am Ende sogar mehr Arbeitsplätze entstehen.
Kann der Strukturwandel in NRW gelingen?
Kaum eine Region in Deutschland ist so geübt in Sachen Strukturwandel wie das Ruhrgebiet. Vielleicht auch deshalb sind Menschen hierzulande eher geneigt zu glauben, dass der deutschlandweite Ausstieg aus der Kohle und der daraus folgende Strukturwandel gelingen kann: 41 Prozent der Menschen in der Region sind davon überzeugt. 43 Prozent glauben das nicht. In der Region “Aachen und Eifel” sind die Sorgen nochmals stärker: 53 Prozent meinen, der Strukturwandel werde nicht gelingen.
Besonders groß sind die Ängste bei jenen, die sich zur klassischen Arbeiterschaft zählen. Zwei Drittel der Arbeiter glauben nicht an ein Gelingen des Strukturwandels, bei Verbeamteten indes sind es nur ein Drittel. Arbeiter fürchten auch am meisten, dass infolge des Kohleaussteigs Jobs verloren gehen, die durch neue Industrien nicht aufgefangen werden können (66 Prozent).
Wem aber trauen es die Menschen zu, den Strukturwandel zu bewältigen? Die Skepsis ist groß. Am ehesten sieht man diese Kompetenz in NRW noch bei der SPD. 19 Prozent sagen, dass die Sozialdemokraten den nächsten Strukturwandel vorantreiben und bewältigen könne – kein überragender Wert, der auch im traditionell SPD-geprägten Ruhrgebiet mit 21 Prozent nur etwas besser ausfällt. Selbst unter jenen, die angeben, die SPD bei der Landtagswahl wählen zu wollen, sind es gerade einmal zwei Drittel, die der Partei zutrauen, dass sie Strukturwandel kann.
Auch die anderen Parteien kommen eher schlecht weg: CDU und Grüne trauen je 17 Prozent Strukturwandel zu, den Liberalen der FDP gerade einmal acht Prozent. 33 Prozent aller Befragten sehen die Kompetenz weder bei einer dieser vier Parteien noch bei Linke oder AfD.
Steigende Energiepreise: Die Heizung wird heruntergedreht
Die Kosten für Energie sind deutschlandweit auf Rekordhöhen angelangt. Der Ölpreis hat sich zuletzt binnen eines Jahres verdoppelt. Der Preis für eine Megawattstunde Strom verzehnfachte sich in der Spitze im selben Zeitraum.
In den Haushalten kommt das deutlich an: 58 Prozent der Menschen geben an, „sehr stark“ oder „stark“ durch die steigenden Energiepreise belastet zu werden. Nimmt man noch jene hinzu, die diese Belastung „etwas“ spüren, kann man sagen: Lediglich fünf Prozent, also jeder 20. Haushalt, sieht sich derzeit nicht von den hohen Energiepreisen belastet – ein Warnsignal, das im Ruhrgebiet nur minimal geringer zum Tragen kommt (sieben Prozent).
Im ländlichen Raum wie dem Sauer- und Siegerland ist die Lage noch einmal dramatischer – nur zwei Prozent der Befragten gibt dort an, durch Energiepreise nicht oder noch nicht belastet zu sein. Menschen, die die AfD wählen, benennen die Belastung deutlich häufiger „stark“ als Grünen-Wähler.
Wer sich mindestens „etwas“ belastet sieht, wurde in der Forsa-Befragung auch gebeten, konkrete Folgen zu benennen. Am häufigsten sagten die Menschen, dass sie sich bei Heizen, Energie und Wasser einschränken (23 Prozent). Fast jeder Fünfte fährt weniger Auto, 13 Prozent schränken sich in ihrer Freizeit ein, etwa jeder Zehnte spart Strom oder bei Ausgaben des täglichen Bedarfs.