Essen. Die Städte im Ruhrgebiet wollen ihre Nahverkehrskonzepte untereinander besser abstimmen. Wäre das ein Weg aus der Kleinstaaterei?
Im Ruhrgebiet wird laut darüber nachgedacht, die Nahverkehrsplanung der Kommunen zu vereinheitlichen. Der Regionalverband Ruhr (RVR) soll beauftragt werden, den Prozess gemeinsam mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr voranzutreiben. Eine entsprechende Entscheidung im Ruhrparlament steht am 25. Juni an. Kommt es dazu, wäre das zwar nicht das Ende des Flickenteppichs im regionalen Nahverkehr, vielleicht aber der sprichwörtliche Anfang vom Ende. Ein Überblick.
Worum geht es?
Das Ruhrgebiet als größter deutscher Ballungsraum mit rund fünf Millionen Einwohnern verfügt über kein einheitliches Nahverkehrskonzept wie andere Metropolregionen. Im Gegenteil: In der Nahverkehrsplanung ist das oft zitierte „Kirchturmdenken“ der Region quasi institutionalisiert. Entscheidungen über den Bedarf an Bus- und Straßenbahnverbindungen, Betriebszeiten und Investitionen werden von jeder Stadt jeweils einzeln getroffen. Bei elf Großstädten und vier Kreisen kommt das Revier also auf insgesamt 15 kommunale Nahverkehrspläne. In München dagegen gibt es nur einen einzigen Nahverkehrsplan mit Zielsetzungen für das gesamte Stadtgebiet.
Nahverkehrspläne enden häufig an den Stadtgrenzen
Warum bereiten die vielen Nahverkehrspläne Probleme?
Sie enden in der Regel an den jeweiligen Stadtgrenzen, berücksichtigen eher kommunale Eigenheiten als grenzüberschreitende Pendlerwünsche und haben zudem unterschiedliche Laufzeiten. Das führt zu ärgerlichen Anschlussproblemen beim Übergang ins ÖPNV-Netz der Nachbarkommunen. Die kommunale Planungsbuntheit gilt überdies als kaum metropolengerecht.
Was soll sich ändern?
Die Nahverkehrspläne der Städte und Kreise sollen besser aufeinander abgestimmt werden. In der Vorlage für das Ruhrparlament ist die Rede von einer „Synchronisierung“ der kommunalen Planungen. Ziel ist eine ruhrgebietsweit abgestimmte Nahverkehrsplanung ab 2024. Branchenkenner wie etwa der Fahrgastverband Pro Bahn fordern einen solchen Schritt schon seit Jahren.
Revier ist Hochburg der Autopendler
Warum kommt der Schritt gerade jetzt?
Der Nahverkehr als das große Sorgenkind der Region ist längst zum Symbol für die Kleinstaaterei des Ruhrgebiets mit seinen ausgeprägten Beharrungskräften geworden. Doch immer mehr Verantwortliche erkennen inzwischen, dass sich an der Organisation des ÖPNV Grundlegendes ändern muss. Auch klimapolitische Ziele spielen eine Rolle, weil das Ruhrgebiet eine Hochburg der Autopendler ist. Vor einem Jahr hatten sich die elf Oberbürgermeister und vier Landräte des Reviers mit den Chefs der großen kommunalen Verkehrsunternehmen daher auf einen Elf-Punkte-Plan zur Stärkung des ÖPNV geeinigt. Eines der Ziele: ein klarer Planungshorizont für die Abstimmung der Nahverkehrspläne. Die Neuausrichtung solle bis Ende 2023 umgesetzt werden, hieß es damals.
Sind damit die Strukturprobleme des ÖPNV im Ruhrgebiet gelöst?
Natürlich nicht. Die teils historisch gewachsene Struktur des Nahverkehrs im Revier wirkt wie ein schier unentwirrbares Flechtwerk aus unterschiedlichsten Zuständigkeiten und kommunalen Erbhöfen. Die insgesamt 13 Stadtbahn-, 18 Straßenbahn- und über 750 Buslinien werden von 23 Verkehrsunternehmen betrieben, acht davon haben ihren Sitz außerhalb des Ruhrgebiets. Hinzu kommen zwei Verkehrsverbünde – VRR und NWL (Westfalen-Lippe). Keiner der beiden Verbünde deckt das Ruhrgebiet als Ganzes ab.
Organisatorische Mammutaufgabe
Wäre es nicht besser, eine zentrale Verkehrsgesellschaft für das Ruhrgebiet zu gründen?
Die oft geforderte Verschmelzung sämtlicher Nahverkehrsbetriebe zu einer zentralen Gesellschaft für das Ruhrgebiet wäre eine organisatorische Mammutaufgabe und politisch derzeit wohl kaum durchsetzbar. Kritiker zweifeln zudem, ob eine Zentralgesellschaft beispielsweise das Stadtbus-Netz für Essen-Fischlaken besser organisieren kann als die Essener Ruhrbahn. Befürworter des bestehenden Systems argumentieren zudem, dass eine Zusammenlegung das gängige Finanzierungsmodell des Nahverkehrs aus kommunalen Beteiligungsgewinnen und damit verbundenen Steuervergünstigungen gefährde.
Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie in den Überlegungen?
Das ist noch völlig unklar. Allerdings setzen die Folgen der Corona-Krise die Nahverkehrsbetriebe gleich mehrfach unter Druck. In Studien gilt der ÖPNV derzeit als großer Verlierer unter den Verkehrsmitteln, weil viele Menschen aus Angst vor Infektionen Busse und Bahnen gemieden haben und die Gefahr besteht, dass sich dieser Trend auch nach der Pandemie verfestigt. Zudem schränken massive Verluste aus dem Ticketverkauf den finanziellen Handlungsspielraum der Verkehrsbetriebe deutlich ein. Zwar gleichen Rettungsschirm-Gelder von Bund und Land das Corona-Minus aus. Doch die Sorge wächst, dass später das Geld für dringend nötige Investitionen fehlt.